Foto eines Mikroskops aus dem Jahr 1670, hergestellt von Antoni van Leeuwenhoek.
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Antoni van Leeuwenhoek (1632-1723)
Die Geschichte der Mikroskopie

Der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek hat die Mikroskopie im 17ten Jahrhundert bedeutend vorangebracht. Was war so besonders an seiner Forschung?

Von Sietske Fransen 26.08.2023

Am 26. August 1723 ist Antoni van Leeuwenhoek in seiner Heimatstadt Delft in den Niederlanden gestorben. Der Mann, der heute für seine mikroskopischen Entdeckungen und seine handgefertigten Mikroskope berühmt ist, starb im respektablen Alter von 90 Jahren. Sein Tod, der sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, trat über 100 Jahre nach der erstmaligen Verwendung eines neuen wissenschaftlichen Instruments ein, der miscroscopia. Es wurde in den 1610er Jahren im Kontext der Accademia dei Lincei in Rom (berühmtes Mitglied der wissenschaftlichen Akademie war Galileo) verwendet, um die Natur der Insekten zu untersuchen. Dennoch wird Leeuwenhoek bei Feiern zu Jahrestagen seines Lebens oft "Begründer der Mikroskopie" genannt. Was hat er getan, um diesen Titel zu verdienen? Und wie bringt die historische Forschung zu Antoni van Leeuwenhoek neue Erkenntnisse über vergangene und heutige Anwendungen der Mikroskopie hervor?

War Antoni van Leeuwenhoek der Begründer der Mikroskopie?

An Leeuwenhoek erinnert man sich wegen seiner Mikroskope und seiner Beobachtungen von Mikroorganismen. In historischen Quellen taucht Antoni van Leeuwenhoek erstmals als Autor in einer Notiz von ihm aus dem Jahr 1673 auf, die sein Mitbürger und Arzt Regnier de Graaf (1641-1673) an die Royal Society in London schickte. Wir wissen relativ wenig über Leeuwenhoek´s Leben vor 1673 oder wann er genau anfing, mit Linsen zu arbeiten. Diese erste Notiz führte jedenfalls zu einer 50-jährigen Korrespondenz zwischen ihm und der Royal Society. In diesen Briefen, die in den Archiven der Royal Society in London lagern, können wir all seine Beobachtungen nachlesen, seine Techniken zur Probenvorbereitung, seine Analysen und Hypothesen über das, was er sah, und wir können Hunderte Bilder betrachten, die er erstellt und seinen Briefen beigelegt hat. Kurz gesagt: dieses Archiv der Korrespondenz ist eine reichhaltige Quelle für die Geschichte der Mikroskopie und der Mikrobiologie.

"Das in den Niederlanden entwickelte Mikroskop erhielt bereits im frühen 17ten Jahrhundert Einzug in die Welt der Wissenschaft."

Aber wie Wissenschaftshistoriker schon oft gezeigt haben, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selten allein und machen ihre Beobachtungen selten isoliert. Das trifft auch auf Leeuwenhoek zu. Das in den Niederlanden entwickelte Mikroskop erhielt bereits im frühen 17ten Jahrhundert Einzug in die Welt der Wissenschaft und wurde bald auch in Italien verwendet, von wo Beschreibungen seiner Anwendung und die Ergebnisse der Beobachtungen in gedruckten Texten und Bildern vorliegen. Zunächst in Federico Cesis Apiarium und Melissographia (beide 1625). Aber auch Athanasius Kircher verwendete das Instrument, um die Quelle der immer wiederkehrenden Pest im Rom der 1640er Jahre zu finden. Während die Instrumente in Italien verwendet wurden, stieg das Interesse an der Mikroskopie in den 1660er Jahren auch in England. Die Bücher von Henry Power (zum Beispiel Experimental Philosophy, 1664) und insbesondere das Buch der Royal Society Micrographia (1665), geschrieben von Robert Hooke, entwickelten sich zu Meilensteinen und Ausgangspunkten für jeden, der sich für Mikroskopie interessierte.

Es ist klar, dass Leeuwenhoek auf Robert Hooke´s Publikation reagierte, auch wenn nicht genau bekannt ist, wann und wo er das Buch mit seinen herrlich großen Illustrationen gesehen hat. Abgesehen von den Autoren dieser Bücher war das Interesse in den 1670er Jahren auch unter den wissenschaftlichen Praktikern des 17ten Jahrhunderts groß, die das Mikroskop verwendeten, um endlich die Reproduktion von Pflanzen, Tiere und Menschen zu verstehen. Mit seiner Notiz und der Einführung durch De Graaf trat Leeuwenhoek einem Netzwerk an Wissenschaftlern bei, die mit Mikroskopen arbeiteten und die alle versuchten, zu verstehen, was sie sahen, und über dessen Bedeutung für das Leben spekulierten.

Leeuwenhoek´s Mikroskope

Der Brief von Regnier de Graaf vom 28. April 1673, mit dem er Antoni van Leeuwenhoek der Royal Society vorstellte, enthält eine Zeile über die Qualität von Leeuwenhoek´s Mikroskopen; wörtlich, dass sie "diejenigen übertreffen, die bisher von Eustachio Divini und anderen gemacht wurden" (Collected Letters, Letter 1). Dieser Kommentar und die exzellenten Beobachtungen, die Leeuwenhoek mit seinen Instrumenten machen konnte, haben in der Vergangenheit zu vielen Fragen darüber geführt, wie Leeuwenhoek seine Mikroskope eigentlich herstellte und was sie so besonders machte. Mit seinen Instrumenten konnte er die untersuchten Objekte um den Faktor 70 vergrößern. Neue Studien haben aber gezeigt, dass die Linsen, die Leeuwenhoek für diese Einlinsenmikroskope herstellte, nicht zwangsläufig besser oder stärker als die Linsen von anderen waren (Cocquyt 2022). Es lag vielmehr an der Kombination aus diesen Linsen in ihren konstruierten Metallgehäusen und der Art und Weise, wie es ihm gelang, seine Objekte zu manipulieren und sie mit seinen Instrumenten zu beobachten, dass seine Instrumente und Beobachtungen hervorstachen.

Leeuwenhoek´s Beobachtungen und Entdeckungen

Leeuwenhoek nutze seine winzigen Mikroskope, um sich alles in seinem Haus und darum herum anzuschauen, inklusive menschlichen Materials von ihm und seiner Familie: Von Haaren, Schweiß, Sperma, Urin und Zahnbelag bis hin zu Flöhen, Läusen und anderen Insekten sowie Wasser aus Seen rund um Delft. Dabei sah er als erster Mensch überhaupt Mikroorganismen und sogar Bakterien, allerdings ohne es zu realisieren. Die "kleinen Tiere", die "animalcules", die er in Wasser entdeckte, wurden wahrscheinlich zu seinem größten "Anspruch auf Ruhm", nicht zuletzt auch durch die Biografie Antony van Leeuwenhoek and his ‚little animals'' von Clifford Dobell, die 1932 zum 300. Geburtstag von Leeuwenhoek veröffentlicht wurde.

Portrait von Antoni van Leeuwenhoek, Naturphilosoph und Zoologe in Delft, Öl auf Leinwand, gemalt 1680-1686 von Jan Verkolje (I).
Portrait von Antoni van Leeuwenhoek, Naturphilosoph und Zoologe in Delft, Öl auf Leinwand, gemalt 1680-1686 von Jan Verkolje (I). Public domain (CC0 1.0 Universal)
Querschnitt des Sehnervs einer Kuh. Zeichnung eines unbekannten Künstlers für Antoni van Leeuwenhoek, mitgeschickt mit seinem Brief vom 4. Dezember 1674 an Henry Olderburg, Sekretär der Royal Society.
Querschnitt des Sehnervs einer Kuh. Zeichnung eines unbekannten Künstlers für Antoni van Leeuwenhoek, mitgeschickt mit seinem Brief vom 4. Dezember 1674 an Henry Olderburg, Sekretär der Royal Society. Archiv: The Royal Society, EL/L1/9.

Aber während der 50 Jahre seines aktiven Lebens als Mikroskopiker und Korrespondent der Royal Society beobachtete Leeuwenhoek noch viele weitere Dinge. Er war ein begeisterter und enthusiastischer Beobachter, der oft zu seinen eigenen früheren Beobachtungen zurückkehrte und diese verbesserte oder deren Bedeutung neu interpretierte. Mit Kollegen wie Nehemiah Grew und Marcello Malpighi teilte er sein Interesse für Pflanzen und Samen und dafür, wie diese wachsen und sich reproduzieren. Er war fasziniert von der tierischen und menschlichen Fortpflanzung (und blieb fälschlicherweise bei seiner Meinung, dass männliche Spermien die Träger allen Lebens seien,) und wiederholte und verglich Zeit seines Lebens seine Beobachtungen an Sperma unterschiedlicher Tiere. Sein vergleichender Ansatz, sogar über Jahrzehnte, zeigt, wie wichtig ihm seine mikroskopischen Unternehmungen waren. Das zeigt sich auch darin, dass Leeuwenhoek Aufzeichnungen dieser Beobachtungen für spätere Referenzen in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte, also kontinuierlich seine eigene Arbeit reflektierte, und wie ihm neue Entdeckungen oft nur nach vielen Jahren des sorgfältigen Suchens und Analysierens gelangen.

Aktuelle Forschung zur Mikroskopie des 17ten Jahrhunderts

Seit September 2021 arbeitet das interdisziplinäre Forschungsteam "Visualizing the Unknown", das vom Niederländischen Forschungsrat (NWO) gefördert wird, an einer Neubewertung mikroskopischer Praktiken aus der frühen Neuzeit. Antoni van Leeuwenhoek spielt dabei eine bedeutende Rolle, wenngleich das Team darauf achtet, eine differenziertere Sicht auf die Netzwerke sowie die persönlichen Rivalitäten und Kooperationen zu vermitteln, die im europäischen Kontext stattgefunden haben. Die Ergebnisse des Projekts werden somit ein viel verbundeneres europäisches Netzwerk aus wissenschaftlichen Praktikern zeigen, die Mikroskope verwendeten, und zeigen, welche Fragen sie stellten, welche Methoden sie verwendeten und welche Antworten sie suchten.

Auge einer Biene. Fotografiert durch ein originales Leeuwenhoek-Mikroskop während einer der experimentellen Sitzungen des 'Visualizing the Unknown'-Projekts.
Auge einer Biene. Fotografiert durch ein originales Leeuwenhoek-Mikroskop während einer der experimentellen Sitzungen des 'Visualizing the Unknown'-Projekts. Wim van Egmond für 'Visualizing the Unknown'

Das Projektteam besteht aus Forschenden der Wissenschafts- und Kunstgeschichte, Museumskuratoren, einem Künstler beziehungsweise Fotografen und Biologen. Sie forschen einerseits auf der Grundlage einer eingehenden Lektüre von Archivquellen und Bildern sowie gedruckten Büchern der Zeit, nutzen aber auch die Methode der historischen Nachstellung, um einige der von Leeuwenhoek und seinen Kollegen beschriebenen mikroskopischen Experimente zu wiederholen. Diese Methodik hat bereits zu einem viel besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Beobachtungsverfahren mittels eines Mikroskops des 17ten Jahrhunderts geführt. Durch die Verwendung von Originalinstrumenten aus der Sammlung des Rijksmuseum Boerhaave in Leiden konnte das Team zeigen, dass es mindestens genauso wichtig ist, die Proben vorbereiten, für die richtige Belichtung in der Arbeitsumgebung sorgen und über den Prozess und das Ergebnis in klarer Form berichten zu können, wie ein gutes Instrument.

"Antoni van Leeuwenhoek stellte während des Großteils seiner Karriere als Mikroskopiker Zeichner an."

Antoni van Leeuwenhoek fertigte selbst Zeichnungen seiner Beobachtungen an, aber während des Großteils seiner Karriere als Mikroskopiker stellte er Zeichner an, die eng mit ihm zusammenarbeiteten. Diese waren essenziell für die Verbreitung seiner Beobachtungen und um seine Arbeit für seine Leser und Korrespondenten in England und andernorts in Europa sichtbar zu machen. Diese sichtbaren Beweise von mikroskopischen Beobachtungen aus dem 17ten und 18ten Jahrhundert sprechen unsere moderne Vorstellungskraft besonders stark an und machen nachvollziehbar, was historische Persönlichkeiten mit ihren Instrumenten und ihrem damaligen Wissen hätten sehen können. Und wenn eines auffällt, dann ist es die Erkenntnis, dass auch diese historischen Bilder, wie viele unserer modernen Fotografien und andere Arten wissenschaftlicher Bilder, möglicherweise keinen direkten Eins-zu-eins-Blick auf das Gesehene geliefert haben, sondern eine Eins-zu-eins-Reflexion dessen, was verstanden wurde.

Zum Weiterlesen

Die "Collected Letters" von Antoni van Leeuwenhoek (20 vols, 1939-2023) sind online einsehbar (vols 1-15).

Die Royal Society hat kürzlich all ihr Archivmaterial aus den Anfangsjahren der Gesellschaft online zugänglich gemacht, inklusive aller Originalbriefe von Leeuwenhoek.

Cocquyt, Tiemen, Positioning Van Leeuwenhoek's microscopes in 17th-century microscopic practice, FEMS Microbiology Letters, Volume 369, Issue 1, 2022, fnac031.

Sietske Fransen, Tim Huisman (eds), Antoni. Van Leeuwenhoek en de microwereld (WBooks. 2023).

Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Krapp.