Korallenriffe an einer grünen Küste
pixabay

Biodiversität
Ausmaß des Artensterbens noch nie so groß wie heute

Mehr als 130 Länder haben einen globalen Report zur Artenvielfalt der Erde unterzeichnet. Die Ergebnisse zeichnen ein unheilvolles Bild.

06.05.2019

Die Kernaussagen des ersten globalen Berichts des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zur Artenvielfalt wurden am Montag in Paris vorgestellt. Demnach sind von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit rund eine Million vom Aussterben bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens war damit in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß wie heute – und die Aussterberate nimmt weiter zu. Drei Viertel der Naturräume an Land wurden vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel.

Die Menschheit lasse in rasendem Tempo die Natur von der Erde verschwinden. Dafür gebe es inzwischen überwältigende Beweise, warnte der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), Robert Watson, am Montag. "Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität." Die Weltgemeinschaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen, hieß es.

Gravierende Folgen für Menschen weltweit sind inzwischen wahrscheinlich.

Immer wieder verdeutlichen die Autoren des Berichts, dass der Verlust an Biodiversität kein reines Umweltthema ist, sondern auch Entwicklung, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme beeinflusst. Gravierende Folgen für Menschen weltweit seien inzwischen wahrscheinlich, warnen sie. Noch sei es aber nicht zu spät für Gegenmaßnahmen, erklärte Watson, "aber nur, wenn wir sofort auf allen lokalen bis globalen Ebenen damit beginnen".

"Die Biodiversität und die Naturgaben für den Menschen sind unser gemeinsames Erbe und das wichtigste Sicherheitsnetz für das Überleben der Menschheit", erklärte die Argentinierin Sandra Díaz. Dieses Netz sei jedoch inzwischen bis fast zum Zerreißen belastet. Díaz, Ökologin an der Nationalen Universität Córdoba, ist neben Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle und dem brasilianischen Anthropologen Eduardo Brondízio Hauptautorin des IPBES-Berichts.

Bisherige Naturschutz-Konzepte nicht ausreichend

In den meisten Lebensräumen auf dem Land schwand die Zahl dort natürlich vorkommender Arten im Mittel um mindestens 20 Prozent, zumeist seit 1900, lautet eine Kernaussage des Berichts. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten, fast 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind demnach bedroht. Auch bei Nutztieren schwinde die Vielfalt: Mehr als neun Prozent der zur Nutzung als Fleischlieferant oder Arbeitstier domestizierten Säugetierrassen seien bis 2016 ausgestorben.

Die Verluste bei Ökosystemen, wildlebenden Arten sowie Nutztieren und -pflanzen seien eine direkte Folge menschlicher Aktivitäten – "und schaffen eine direkte Bedrohung des Wohlergehens der Menschheit in allen Regionen der Welt", sagte Settele. Zwar gebe es Fortschritte, selbst die schon vereinbarten Ziele zum Erhalt der Natur und ihrer nachhaltigen Nutzung seien aber auf dem bisher eingeschlagenen Weg nicht zu erreichen. Deutschland ist dabei nicht ausgenommen: "Die deutsche und europäische Biodiversitäts-Strategie ist ein Papiertiger, der viel zu wenige Fortschritte gebracht hat", sagte der Agrarökologe Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen.

Die Autoren haben die Hauptursachen für den verheerenden Wandel nach ihrer Bedeutung gewichtet. Den größten Einfluss hat demnach die veränderte Nutzung von Land und Meer, gefolgt von der direkten Ausbeutung von Lebewesen, dem Klimawandel, der Umweltverschmutzung und invasiven eingewanderten Arten. Die Bedeutung des Klimawandels werde in den nächsten Jahrzehnten zunehmen und zumindest in einigen Bereichen weiter an die Spitze der Hauptursachen rücken.

Zahlreiche der im Bericht aufgelisteten Entwicklungen hängen eng mit dem rasanten Wachstum der Weltbevölkerung zusammen. So haben sich die landwirtschaftlichen Ernteerträge seit 1970 verdreifacht und der Holzeinschlag nahezu verdoppelt. 60 Milliarden Tonnen erneuerbare und nicht erneuerbare Rohstoffe und Ressourcen werden alljährlich abgebaut – fast doppelt so viele wie noch 1980. Die mit Städten bebaute Gesamtfläche ist inzwischen mehr als doppelt so groß wie noch 1992. Gar verzehnfacht hat sich seit 1980 die Plastikmüll-Verschmutzung, zudem gelangen Unmengen Schwermetalle, Gifte und andere Abfallstoffe aus Fabriken in Gewässer, wie es in dem Bericht heißt.

Wissen als Grundlage für politische Maßnahmen

Der Artenvielfalt-Bericht soll einen weltweit akzeptierten Sachstand zu Lage, Problemen und möglichen Lösungen bieten – ähnlich den Papieren des Weltklimarats IPCC für den Klimawandel. Die rund 40-seitige Zusammenfassung war am Samstag von den 132 Mitgliedsstaaten des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) verabschiedet worden. Das Papier enthält die Kernpunkte einer umfassenden Analyse, die erst später veröffentlich wird.

Ein ähnlicher globaler Check war zuletzt vor 14 Jahren präsentiert worden. Für die Neuauflage trugen 145 Experten aus 50 Ländern drei Jahre lang Wissen aus Tausenden Studien und anderen Dokumenten zusammen. Sie prüften auch, wie weit die Welt bei bereits vereinbarten Artenschutz-Zielen gekommen ist. Auch das Wissen indigener Völker bezieht der IPBES-Bericht mit ein.

Beteiligte Forscher hoffen, dem Artenschutz neuen Aufwind verleihen und einen Wandel Richtung nachhaltige Entwicklung anstoßen zu können. "Politische Maßnahmen, Anstrengungen und Handlungen werden – auf allen Ebenen – nur erfolgreich sein, wenn sie auf bestem Wissen und Beweisen beruhen", sagte der IPBES-Vorsitzende Robert Watson. Genau diese Grundlage stelle der neue Bericht bereit.

"Dass keine gesicherten Erkenntnisse bestünden, kann fortan niemand mehr behaupten."

"Dass keine gesicherten Erkenntnisse über den globalen Zustand der biologischen Vielfalt, die direkten und indirekten Ursachen für das derzeitige Massenartensterben und über Alternativen bestünden, kann fortan niemand mehr behaupten", sagte Mitautor Jens Jetzkowitz von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Besonders wichtig ist der Report für die Weltartenschutzkonferenz 2020 in China. Dort sollen die Eckpunkte für den weltweiten Artenschutz nach 2020 festgelegt werden.

dpa/ckr