Ein leerer Stuhl und ein Megafon auf einer beleuchteten Bühne
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Wissenschaftsfreiheit
Was darf ein Hochschullehrer öffentlich äußern?

Mancher Professor meint, er könne nicht anders, als sich zu äußern. Das ist im Zweifel richtig und begrüßenswert. Aber es gibt auch Grenzen.

Von Michael Hartmer Ausgabe 11/15

Durch Berufung und Ernennung wird ein Hochschullehrer berechtigt und verpflichtet, eine wissenschaftliche Fachdisziplin selbstständig, das heißt grundsätzlich weisungsfrei, in Forschung und Lehre zu vertreten. Zur Vertretung gehört – und zwar immer mehr – auch die Vorstellung von Forschungsergebnissen und die Äußerung von Fachmeinungen in der öffentlichen Debatte. Diese kann hochschul- und fachöffentlich, aber auch in allen heute verfügbaren Medien geführt werden.

Auch wenn die einschlägigen Hochschulgesetze die Hochschulen verpflichten, über ihre Forschungsergebnisse zu berichten, wird andererseits eine persönliche Verpflichtung eines Hochschullehrers, sich auf Presseanfragen als Experte zu äußern, nicht konstruierbar sein. Auch diese Weigerung gehört zur Selbstständigkeit der Berufswahrnehmung.

"Innerhalb des Fachgebietes schützt die Wissenschaftsfreiheit nahezu jede Äußerung." Dr. Michael Hartmer

Innerhalb des Fachgebietes schützt die Wissenschaftsfreiheit nahezu jede Äußerung. Zwar entbindet die Lehrfreiheit nicht von der Treue zur Verfassung. Aber selbstverständlich ist im Hörsaal und darüber hinaus Verfassungskritik erlaubt. Selbst "engagierte Wissenschaft" und "plakative Verkürzungen" sind zulässig. Die Erkenntnis, dass letzte Wahrheiten in der Wissenschaft selten sind, führt zu der Freiheit, auch umstrittene oder von Dritten als falsch bezeichnete Ergebnisse öffentlich zu äußern. Allerdings muss es sich immer seinem Kern nach um wissenschaftliche Äußerungen handeln. Eine solche ist nicht jede Äußerung eines Wissenschaftlers.

Interesse an Wahrheitsfindung muss erkennbar sein

Wem es erkennbar nicht um Wahrheitsfindung geht, sondern um Ideologie, steht nicht unter dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Ein Beispiel dafür ist die Leugnung des Holocaust. Im Übrigen reicht die Freiheit eines Grundrechtsträgers auch hier nur bis zum Schutz eines anderen Grundrechtsträgers. Wer formal beleidigt, zum Beispiel seine Fakultätskollegen als "korrupten Sauhaufen" tituliert, verlässt die Komfortzone der Wissenschaftsfreiheit.

Soweit, so einfach. Problematisch wird es bei der Festlegung, was die selbstständige Vertretung des Faches in der Öffentlichkeit gegenständlich umfasst. Hier gilt es, einen großzügigen Maßstab anzulegen, um Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zur Entfaltung zu bringen. Wer als Hochschullehrer seinen dienstvorgesetzten Präsidenten ob seiner Profil- und Sparpläne öffentlich kritisiert, wird dies auch dann gefahrlos tun können, wenn sein Fach von diesen Plänen (noch) nicht berührt ist.

Gegen eine Engführung und für eine berufspolitische Ausweitung spricht auch, dass andernfalls nur noch Öffentlich-Rechtler und Politikwissenschaftler aufgrund ihrer fachlichen Expertise äußerungsberechtigt wären. Mithin steht jedem Hochschullehrer das Recht zu, sich offen und frei in jedem Medium mit seiner Auffassung zum Bologna-Prozess, zur Exzellenzinitiative, zur Verwaltungsvereinfachung, zur Rektoratspolitik und zu vermeintlich oder angeblich falschen Entscheidungen von Universitätsgremien und Leitungspersonen zu äußern. Das gilt übrigens auch für die Kritik an Auswahl- und Besetzungsverfahren oder für Kritik an Studierenden.

Pflicht zur Verschwiegenheit über Dienstliches

Die Grenze dieses Rechtes kennzeichnen die Stichworte "Verschwiegenheitspflicht", "Treuepflicht" und "Mäßigungspflicht". Grundsätzlich haben Beamte über die ihnen bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren. Dass eigene Forschungsergebnisse, obwohl in amtlicher Tätigkeit generiert, darunter nicht fallen, liegt auf der Hand. Dass andererseits in Gremien vertraulich zu behandelnde Personal­angelegenheiten der Verschwiegenheitspflicht unterfallen, müsste genauso selbstverständlich sein.

Wenn qua Gesetz oder einer anderen Norm eine Pflicht zur Verschwiegenheit konstituiert wurde, wird dadurch die Wissenschaftsfreiheit wirksam eingeschränkt. Keiner Verschwiegenheit unterliegen Angelegenheiten im innerbehördlichen Verkehr sowie offenkundige Tatsachen, entweder weil sie "allgemein bekannt" oder bereits in den Medien zu lesen sind.

Aber Vorsicht: Wer als Mitglied einer zur Vertraulichkeit verpflichteten Findungskommission den Bericht einer Zeitung dementiert oder bestätigt, kann sich der Verletzung der Amtsverschwiegenheit schuldig machen. Die häufig gehörte Floskel, "das kann ich weder bestätigen noch dementieren", ist in solchen Fällen tatsächlich sinnvoll und angezeigt. Dass nach Sitzungen von Berufungskommissionen Kandidaten von Mitgliedern der Kommission über das Beratungsergebnis, manchmal auch über deren Verlauf ins Bild gesetzt werden, ist zwar soziale Wirklichkeit in der Universität, aber beamtenrechtlich illegal.

Die weiteren beamtenrechtlichen Treuepflichten wie Loyalität und Mäßigung in der Kritik gegenüber dem Dienstherrn, haben sich im Einzelfall gegenüber der Wissenschaftsfreiheit durchzusetzen, was selten gelingen wird. Denn an die Treuepflicht eines Ministerialbeamten sind andere Anforderungen zu stellen als an die eines Hochschullehrers gegenüber seinem Dienstherrn. Das wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass in Nordrhein-Westfalen Dienstherr die Selbstverwaltungskörperschaft Universität ist, die ihre Autonomie nicht zuletzt durch das Engagement der Hochschullehrer lebt und gestaltet.

"Es gibt in der Universität gegenüber Professoren kein Weisungsrecht des Dienstvorgesetzten, das ihnen den Mund verbieten könnte." Dr. Michael Hartmer

Obwohl es schon zu allen Zeiten nicht klug war, dem Ochsen, der drischt, das Maul zu verbinden, hat es sogar in der jüngeren Universitätsgeschichte nicht an Versuchen gefehlt, unliebsame Meinungen zu verbieten und zu unterbinden. Soweit in der Universität versucht wird, diesen Maulkorb auf die Dienstvorgesetzteneigenschaft des Präsidenten oder Rektors zu stützen, ist dies rechtlich irrelevant und hochschulpolitisch nicht selten peinlich. Es gibt in der Universität gegenüber Professoren kein Weisungsrecht des Dienstvorgesetzten, das ihnen den Mund verbieten könnte.

Disziplinarverfahren sind die Ausnahme

Allerdings kann der Dienstvorgesetzte gegen einen Beamten ein Disziplinarverfahren anstrengen, in dem geprüft wird, ob dieser mit seinen Äußerungen die Treue- und Mäßigungspflicht verletzt hat. Das wird eine Hochschulleitung angesichts des drohenden Gesichtsverlustes im Misserfolgsfall nur dann in Betracht ziehen, wenn die Sachlage klar und eindeutig ist, zum Beispiel bei nachweisbaren schwerwiegenden Verstößen gegen die Verschwiegenheitspflicht oder strafrechtlich bereits geahndeten Beleidigungen.

In vielen anderen Fällen aber grüßt aus geschichtlicher Ferne der Geist von Ernst August I., der am 12. Dezember 1837 sieben Göttinger Professoren entließ und drei von ihnen verbannte, weil sie es wagten, gegen die freiheitseinschränkende neue Staatsverfassung des Königreiches Hannover zu protestieren.