Beitrag melden


Kommentar melden

Kommentar melden

News: Mein Gehirn lernt, aber nicht ich

Man kann den Groll gegen Teile der Neuro- und Kognitionswissenschaften verstehen. Auf der Ebene der Elemente eines neuronalen Netzes lässt sich keine Philosophie des Geistes betreiben. Es lassen sich biologische Mechanismen von Lernprozessen verstehen, nicht jedoch die Semantik der gelernten neuronalen Korrelate. Einige Kollegen würden dies anders sehen. Daraus folgt aber nicht, dass es keine neuronalen Korrelate gibt, die Gedanken und deren Entwicklung repräsentieren. Ich darf feststellen, die Pointe ihres Beitrages in F&L existiert nicht.

Ihre ironische These “Wir müssen in der Wissenschaft wieder begreifen, dass es Dinge gibt, die derart komplex sind, dass man ihnen nur durch Nachdenken beikommen kann.” erscheint mir wenig hilfreich um die hohen Mauern zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften abzutragen. Genau dies tun wir seit Jahren mit unserer Bremer Ringvorlesung Universelle Eigenschaften des Entscheidens, siehe http://decisions.uni-bremen.de/ringvorlesung/ Wir laden ein zum Dialog! Miteinander diskutieren halte ich für deutlich besser als de facto zu proklamieren nur Geisteswissenschaftler würden denken ;-). Messen und Rechnen sind ebenfalls komplexe kognitive Prozesse! Sie dürfen überrascht sein. Es muss sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Nicht-linearitäten einfach nicht durch reines Denken erfassbar sind, zumindest nicht von den meisten Menschen.

Entscheiden, sowie weitergehend Intelligenz und noch weiter gefasst Bewusstsein, lassen sich naturwissenschaftlich beschreiben, wenn wir auch noch weit davon entfernt sind Gefühle (Qualia) und das “Ich” wirklich zu erklären. Ich vermute es wird einmal eine Physik des Geistes geben. Max Tegmark wirft in seinem Buch Life 3.0 in Kapitel 8 einen Lichtschein auf das ferne Ziel. Meiner Einschätzung nach wird eine Physik des Geistes eine stochastische Physik der Information und ihrer Muster sein.

Die Erfolge der Künstlichen Intelligenz kann Naturwissenschaftlern das immense Wissen der Geistes- und Sozialwissenschaften zugänglich machen und tut dies bereits. Dies kann jedoch in der gebotenen Gesamtheit nur gelingen wenn die Disziplinen voneinander lernen. Man muss wie ein Biologe denken um biologische Mechanismen ultimativ effektiv physikalisch zu beschreiben. Dies gilt in einem erweiterten Sinne auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften.

Komplexe Strukturen bzw komplexe Sinngehalte bedürfen ihrer eigenen Sprache. Diese Erkenntnis ergibt sich aus der Theorie der Kausalen Emergenz, siehe den sehr lesenswerten Artikel https://medium.com/@erikphoel/a-primer-on-causal-emergence-87e6e6944ebc Eine Physik des Geistes und eine Philosophie des Geistes ergänzen und komplimentieren sich in ihren Aussagen.

Es lässt sich ein Trend zur Quantifizierung weiter Teile der Geisteswissenschaften beobachten. Big Data und technologische Gimmicks wie Googls Glass sind erst der Anfang. Naturwissenschaftler müssen jedoch ihre Arroganz überwinden. Worte können so scharfsinnig sein wie Mathematik oder Physik, wenn sie wohldefiniert und exzellent gesetzt sind.
Man muss komplexe Strukturen auf der optimalen Ebene konzeptionell durchdringen, bevor eine effektive quantitative Beschreibung gelingen kann.
Gemeinsam stehen die Wissenschaften dann vielleicht schon am Ende dieses Jahrhunderts bei einem modernen Universalgelehrten wie im Altertum und der Kreis schließt sich.

Im übrigen stimmen ich ihnen weitgehend zu in ihrer geisteswissenschaftlichen Argumentation zu den Grundwerten von Bildung zurückzukehren.

HGD