Symbolbild für akademische Freiheit: Silhouette eines Kopfes, aus dem kleine Doktorhüte fliegen
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Wissenschaftsfreiheit
Uni Hamburg legt Leitlinien vor

Die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit sind oft fließend. Wo sie verlaufen, will die Uni Hamburg mit einem "Kodex Wissenschaftsfreiheit" klären.

02.02.2022

Trotz der im Grundgesetz verankerten Freiheit der Wissenschaft ist diese in einer demokratischen Gesellschaft regelmäßig legitimer Kritik ausgesetzt. Nicht jeder Konflikt ist automatisch eine Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit, als die er gelegentlich inszeniert wird. Hochschulen und Forschende müssen diese verteidigen und schützen, aber sich gleichzeitig ihrer Grenzen bewusst sein. So beschreibt es der "Kodex Wissenschaftsfreiheit", den die Universität Hamburg am Mittwoch veröffentlicht hat.

Im wissenschaftlichen Alltag sei regelmäßig umstritten, wie weit Kritik an Forschenden gehen darf und welche Rechte und Pflichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, erklärte Uni-Präsident Professor Dieter Lenzen bei der Vorstellung. Daher soll der Kodex nach eigener Beschreibung anhand von elf Thesen "die unverzichtbaren Grundlagen von Forschung und Lehre" erläutern sowie den Ausübungsrahmen und die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit verdeutlichen.

Legitime Einschränkungen der Wissenschaft sind demnach nicht pauschal festzulegen, sondern seien im jeweiligen Kontext zu betrachten. Man müsse differenzieren, wann Wissenschaft die Rechte Dritter betreffe und damit ihre Grenzen erreicht habe. Die Wissenschaftsfreiheit habe keinen Vorrang vor anderen Grundrechten und enthebe auch nicht von der wissenschaftsethischen Rechenschaftspflicht.

Was gilt als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit?

Beispiele für nicht zulässige Einschränkungen der akademischen Freiheit seien Störungen von Lehrveranstaltungen oder Ausschlüsse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von öffentlichen Debatten aufgrund unliebsamer Ansichten, erklärte am Mittwoch der Jurist Professor Hans-Heinrich Trute, der die Erstellung des Kodex geleitet hat. Konkret nannte Trute unter anderem den Fall der Professorin Kathleen Stock.

Lenzen betonte auf Nachfrage, der Fall um Professor Bernd Lucke sei ein Beispiel unter vielen, in denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt worden sei. Anlass für die Erarbeitung des Kodex seien viele weitere Vorfälle gewesen, beispielsweise auch die Forderung nach "Trigger Warnings" in der Lehre. "Wissenschaft richtet sich nicht nach politischem, religiösem oder sonstigem Willen, sondern nur nach den eigenen Vorgaben", erklärte Lenzen.

Reflexion und die Infragestellung des Selbstverständlichen seien Aufgabe der Wissenschaft, so Trute. Weder seitens der Öffentlichkeit noch seitens der Wissenschaft seien dabei übermäßige Empfindlichkeiten angebracht. Sozial- und Sachdimension würden häufig vermischt.

Wie viel darf die Gesellschaft von Wissenschaft erwarten?

"Die Möglichkeit einer missbräuchlichen Verwendung der in der Forschung gewonnenen Erkenntnisse durch Dritte rechtfertigt keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit", heißt es beispielsweise in dem Kodex. Forderungen nach gesellschaftlicher Reflexion der möglichen Folgen wissenschaftlicher Tätigkeiten dürften nicht zur Begrenzung der Forschung führen. Zivilklauseln seien daher kritisch zu betrachten. Trute nannte als Beispiel die Künstliche Intelligenz, deren Erforschung trotz ihrer Gefahren nicht eingeschränkt werden solle.

Grundsätzlich muss Wissenschaft dem Kodex zufolge auch Kritik aushalten. Die garantierte Wissenschaftsfreiheit beinhalte auch "die Offenheit für Kritik und für die Ablehnung oder Widerlegung der eigenen Positionen". Lösungen für Konflikte seien stets im argumentativen Diskurs zu suchen. "Die Universität hält deshalb den Freiraum kritischer Auseinandersetzung auch dort offen, wo die demokratische Öffentlichkeit aufgrund eingespielter Überzeugungen empfindlich oder gar empört auf Infragestellung reagiert."

Im Spannungsfeld der wissenschaftlichen und medialen Kommunikation muss laut Kodex differenziert werden, welche Art der Kritik an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hinzunehmen ist. Die Integrität und Autonomie der Forschenden dürfe dabei nicht beeinträchtigt werden, doch unsachliche und einseitige, verzerrte Kritik müsse die Wissenschaft aushalten und sich öffentlichen Debatten stellen.

Zusammengetragen hat die Leitlinien der Uni Hamburg eine 14-köpfige Kommission im Auftrag des Akademischen Senats der Hochschule. Der Kodex soll ab sofort im Leitbild der Universität verankert werden. Vorbild war laut Uni-Präsident Lenzen der "Kodex Religionsausübung", den die Hochschule 2017 veröffentlicht hatte. Anders als dieser sei der "Kodex Wissenschaftsfreiheit" aber nicht als Handlungsanweisung gedacht, sondern als Orientierung und Selbstvergewisserung der Universität.

ckr