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Open Science
"Besser als jeder Customer Support"

Zwei Wissenschaftler wollen sich für "Open Science" starkmachen. An der Universität Marburg haben sie dafür eine Nachwuchsgruppe gegründet.

Von Katrin Schmermund 23.07.2019

Forschung & Lehre: Sie setzen sich dafür ein, dass Forschung so öffentlich wie möglich ist. Was versprechen Sie sich davon?

Peer Herholz: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Daten frei zugänglich machen, können sie noch viel stärker voneinander profitieren. Warum das Rad neu erfinden, wenn jemand anderes eine Methode schon einmal getestet hat? Wenn er vielleicht gescheitert ist?

José Alanis: Oftmals tauschen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur innerhalb Ihres Fachs aus. Als Psychologe oder Neurowissenschaftler könnten wir aber sicherlich auch etwas von einem Geophysiker oder einem Literaturwissenschaftler lernen, neue Denkanstöße bekommen, Problemlösungsansätze kennenlernen. Sind Daten frei zugänglich, ist das viel leichter möglich.

Peer Herholz
Peer Herholz ist Doktorand am Montréal Neurological Institute der kanadischen McGill University und an der Universität Marburg. privat

F&L: Schon heute enthält jede veröffentlichte Studie einen Methodenteil – wie unterscheidet sich der zu dem, was sie fordern?

Peer Herholz: Nicht alle Studien sind für jeden Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlerin zugänglich. Das liegt daran, dass "Open Access" nicht die Regel ist und es sein kann, dass eine Universität keinen Zugriff auf eine Veröffentlichung hat. Außerdem geht es um mehr als "Open Access". "Open Science" zielt auf die Beantwortung der Fragen: Wie habe ich gearbeitet und wie kam ich dahin? Das lässt sich nur nachvollziehen, wenn die einzelnen Schritte dokumentiert werden. Dazu gehört auch, dass ich angebe, in welchen Punkten ich mein Forschungsdesign angepasst habe, damit andere nicht in dieselben Sackgassen stolpern.

F&L: Nicht jeder macht solche Angaben. Wirft es nicht schnell ein negatives Bild auf einen Forscher, wenn er vermeintlich ständig Fehler macht, während bei einem anderen alles reibungslos zu laufen scheint?

Peer Herholz: Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, weiß jeder Forschende, dass eine Studie in den seltensten Fällen bis ins letzte Detail am Ende dem entspricht, was ursprünglich angedacht war. Dazu gibt es einfach zu viele Unwägbarkeiten. Man lernt im Forschungsprozess ja laufend dazu.

F&L: Wie sieht es bei Ihnen konkret aus, wenn Sie offen forschen?

Peer Herholz: "Open Science" beginnt mit der ersten Idee und endet mit dem veröffentlichten Paper. Schon die Literatur, auf die wir zurückgreifen, können wir in einem Projektordner offen zugänglich machen. Im Anschluss können wir unser Forschungsdesign und unseren Datenmanagement-Plan bereitstellen und laufend aktualisieren. Auch kann man die einzelnen Forschungsschritte in einer Art Tagebuch nachhalten.

José Alanis
José Alanis promoviert an der psychologischen Fakultät der Universität Marburg. privat

José Alanis: Hat man erste Daten, kann man sie zusammen mit dem Analysecode digital hinterlegen. So können andere die Auswertungen nachvollziehen und in Replikationsstudien wiederausführen. Für die Belastbarkeit und die Nachhaltigkeit von Forschungsergebnissen ist das ein deutlicher Mehrwert.

Peer Herholz: Schließlich folgt die Veröffentlichung über "Open Access", damit auch die finale Studie frei zugänglich ist. Gut finde ich, dass immer mehr Verlage sogenannte "Pre-Prints" unterstützen. Über Server wie "biorxiv" oder "psyarxiv" können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Entwürfe für das finale Paper veröffentlichen. Das hat den Vorteil, dass man selber oft noch hilfreiches Feedback von anderen erhält und diese wiederum daraus lernen können, wie sich die Studie in den letzten Korrekturschleifen noch verändert hat.



F&L: Wie schützen Sie sich davor, dass jemand anderes Ihre Idee umsetzt, bevor sie es tun?

Peer Herholz: Das Ganze basiert natürlich auf der Überzeugung von der Integrität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untereinander. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese im Schnitt auch überwiegt. Wer einmal einen Fuß in das Open-Science-Netzwerk gesetzt hat, merkt schnell, wie stark die Community ist – die Unterstützung ist besser als jeder Costumer Support. Absichern kann man sich nichtsdestotrotz mit einer Präregistrierung der Forschungsidee. Dabei hält man die Fragestellung einer Studie und das geplante Vorgehen online vorab online fest. Eine der bekanntesten Plattformen dafür ist das Open Science Framework (kurz OSF). Auch kann man jederzeit einzelne Inhalte der Forschung durch einen "Digital Object Identifier" (DOI) schützen.

José Alanis: Immer mehr Verlage bieten außerdem an, bereits ohne erste Daten in das Peer-Review-Verfahren zu gehen. Auch das gibt Sicherheit. Sobald die Gutachter eine Forschungsidee akzeptiert haben, wird die Studie veröffentlicht – egal, was rauskommt. Unabhängig davon ist es natürlich meine persönliche Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt ich meine Daten öffentlich zugänglich mache. Ich kann es zeitgleich zum Forschungsprozess tun oder nachträglich. Damit umgehe ich die Gefahr, dass andere meine Idee aufgreifen.

F&L: Sie haben nach ihrem Aufenthalt in Kanada begonnen, sich in Deutschland für "Open Science" einzusetzen. Ein Zufall?

Peer Herholz: In Kanada haben wir einen andere Partizipationskultur kennengelernt, die wir so aus Deutschland nicht kannten. Das gilt auch für den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. In Ländern wie Kanada, den USA oder Großbritannien ist die Wissenschaftskommunikation schon sehr lange fester Bestandteil des Forschens: Es gibt "Science Educators", deren Aufgabe es ist, Wissenschaft gut und einfach zu kommunizieren. Bei "Ring a scientist" können Schülerinnen und Schüler einen Wissenschaftler als Experten per Skype in den Unterricht holen. Es gibt große "Science Centers", in denen Kinder experimentieren können. "Citizen Science" hat eine lange Tradition. Auch in Deutschland findet man immer mehr solcher Ansätze, aber es sind noch vergleichsweise wenige und vor allem wird kaum darüber geredet.

"Datenschutz sticht immer, weil es im Zweifel um persönliche Daten geht, die keinen etwas angehen." Peer Herholz

F&L: "Open Science" wird aus Datenschutzgründen kritisch diskutiert. Wie steht die Universität Marburg zu der Nachwuchsgruppe, die sie dort gegründet haben?

José Alanis: Keiner war gegen uns. Eher habe ich das Gefühl, dass einzelne "Open Science" als eine Art Trend sehen, der wieder vorbei geht. Getreu nach dem Motto: "Never change a running system".

Peer Herholz: Vielen Kritikern scheint nicht bewusst zu sein, dass "Open Science" mit Datenschutz einhergeht. Datenschutz sticht immer, weil es im Zweifel um persönliche Daten geht, die keinen etwas angehen. Wir holen uns immer die Erlaubnis für die Veröffentlichung von Daten und sind dazu verpflichtet, diese zu anonymisieren und zwar so, dass nicht mehr erkennbar ist, wer dahinter steckt. Infolge der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dürfen Daten außerdem nur noch auf europäischen Servern lagern. Kann das nicht gewährleistet werden, scheiden entsprechende Angebote aus.

José Alanis: Zusätzlich können wir die "Creative Commons"-Lizenz so auswählen, dass die Daten nur für Forschungszwecke und nicht kommerziell genutzt werden dürfen. Daran muss sich dann auch derjenige halten, der mit den Daten weiterarbeitet.

F&L: Wie sieht ihre Prognose für die Verbreitung von "Open Science" in Deutschland aus?

Peer Herholz: Noch dominieren in vielen Fächern der Impact-Faktor und große Wissenschaftsverlage haben eine enorme Macht auf das Publikationswesen. Replikationsstudien oder solche mit einem Nullergebnis sind unbeliebt, weil sie weniger Aufmerksamkeit erhalten. Es gibt kaum Anreize für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihre Forschungsergebnisse offenzulegen. Aber wir befinden uns in einem Wandel: Erfahrungen in der Datenstrukturierung und im Datenmanagement gewinnen an Bedeutung. Angehende Professorinnen und Professoren werden im Berufungsverfahren immer wieder nach entsprechenden Erfahrungen gefragt. Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verpflichten sich der "Research Transparency and Open Science" und Universitäten fördern ihr Engagement. Parallel wächst weiter der Ärger über die etablierten Verlage. Wir haben Kollegen, die haben ihr Paper bei einem der großen Wissenschaftsverlage publiziert und können es selbst nicht anschauen. Das stößt mehr und mehr Leuten auf.