Ein Arzt untersucht einen älteren Mann in dessen Wohnzimmer.
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Hausärztliche Versorgung
Ärztliche Versorgung auf dem Land drängendes Problem

"Landarztquoten" sollen die hausärztliche Versorgung auf dem Land verbessern. Hessen verfolgt dieses Ziel auch mit Stipendien.

08.04.2024

Mit einer gesetzlich geregelten "Landarztquote" für angehende Medizin-Studierende will Niedersachsen eine flächendeckende hausärztliche Versorgung sichern. Im Gesetz heißt es hierzu: "Dieses Gesetz dient der Verbesserung der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen. Als Teil eines Maßnahmenpakets ergänzt es die übrigen Steuerungsinstrumente zur Eindämmung von prognostizierten Versorgungslücken mit einer bevorzugten Vergabe von Medizinstudienplätzen an Studierwillige, die sich zu einer hausärztlichen Tätigkeit in mangelversorgten Gebieten verpflichten". 

Doch das Interesse an den Plätzen fiel im ersten Jahr geringer aus als erhofft aus. Nachdem bereits deutlich weniger Bewerbungen eingegangen waren als erwartet, haben sich auch längst nicht alle ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten für das Studium immatrikuliert. Von 60 zugelassenen Bewerberinnen und Bewerbern haben sich lediglich 46 eingeschrieben, wie das Gesundheitsministerium auf Anfrage mitteilte. 

Im Gesetzentwurf von 2021 hatten SPD und CDU mit Blick auf die voraussichtlichen Kosten noch mit 600 Bewerbungen pro Jahr gerechnet, tatsächlich gingen für den ersten Jahrgang nur 299 Bewerbungen ein, wie "Forschung & Lehre" bereits berichtet hat

Interesse an Stellen auf dem Land in Hessen mäßig 

In der diesjährigen Bewerbungsphase war die Nachfrage demnach in Hessen noch niedriger. Von Anfang bis Ende März haben sich 278 potenzielle Landärztinnen und Landärzte für das Wintersemester 2024/25 und das Sommersemester 2025 beworben. Bis zum 15. Juli soll die Bewerbungsphase abgeschlossen sein. Das Verfahren ist im Vergleich zum Vorjahr unverändert. 

Das Ministerium betont, dass es sich bei den im Gesetzentwurf genannten 600 Bewerbungen um eine Obergrenze des maximal Finanzierbaren gehandelt habe. Die im vergangenen und in diesem Jahr eingegangenen Bewerbungen seien "überraschend positiv und erfreulich" und belegten, dass das Konzept auf Zustimmung treffe. 

Die "Landarztquote" könne ein wichtiger Baustein bei der perspektivischen Eindämmung des Ärztemangels in der Fläche sein. "Gleichwohl ist dieses Instrument kein Zauberstab, mit dem sich alle strukturellen Probleme weghexen lassen", sagte ein Sprecher. 

"Gleichwohl ist dieses Instrument kein Zauberstab, mit dem sich alle strukturellen Probleme weghexen lassen."
Ministeriumssprecher, Hessen

Erleichterter Studienzugang mit hohen Vertragsstrafen 

Die "Landarztquote" erleichtert jungen Menschen den Zugang zum Medizinstudium, wenn diese sich im Gegenzug verpflichten, nach Abschluss des Studiums und der Weiterbildung zehn Jahre lang als Hausärztin oder Hausarzt in einer Region mit zu wenigen Ärzten zu arbeiten. Machen sie später einen Rückzieher, droht ihnen eine gesetzlich festgelegte Vertragsstrafe von bis zu 250.000 Euro. 

Von den 60 verfügbaren Studienplätzen in Hessen entfallen 15 Plätze je Winter- und Sommersemester auf Göttingen sowie nur zum Wintersemester 18 Plätze auf Hannover und 12 Plätze auf Oldenburg. Die zugelassenen Bewerberinnen und Bewerber können angeben, welchen Standort sie bevorzugen. Im ersten Jahr wurde Hannover am häufigsten als Wunschort mit der höchsten Priorität genannt (29-mal), gefolgt von Oldenburg (21). Ein Studium in Göttingen favorisierten nur vier zukünftige Studierende. 

"Landarztquote" in Vorreiter-Land NRW sehr erfolgreich 

Mit der "Landarztquote" unabhängig vom üblichen Numerus clausus war NRW bundesweit Vorreiter – viele Bundesländer folgten. NRW hat einen Anreiz geschaffen sich als Hausärztin oder Hausarzt im ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens zu verpflichten. Seit Einführung 2019 übersteigt das Interesse die Anzahl der angebotenen Landarzt-Plätze – auch im Wintersemester 2024/25. 

Seit dem Wintersemester 2019/20 sind auf diesem Wege 861 Plätze für Studierende vergeben worden, die sich damit für eine spätere Laufbahn als Hausärztin oder Hausarzt in einer unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Region verpflichtet haben. Knapp fünfmal so viele Interessentinnen und Interessenten hatten sich um einen solchen Studienplatz bemüht, wie aus einer Übersicht des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums hervorgeht. 

Seit Einführung der Quote ist das Interesse zwar etwas abgeflaut, die Erwartungen des Programms werden aber laut NRW-Gesundheitsministerium erfüllt: "Es werden mit jedem Semester motivierte Menschen gefunden, die mit ihrem Einsatz die hausärztliche Versorgung in NRW stärken werden", hieß es aus Düsseldorf. Für die ersten 145 Landarzt-Plätze im Wintersemester 2019/20 hatte es noch 1.312 Bewerbungen gegeben. Im vergangenen Wintersemester hatten sich nur noch 394 Menschen um einen von 154 verfügbaren Plätzen bemüht. 

"Die Landarztquote wurde lange debattiert", teilte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf Anfrage mit. "Wir haben sie in NRW nur als erstes Bundesland umgesetzt, weil ich der Meinung bin, dass Menschen, die Hausarzt in unterversorgten Regionen werden wollen, auch bevorzugt einen Studienplatz erhalten sollten – insbesondere weil wir hier sehr hohe Bedarfe haben», so der Minister weiter. 

Beispiel aus der Praxis: schöne Seiten des Jobs 

Der Landarztmangel wird auch in Hessen zu einem immer drängenderen Problem. Dabei hat der Job schöne Seiten, findet ein junger Mediziner. Leben und arbeiten auf dem Land, das ist für Lars Alles keine Strafe. Nach seinem Medizinstudium absolviert er zurzeit seine Facharzt-Weiterbildung am Kreiskrankenhaus in Alsfeld und will danach für einige Zeit als Allgemeinmediziner im Vogelsberg arbeiten. Ob in einer eigenen Praxis oder in einem medizinischen Versorgungszentrum, das steht noch nicht fest, er sei für alles offen, sagt der 35-Jährige. 

In seiner Altersgruppe ist er mit diesen Plänen "eher die Ausnahme", sagt Alles. Zwar kennt er Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sich ebenfalls für die Allgemeinmedizin und den Beruf des Hausarztes interessieren – doch aufs Land zu ziehen, schrecke viele von ihnen ab. 

Lars Alles tritt damit auch in die Fußstapfen seiner Eltern, die als niedergelassene Hausärzte auf dem Land praktizieren. In einer eigenen Praxis sei man selbstständig, es gebe keine "starre Hierarchie", man könne viel selbst entscheiden. Außerdem reizt ihn der persönliche Kontakt zu den Patientinnen und Patienten. Statt der anonymen Drehtür-Medizin eines Krankenhauses, in dem man als Arzt die Patienten nach der Verlegung aus den Augen verliere, könne man die Menschen teils von der Jugend bis ins Alter begleiten, sagt der Mediziner. 

Leicht gemacht werde das Niederlassen als Hausarzt allerdings nicht. Finanziell berge der Beruf bestimmte Stressfaktoren, sagt er. Und Themen wie Personalverwaltung oder Administration müsse man sich selbst aneignen, weil das Studium darauf nicht vorbereite. "Da ist es natürlich sehr viel einfacher, wenn man in den Arbeitnehmerstatus reingeht und das jemand anderes für einen erledigt", sagt Alles. Deshalb ist er auch noch nicht sicher, ob er selbst einmal eine Praxis übernehmen beziehungsweise eröffnen will oder in einem medizinischen Versorgungszentrum arbeiten wird. Denn auch medizinische Fachangestellte seien auf dem Land schwieriger zu bekommen als in den Städten, sagt Alles. 

Stipendium lockt aufs kulturell eher "maue" Land 

Wenige kulturelle Angebote, eine maue Infrastruktur und Verkehrsanbindung, diese Argumente sprechen für junge Medizinerinnen und Mediziner häufig dagegen, sich in einer Kleinstadt oder auf dem Dorf niederzulassen. Der Landkreis Vogelsberg mit der hessenweit geringsten Bevölkerungsdichte schreibt seit 2016 Stipendien unter dem Stichwort "medizin+" für angehende Fachärzte aus. Einbezogen sind alle Fachrichtungen der unmittelbaren Patientenversorgung, von der Allgemeinmedizin und Augenheilkunde über die Gynäkologie bis hin zu Dermatologie. 

Mit den Stipendien werden Medizinstudierende ab dem fünften Semester mit 500 Euro monatlich unterstützt. Im Gegenzug verpflichten sich die jungen Medizinerinnen und Mediziner, ihre Facharztausbildung weitgehend im Vogelsberg zu durchlaufen und danach für mindestens drei Jahre auch dort zu arbeiten. Ein gutes Dutzend angehender Fachärztinnen und Fachärzte hat diese Möglichkeit seit dem Auftakt vor rund acht Jahren in Anspruch genommen. 

Nach Angaben des hessischen Gesundheitsministeriums studieren derzeit 129 Menschen im Rahmen der hausärztlichen Quote. An ihr Studium schließt sich eine Weiterbildung im Bereich Allgemeinmedizin, Innere Medizin oder Kinder- und Jugendmedizin an. Die Absolventen verpflichten sich, im Anschluss daran mindestens zehn Jahre in hausärztlich unterversorgten Gebieten in Hessen tätig zu werden. "Dies wird voraussichtlich vor allem im ländlichen Raum sein", heißt es vom Ministerium. 

Bundesgesundheitsministerium plant Erleichterungen 

Neben der Landarztquote verweist das Ministerium auch auf die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigten neuen Formen vertragsärztlicher Tätigkeiten sowie die geplante Vergütungsreform für die Hausärztinnen und Hausärzte. 

Nach Lauterbachs Plänen sollen Hausärztinnen und Hausärzte mehr finanzielle Freiräume bekommen, um Wartezeiten und Engpässe zu vermeiden. So sollen für Hausärztinnen und Hausärzte – wie schon für Kinderärztinnen und Kinderärzte – Budgets mit Obergrenzen bei der Vergütung durch die Kassen aufgehoben werden. Dies soll dazu führen, dass alle in den Praxen erbrachten Leistungen bezahlt werden. Auch der bürokratische Aufwand soll sich demnach verringern. 

Kassenärztliche Vereinigung warnt vor Nachwuchsmangel 

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen warnt derweil vor den Folgen des Nachwuchsmangels. Hessenweit gebe es derzeit rund 400 freie Arztsitze – "Tendenz steigend", sagt ein Sprecher. "Das wird sehr schwierig werden, die Lücken werden größer, die Wege zur Praxis weiter und die Wartezeiten länger. Das Ausscheiden der Baby-Boomer, das schon begonnen hat, wird in den nächsten Jahren große Lücken in die Versorgung reißen." 

"Das wird sehr schwierig werden, die Lücken werden größer, die Wege zur Praxis weiter und die Wartezeiten länger."
Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen

Offenbar sei es nicht mehr attraktiv genug, sich niederzulassen. "Das hat mit den finanziellen Bedingungen zu tun, das hat mit der Arbeitsbelastung in den Praxen zu tun, wahnsinnig viel Bürokratie, per Zwang eingeführter Digitalisierung, die nicht funktioniert, einer fehlenden Patientensteuerung." 

Viele Medizinerinnen und Mediziner seien so frustriert von den Bedingungen, «dass sie lieber heute als morgen ihre Praxis aufgeben wollen», so der Sprecher. Es räche sich zudem, dass jahrelang nur davon gesprochen worden sei, mehr Medizinstudienplätze zu schaffen – es diese aber nach wie vor nicht gebe. Einfache Antworten auf die Frage, wie sich mehr junge Ärztinnen und Ärzte aufs Land bewegen lassen, gibt es nicht. "Unseren Erkenntnissen nach ist es vor allem die Bindung zu Regionen, die Menschen dazu bringt, sich auf dem Land niederzulassen", so der KV-Sprecher. 

Sinnvoll sei aber "jede Art von Förderung" – von vergünstigten Mieten für Praxisräume bis hin zu Angeboten für andere Lebensbereiche wie geeigneten Schulen, Kinderbetreuung und Kultur. Die Kommunen müssten erkennen, dass die Ansiedlung einer Praxis "am Ende eine aktive Infrastruktur ist", so der Sprecher.

dpa/cva