Zwei Dokumentenstapel
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Arbeitszufriedenheit
Bürokratie an den Universitäten schadet der Lehre

Das Allensbach-Institut hat im Auftrag des DHV Hochschullehrer zu ihrer Arbeitszufriedenheit befragt. Es gibt deutliche Unterschiede je nach Position.

Von Thomas Petersen Ausgabe 1/17

Das Institut für Demoskopie Allens­bach hat im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes nach längerer Zeit wieder eine Umfrage über die Arbeitssituation und -zufriedenheit der Hochschullehrer durchgeführt. Neben vielen interessanten Einzelergebnissen ist der Vergleich zu früheren Umfragen sehr erhellend. Eine Zusammenfassung der Ergeb­nisse.

Viele Menschen scheinen zu glauben, es habe noch nie so viel Aufregung in Deutschland gegeben wie in diesen Tagen, doch man muss sich gedanklich nur einmal vier Jahrzehnte zurückversetzen, um zu erkennen, dass das nicht stimmt. Im Jahr 1976 war die Bundesrepublik in vielerlei Hinsicht stärker in Aufruhr als heute: Die Regierung Schmidt kämpfte mit den Folgen der Ölkrise, der Terror der RAF erschütterte das Land, zwischen den Generationen tobte ein Kampf um Weltanschauungen, der das Klima in vielen Familien vergiftete.

Nicht zuletzt an den Universitäten, in denen im vorangegangenen Jahrzehnt nach Studentenprotesten und Reformen kaum ein Stein auf dem anderen geblieben war, herrschte tiefe Verunsicherung. In dieser Lage entschloss sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft, eine umfangreiche Repräsentativumfrage unter Universitätsprofessoren und Assistenten beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag zu geben. Die Ergebnisse zeigten viel Unzufriedenheit. So klagte jeder zweite Professor darüber, dass die Lehrverpflichtungen derart zugenommen hätten, dass man kaum noch Zeit für die Forschung finde. Jeder dritte berichtete, dass die Einflussnahme der Hochschulverwaltung die Arbeit behindere.

Erste umfangreiche Befragung von Hochschullehrern seit 1976

Heute blicken die Hochschulen wiederum auf eine Phase tiefgreifender Veränderungen zurück. So lag es nahe, mit einer erneuten Umfrage zu prüfen, wie die Lage von Forschung und Lehre von den Hochschullehrern beurteilt wird, zumal es seit der Untersuchung im Jahr 1976, abgesehen von zwei kleineren Aktualisierungen in den Jahren 1984 und 2007, keine umfangreiche Hochschullehrer-Umfrage zu diesem Thema mehr gegeben hat.

Im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes befragte deshalb das Institut für Demoskopie Allensbach im Oktober dieses Jahres insgesamt 1.149 Hochschullehrer in Deutschland, darunter 674 Universitätsprofessoren, 289 Juniorprofessoren und Privatdozenten sowie 180 wissenschaftliche Mitarbeiter in höheren Positionen. Die Professoren und Privatdozenten wurden nach dem Zufallsprinzip aus dem Hochschullehrerverzeichnis ausgewählt. Für wissenschaftliche Mitarbeiter fehlt ein solches Verzeichnis, deswegen wurde die Umfrage hier auf Mitglieder des Deutschen Hochschulverbandes beschränkt, die sicherlich nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller wissenschaftlichen Mitarbeiter sind, die aber doch einigen Aufschluss über etwaige Meinungsunterschiede zu den Professoren geben können.

Schaut man sich die Ergebnisse der Umfrage an, staunt man, wie wenig sich viele Antworten verändert haben. Die Vorstellungen von guter Forschung an der Universität und auch die Sorgen sind in vielen Punkten die gleichen geblieben. Vor allem Fragen, bei denen es um den Alltag an der Universität geht, erkennt man viel Kontinuität. Damals wie heute klagen zum Beispiel viele Professoren, dass die Forschung in ihrem Arbeitsalltag zu kurz käme. Sie wurden gebeten anzugeben, welche Anteile ihrer Arbeitszeit auf Forschung, Lehre, Prüfungen und die akademische Selbstverwaltung entfallen.

Im Durchschnitt schätzten sie vor 40 Jahren, dass 23 Prozent der Zeit auf Forschung entfielen, heute liegt der Wert praktisch gleich bei 22 Prozent. Fragt man dagegen, wie die Arbeitsaufteilung idealerweise aussehen solle, wünschen sich die Professoren heute im Durchschnitt, dass 44 Prozent ihrer Zeit der Forschung vorbehalten sein sollten.

Vielleicht etwas überraschend ist der Befund, dass die Belastung durch die Lehre in den letzten 40 Jahren abgenommen hat – zumindest im Vergleich zu anderen Tätigkeiten. 1976 entfielen im Durchschnitt noch 42 Prozent der Arbeitszeit auf Lehrtätigkeiten, heute sind es noch 28 Prozent. Deutlich zugenommen hat dagegen der Aufwand für die akademische Selbstverwaltung.

Auch der Aufwand für Prüfungen ist gestiegen: Eine Frage lautete: "Wie viele Kandidaten prüfen Sie pro Semester – schriftliche und mündliche Prüfungen zusammengenommen? Gemeint sind hier neben Klausuren auch Abschlussarbeiten, Hausarbeiten usw." Auf diese Frage antworteten 1976 33 Prozent der Professoren, dass sie pro Semester 100 oder mehr Kandidaten prüften, heute geben 61 Prozent diese Antwort. Juniorprofessoren, Privatdozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter nennen geringere Zahlen, doch auch sie sind zumindest in einigen Fächern erheblich belastet: Während nur 30 Prozent der befragten Geisteswissenschaftler – Professoren, Privatdozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter zusammengenommen – über 100 und mehr Prüfungen pro Semester berichten, sind es bei den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern 59 Prozent.

Verändert hat sich das Bild der Karrierechancen an der Universität. Das zeigen beispielsweise die Antworten auf die Frage "Wie sehen Sie das: Sind die Hochschulen heute für begabte Nachwuchswissenschaftler verstopft, oder haben wirklich begabte Nachwuchswissenschaftler in Ihrem Fach nach wie vor die Chance, eine Laufbahn als Hochschullehrer und Forscher einzuschlagen?" Vor 40 Jahren meinte jeder zweite befragte Professor, die Hochschulen seien verstopft, 2016 gaben nur noch 15 Prozent diese Antwort. Allerdings haben hier die Nachwuchsforscher eine deutlich andere Wahrnehmung: 35 Prozent der Juniorprofessoren und Privatdozenten und sogar 42 Prozent der Nachwuchsgruppenleiter, Habilitanden und Postdocs sagten, die Hochschulen seien für den Nachwuchs verstopft.

Massiv verschoben hat sich auch die Einschätzung der Frage, ob Frauen oder Männer bessere Chancen an der Universität haben. Auf die Frage "Haben Ihrem Eindruck nach weibliche Nachwuchswissenschaftlerinnen geringere oder größere Chancen, eine Anstellung an der Hochschule zu bekommen, als gleich begabte männliche Kollegen?" antworteten 1976 37 Prozent der Professoren, Frauen hätten geringere Chancen. Lediglich ein Prozent hielten sie für bevorzugt, die übrigen sagten, sie hätten gleiche Chancen oder äußerten sich unentschieden.

Dieses Bild hat sich heute umgekehrt: 2016 antworteten noch 10 Prozent der Professoren, Frauen hätten geringere Chancen, während 44 Prozent ihnen bessere Chancen zuschrieben. Bei dieser Frage gibt es naheliegenderweise große Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten, doch auch die Frauen sagten mit einer knappen relativen Mehrheit von 48 zu 44 Prozent, Frauen hätten mindestens die gleichen Chancen auf eine Anstellung an der Universität wie Männer. Aus einer Frauendiskriminierung ist nach dem Eindruck einer Mehrheit der Hochschullehrer eine Männerdiskriminierung geworden.

Während also alles in allem die Chancen auf eine Karriere an der Hochschule heute günstiger eingeschätzt werden als vor vier Jahrzehnten, hat auf der anderen Seite die Sorge zugenommen, die besten Mitarbeiter an die freie Wirtschaft zu verlieren. Der Aussage „Die besseren Chancen in der Wirtschaft machen es unmöglich, hochqualifizierte Mitarbeiter an der Hochschule zu halten oder für die Hochschule zu gewinnen“ stimmten 1976 10 Prozent der Professoren zu, heute sind es mit 20 Prozent doppelt so viele, wobei es, anders als man vielleicht annehmen könnte, weniger die Naturwissenschaftler sind, die diese Sorge äußern, als vielmehr die Mediziner, die zu 29 Prozent sagen, es sei unmöglich, den qualifizierten Nachwuchs an der Universität zu halten.Zu den besorgniserregenden Ergebnissen der Umfrage gehört die fast durchgängige Zunahme der Zahl der Klagen über Probleme, die die Forschung behindern. Vor 40 Jahren stimmten 57 Prozent der Professoren der Aussage zu "Zur Forschung gehört auch schöpferische Muße. Die fehlt", 2016 sind es 79 Prozent. Die Zahl derjenigen, die sagen, es gebe an ihrem Institut zu wenige oder gar keine Forschungsmittel, ist von 57 auf 68 Prozent gestiegen. Bei der Aussage, man bekäme kaum gute Leute für die Forschung, weil die Stellen für zu kurze Zeit befristet sind, ist eine Zunahme von 33 auf 45 Prozent zu verzeichnen, bei der Klage, die Hochschulverwaltung hemme mit ihrer Einflussnahme die Arbeit, von 33 auf 47 Prozent.

Lediglich bei dem Punkt "Die Lehrverpflichtungen sind so gestiegen, dass man heute kaum noch zur Forschung kommt" ist ein Rückgang von 49 auf 35 Prozent zu vermelden, passend zu dem bereits beschriebenen Befund, wonach die Belastung durch die Lehre zumindest subjektiv zurückgegangen ist. Alles in allem müssen sich die Forscher aber offensichtlich mit mehr Hindernissen herumschlagen als vor vier Jahrzehnten. Das Bild wird ergänzt durch die Tatsache, dass 55 Prozent der Professoren und sogar rund zwei Drittel der Juniorprofessoren, Privatdozenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter sagen, ihr Institut sei zu stark von Drittmitteln abhängig.

Die Reformen der letzten eineinhalb Jahrzehnte werden von den Hochschullehrern überwiegend negativ beurteilt. Während die Einführung von Juniorprofessoren von einer großen Mehrheit als gute Maßnahme bezeichnet wird, lehnen 59 Prozent der Professoren und nahezu gleich viele andere Hochschullehrer die Idee der Exzellenzinitiative ab. Die konkrete Umsetzung der Exzellenzinitiative betrachten sogar drei Viertel als "weniger gut" oder "gar nicht" gelungen, und auch die Pflicht, neue Studiengänge von Agenturen akkreditieren zu lassen, lehnen drei Viertel der Professoren und fast zwei Drittel der übrigen Befragten ab.Geradezu vernichtend ist das Urteil über den Bologna-Prozess. Den Befragten wurde eine Liste mit 14 Aussagen hierzu vorgelegt mit der Bitte anzugeben, welchen davon sie zustimmen. Das Ergebnis: Keine der positiven Aussagen erhielt die Zustimmung von mehr als einem Viertel der Professoren, sechs der acht negativen stimmte dagegen mehr als der Hälfte von ihnen zu. So sind 79 Prozent der Ansicht, der Bologna-Prozess habe zu mehr Bürokratie geführt, 72 Prozent sagen, die Lehre sei unflexibler geworden, 62 Prozent, er führe dazu, dass die Studenten kein selbstständiges Denken ausbilden könnten.

Dass Bologna Auslandsaufenthalte erleichtere, meinen dagegen nur 25 Prozent, eine bessere internationale Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse stellen gerade 18 Prozent fest, dass die Absolventen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können, glauben 11 Prozent. Es ist offensichtlich, dass die Bologna-Reform aus Sicht der großen Mehrheit der Hochschullehrer – zumindest gemessen an ihren eigenen Ansprüchen – krachend gescheitert ist.

Und doch ist der Eindruck, den man aus den Umfrageergebnissen gewinnt, unter dem Strich eher etwas positiver als der von vor 40 Jahren. Jedenfalls sind die Hochschullehrer heute selbstbewusster als damals: 1976 sagten 45 Prozent der Professoren, es gebe an ihrem Institut hervorragende Wissenschaftler, die zu den führenden Leuten in ihrem Fach zählten, heute geben 59 Prozent diese Antwort. Und während vor vier Jahrzehnten 48 Prozent der Professoren meinten, viele fruchtbare Forschungsideen kämen von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden, sind es im Jahr 2016 55 Prozent. Das lässt darauf schließen, dass es um die Verzahnung von Forschung und Lehre trotz Bologna noch immer nicht ganz schlecht bestellt ist.

Die ausführlichen Ergebnisse der Allensbach-Umfrage können bei der Redaktion von Forschung & Lehre angefordert werden.