Studierende demonstrieren gegen die Wahl Donald Trumps
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Interview zur US-Präsidentschaftswahl
Was hat die Wissenschaft versäumt?

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten besorgt viele Wissenschaftler. Eine Professorin spricht über mögliche Folgen und Fehler der Wissenschaft.

Von Katrin Schmermund Ausgabe 12/16

Forschung & Lehre: Frau Professor Hochschild, während des US-Wahlkampfs haben Sie mit anderen Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ein "statement of concern" hinsichtlich einer möglichen Präsidentschaft von Donald Trump unterschrieben – warum?

Jennifer Hochschild: Weil es ein zutiefst verstörender Wahlkampf war, in dem Trump sich wiederholt verfassungswidrig geäußert hat, oder zumindest an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit. Dazu gehört, dass er die Glaubwürdigkeit von Menschen aufgrund ihrer Herkunft angezweifelt hat, wie jene mexikanischer Richter, oder dass er seine Unterstützer dazu ermutigt hat, andere Wähler in ihrer Entscheidung zu beeinflussen bzw. zu verunsichern, oder die Gültigkeit der Wahl grundlos angezweifelt hat – und dies sind nur einige Beispiele einer langen Liste. Dieser Brief, unser 'statement of concern', betrifft das, was Trump sagt, aber dies ist nur ein Teil meiner Sorgen. Was ich mehr fürchte, ist, was Menschen, die Trump unterstützen, ihn sagen hören und, was sie möglicherweise zu verfassungswidrigen Handlungen verleitet. Sie könnten zum Beispiel den Eindruck gewinnen, dass Gewalt die richtige Antwort gegenüber Menschen ist, die sie nicht im Land haben wollen.

F&L: Trotz Trumps kritischen Äußerungen haben ihn teils selbst die Menschen gewählt, die er explizit angegriffen hat, darunter Frauen oder Menschen lateinamerikanischer Herkunft. Wie erklären Sie sich das?

Jennifer Hochschild: Ich habe keine Erklärung dafür, warum Menschen einer bestimmten Herkunft, wie Lateinamerikaner, ihn gewählt haben. Ich könnte mir lediglich vorstellen, dass sie vielleicht ihr starker Glaube dazu verleitet hat. Trump hat sich gegen Abtreibung ausgesprochen. Diese Einstellung mag Gläubige überzeugt und andere Argumente überschattet haben.
Im Fall der Wählerinnen waren meiner Meinung nach wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend. Viele Kommunen sind in einem schrecklichen Zustand, besonders seit dem Beginn der globalen Finanzkrise 2008. Frauen sind diejenigen, die stark unter den Folgen leiden. Einer meiner Studenten hat herausgefunden, dass die Lebenserwartung von weißen Frauen mittleren Alters – anders als jene der Männer – in den vergangenen Jahren abgenommen hat, was sehr ungewöhnlich ist. Man kann dies mit einem 'second shift' erklären, was bedeutet, dass Frauen heutzutage nicht nur mehr Verantwortung dafür übernehmen müssen, den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern, sondern darüber hinaus weiterhin die Hauptverantwortung für die Erziehung der Kinder und das Kümmern um ältere Familienangehörige tragen. Viele stehen vielleicht kurz vor einem Zusammenbruch, stärker, als es unter Männern der Fall ist. Trump hat versprochen, die wirtschaftliche Lage zu verbessern, was viele Wählerinnen hoffen und glauben. Die demokratische Kandidatin Hillary Clinton hat es nicht geschafft, dieses Vertrauen zu gewinnen.

F&L: Der Wahlkampf war stark emotional und nicht faktenbasiert orientiert. In Ihrer Forschung haben Sie sich detailliert mit der Rolle von Emotionen vs. Fakten in der Politik auseinandergesetzt. Würden Sie mit Blick auf den diesjährigen Wahlkampf zustimmen, dass wir in einer 'post-faktischen' Welt leben, in der alleine Emotionen entscheidend für den Ausgang einer Wahl sind?

Jennifer Hochschild: Nein, ich glaube, das ist zu weit gegriffen. Es würde bedeuten, dass 320 Mio. Menschen ihren Verstand verloren hätten. Zum Glück gilt dies nur für einen Teil von ihnen.
Wahlen waren schon immer stark gefühlsgeleitet, oft kommt die politische Korrektheit dabei zu kurz. Für die meisten Menschen haben Gefühle mehr Einfluss auf ihre Wahlentscheidung als Fakten. Der diesjährige hochumstrittene Wahlkampf hat dies auf eine neue Ebene gehoben, aber nicht eingeführt. In 'den guten alten Zeiten', den 1960ern, waren es die Demokraten, die den Kampf um die Gefühle gewonnen haben, nun sind es die Republikaner. Ein Grund dafür könnte der sinkende Einfluss der Verbände, und damit der Wegfall einer demokratischen Allianz von Arbeitern, sein. Politiker machen Wahlkampf für das, was in ihren Augen besser für die Gesellschaft ist – das ist Politik. Was mich beunruhigt, ist vielmehr das Mittel dieses Wahlkampfes, nämlich jenes, Feinde zu benennen, diese anzugreifen und darauf seine ganze Energie zu konzentrieren. Der Einfluss von Fakten in der Politik wird sich zeigen, wenn Trump seinen 'protectionism' hinsichtlich der Abschottung der USA von (Problemen im Rest) der Welt umsetzt und es der Wirtschaft trotzdem schlechtgehen sollte. Werden Trumps Wählerinnen und Wähler ihre gefühlsgeleitete Entscheidung bereuen und im nächsten Wahlkampf mehr auf Fakten setzen? Auf die Beantwortung dieser Frage bin ich gespannt.

F&L: Was sollte die Wissenschaft mit Blick auf künftige Forschungsfragen aus dem Wahlkampf lernen?

Jennifer Hochschild: Wir müssen Ärger, Sorgen und Frustration von Menschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Wie auch die Medien leben Wissenschaftler in einer 'Blase', gut ausgebildet und mit wenig Beziehungen zu Menschen der sogenannten Unterschicht. Es ist bekannt, dass kaum Wissenschaftler Trump gewählt haben – ich kenne gerade mal zwei unter meinen Kollegen. Wir hätten Trump ernst nehmen sollen. Stattdessen haben Medien gut gezeigt, dass das Interesse vor allem in der Verbreitung neuer Schlagzeilen über Trumps Äußerungen lag. 'Trump as a joke' war lange der Tenor. Wir haben Trumps Einfluss auf die US-Wählerinnen und -wähler unterschätzt. Wir haben in den Staaten viel zu Rassen- und Geschlechtsungleichheiten geforscht, aber die Klassenungerechtigkeit missachtet. Vergleicht man die Anzahl von Forschungsarbeiten, ergibt sich schätzungsweise ein Verhältnis von 500:1. Die Folgen einer fehlenden Bürgernähe sehen wir nicht nur im US-amerikanischen Populismus, sondern auch im europäischen Rechtsruck. Sozialwissenschaftler müssen sich viel stärker solchen missachteten Gruppen widmen und der daraus folgenden Entstehung von Populismus.

F&L: Welchen Ansatz sollten Wissenschaftler für die Erforschung solcher Phänomene wählen?

Jennifer Hochschild: Wir sollten stärker vergleichend forschen oder dies fortsetzen, um festzustellen, was an dieser Wahl typisch amerikanisch, und was mit allgemeinen Phänomenen wie Aktivismus gegen Globalismus, 'das Fremde' oder Eliten zu erklären ist. Einige Wissenschaftler argumentieren, dass Populismus eine Antwort auf neue Technologien ist – egal, ob Gutenbergs Buchdruck oder Computer und iPhone. Ich weiß nicht, ob ich dem zustimme, aber es lohnt sich, dies zu erforschen. Auch die Meinungsforschung steht in der Kritik, was voraussichtlich für andere Verfahren in diesem Bereich sorgen wird.

F&L: Einige Zeitungsartikel fragen, ob Trump der erste 'anti-science president' ist. Wissenschaftler rufen "not my president" auf den Straßen, Studenten erhalten therapeutische Behandlungen auf dem Campus, um Trumps Wahl zu verkraften. Wie schätzen Sie die Konsequenzen für die Hochschulpolitik ein?

Jennifer Hochschild: Die Situation auf dem Campus ist in der Tat betrübt. In den vergangenen Tagen habe ich gefühlt nichts anderes gemacht, außer die Wahl mit meinen Studierenden zu diskutieren und sie vom Weinen abzuhalten. Für Studienanfänger war es ihre erste Wahl, aus der sie geschockt herausgehen, und ich fürchte, ihre Sorgen sind begründet – Trump wird der Wissenschaft nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Erstens entspricht die wissenschaftliche Arbeitsweise der begründeten Analyse und Bewertung nicht seiner Mentalität. Zweitens hat er wiederholt eines der Schwerpunktthemen der Forschung, den Klimawandel, angezweifelt und ihn als chinesischen 'hoax', als Scherz, bezeichnet. Was mir allerdings noch mehr Sorgen als seine eigene Meinung macht, ist die der republikanischen Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus. Sie beharren auf ihrer Anti-Klimaschutz-Doktrin und werden Gesetze verabschieden, die uns hinsichtlich von Nachhaltigkeitszielen um Jahre zurückwerfen.

Proteste an der Universität Harvard nach der Wahl Donald Trumps

F&L: Glauben Sie, dass Trump in der Bildungspolitik externe Ratschläge annehmen wird, weil er selbst kein Experte ist?

Jennifer Hochschild: Ich wünschte, ich glaubte es, aber ich tue es nicht. Ich habe in keinem einzigen Politikbereich Anzeichen dafür gesehen, dass Trump auf Experten hört, außer wenn diese seine bereits bestehende Meinung unterstreichen – und er hat in vielen Bereichen eine Meinung, in denen er nicht gut informiert ist. Trump selbst hat einen Hochschulabschluss und unterhält sich wahrscheinlich größtenteils mit Leuten, die diesen auch haben. Daher vermute ich, dass er meint, gut informiert zu sein.

F&L: Wird Trumps Wahl den internationalen Austausch der US-amerikanischen Wissenschafts-Community einschränken?

Jennifer Hochschild: Ich glaube, dass Trump den internationalen Austausch aufgrund eines enormen Drucks dagegen nicht einschränkt – und doch kann dies mehr Hoffnung als wahre Erwartung sein. Er könnte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Länder mit demselben Hohn und derselben Abwertung begegnen, wie er es bei anderen Eliten tut; wenn er sie etwa für links-orientierte Europäer hält oder findet, dass sie zu sehr mit 'furchteinflößenden' Muslimen oder Menschen aus dem Mittleren Osten sympathisieren. Es könnte aber auch sein, dass er von dem Prestige der Wissenschaftler profitieren möchte, und in der Wissenschaft, als für ihn uninteressanten Bereich, keinen Streit anzetteln will.

F&L: Trump möchte Studiengebühren stärker privatisieren – mit welchen Folgen?

Jennifer Hochschild: 'Pell grants', ein spezielles US-Programm für 'bedürftige' Studierende und vergleichbare Kredite könnten wegfallen. Das Gleiche gilt für die Unterstützung öffentlicher Universitäten und jene, die traditionell von Dunkelhäutigen besucht werden. Community Colleges werden in die Klemme geraten, während gewinnorientierte Hochschulen profitieren. Dies sind keine guten Entwicklungen.