Ein Orang Utan ist in einem Baumwipfel zu sehen.
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Verhaltensbiologie
Orang-Utan heilt Wunde mit Pflanze

Bisher war unbekannt, dass Tiere sich mit Heilpflanzen behandeln. Nun zeigt eine Studie, wie ein Orang-Utan seine Wunde mit Pflanzensaft heilt.

07.05.2024

Erstmals haben Forschende systematisch dokumentiert, dass ein Wildtier eine Pflanze medizinisch gegen Verletzungen nutzt. Biologinnen und Biologen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz berichten im Fachjournal "Scientific Reports", dass ein Sumatra-Orang-Utan eine Wunde im Gesicht aktiv mit einer Heilpflanze behandelt hat. 

Das Männchen Rakus habe einige Tage nach einer Verletzung, die es im Kampf mit einem Artgenossen erlitten hatte, Blätter einer Liane abgerissen, darauf herumgekaut und den Saft mehrere Minuten lang wiederholt auf die Gesichtswunde aufgetragen: "Dreizehn Minuten nachdem Rakus begonnen hatte, sich von der Liane zu ernähren, begann er, die Blätter zu kauen, ohne sie zu schlucken, und den Pflanzensaft mit den Fingern aus seinem Mund direkt auf seine Gesichtswunde aufzutragen", wird sein konkretes Vorgehen in der Studie erläutert. 

Affe nutzte bekannte Heilpflanze zur Behandlung 

"Als letzten Schritt bedeckte er die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern", sagt Kognitionsbiologien, Primatologin und Erstautorin der Studie, Dr. Isabelle Laumer. Sie beobachtete das Verhalten am Forschungsstandort Suaq Balimbing, einem geschützten Regenwaldgebiet auf Sumatra, in dem etwa 150 vom Aussterben bedrohte Sumatra-Orang-Utans (Pongo abelii) leben. 

"Als letzten Schritt bedeckte er die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern."
Dr. Isabelle Laumer, Verhaltensbiologin

Die zur Heilung verwendete Liane (Fibraurea tinctoria) ist für ihre schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung bekannt und wird in der traditionellen Medizin zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie etwa Malaria eingesetzt. 

Die Autorinnen und Autoren berichten außerdem, dass es bei dem Orang-Utan in den Folgetagen nicht zu einer Wundinfektion kam. Die Wunde habe sich innerhalb von fünf Tagen geschlossen und sei binnen eines Monats vollständig verheilt. 

Orang Utan passte Verhalten verbesserter Wundheilung an 

"Interessanterweise ruhte Rakus auch mehr als sonst, als er verletzt war. Schlaf wirkt sich positiv auf die Wundheilung aus, da die Wachstumshormonausschüttung, die Proteinsynthese und die Zellteilung im Schlaf gesteigert werden", erklärt Laumer. 

Das Verhalten von Rakus schien demnach absichtlich zu sein, da er selektiv nur die Gesichtswunde an seinem rechten Flansch und keine anderen Körperteile mit dem Pflanzensaft behandelte. "Das Verhalten wurde auch mehrmals wiederholt, nicht nur mit dem Pflanzensaft, sondern später auch mit festerem Pflanzenmaterial, bis die Wunde vollständig bedeckt war. Der gesamte Prozess hat viel Zeit in Anspruch genommen", sagt Laumer. 

Entdeckung aktiver Wundbehandlung bisher einmalig 

Bisher war der Studie zufolge nur bekannt, dass Menschenaffen bestimmte Pflanzen zur Behandlung von Parasiteninfektionen zu sich nehmen und Pflanzenmaterial auf ihre Haut reiben, um Muskelkater zu behandeln. Kürzlich sei zudem in Gabun beobachtet worden, wie eine Schimpansengruppe Insekten auf Wunden auftrug. 

"Die vorliegende Studie könnte somit der erste Bericht über die aktive Wundbehandlung mit einer biologisch aktiven Substanz bei einer Menschenaffenart sein und neue Einblicke in die Existenz der Selbstmedikation bei unseren nächsten Verwandten und in die evolutionären Ursprünge der Wundmedikation im weiteren Sinne liefern", resümiert die Studie das Ausmaß der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Entdeckung. 

Laut science.org wird das Waldreservat gemeinsam von der Universität Zürich, der National University in Indonesia und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPGAB) betrieben. In den letzten drei Jahrzehnten hätten Feldteams die Affen routinemäßig verfolgt und fast 30.000 Stunden Beobachtungen aufgezeichnet. Nun sei es Zeuge eines bisher undokumentierten Vorfalls geworden. 

dpa/cva