Dexamethason Tablettenpackung
mauritius images / David Kilpatrick / Alamy

Dexamethason
Aussichtsreicher Corona-Wirkstoff mit unbekannten Nebenwirkungen

Erstmals scheint ein Medikament die Sterblichkeit bei Covid-19 merklich mindern zu können. Die WHO jubelt, deutsche Experten sind noch skeptisch.

17.06.2020

Nach ersten positiven Ergebnissen zum Einsatz des Entzündungshemmers Dexamethason bei schweren Covid-19-Verläufen warnen deutsche Expertinnen und Experten vor verfrühter Euphorie. Eine abschließende Einschätzung sei erst möglich, wenn die Originaldaten ausführlich gesichtet seien, sagte etwa Professorin Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, hatte die Ergebnisse der "Recovery"-Studie als "großartige Neuigkeiten" bezeichnet. Endlich sei ein Mittel gefunden, das die Sterblichkeit von Covid-19-Patienten verringere. Vorläufige Ergebnisse der klinischen Studie weisen darauf hin, dass die Sterberate bei künstlich beatmeten Patientinnen und Patienten durch Dexamethason um ein Drittel sinken könnte, teilte die Universität Oxford am Dienstag mit. Die Daten sind allerdings noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht und von anderen Experten begutachtet.

Wichtig sei laut Vehreschild, die Nebenwirkungen noch weiter aus den Daten herauszuarbeiten. Laut Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin am München Klinik Schwabing, Professor Clemens Wendtner, muss geprüft werden, inwieweit der Mehrwert von Steroiden wie Dexamethason hinsichtlich der Sterberate mit schweren Infektionen anderer Art – sogenannten Superinfektionen – erkauft werden muss.

Dexamethason bremse die Immunantwort gegen das Virus und könnte so dazu führen, dass das Virus langsamer eliminiert wird, sagte Professor Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Zu prüfen sei auch, ob die Patientengruppe, die Dexamethason erhielt, und die Vergleichsgruppe wirklich vergleichbar waren, erklärte der Pneumologe Professor Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Möglicherweise einer von acht Todesfällen vermeidbar

Dexamethason gehört zu den sogenannten Glucocorticoiden und wird seit mehr als 50 Jahren in vielen Bereichen der Medizin eingesetzt – etwa um über das Immunsystem allergische und entzündliche Prozesse zu stoppen. In der britischen "Recovery"-Studie prüfen die Forschenden die Eignung mehrerer bereits zugelassener Medikamente als Mittel gegen Covid-19. Der Dexamethason-Teil umfasste rund 2.100 Patientinnen und Patienten. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass durch Dexamethason im Mittel einer von acht Todesfällen bei schweren Covid-19-Verläufen verhindert werden könnte.

"Dexamethason ist kostengünstig, verfügbar und kann sofort eingesetzt werden, um weltweit Leben zu retten", erklärte Professor Peter Horby, einer der Studienleiter. Auch Vehreschild von der Uni Frankfurt sagte, dass sie keine grundsätzlichen Hürden bei der Verabreichung und Verfügbarkeit sehe, da der Wirkstoff bereits zugelassen und die Applikation über die Vene oder als Tablette möglich sei. "Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden", erklärte sie. Das Glucocorticoid Kortison sei ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. "Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes."

Spannend werde sein, ob andere Interventionen gegen ein überschießendes Immunsystem wie der Einsatz von teuren Interleukin-1- oder Interleukin-6-Rezeptor-Blockern vergleichbare Effekte haben, erklärte Wendtner. "Angesichts des insgesamt nur kleinen, wenn auch signifikanten Herabsetzens der Sterblichkeitsrate durch Steroide bleibt die beste Medizin die Verhinderung der Covid-19-Erkrankung durch einen effizienten Impfstoff."

dpa/ckr