Mann mit Fernglas und Block
dpa

Citizen Science
Bundesregierung will Bürger stärker an Forschung beteiligen

Forscher binden immer wieder auch Nicht-Wissenschaftler in ihre Projekte ein. Die Grünen fordern dafür mehr politische Unterstützung.

20.08.2018

Die Bundesregierung will eine neue Förderlinie für Citizen Science entwickeln. Bestehende Programme sollen beibehalten oder ausgebaut werden. Dabei soll ein noch breiterer Querschnitt der Bevölkerung erreicht werden, sodass auch Personen ohne eine akademische Bildung stärker mitwirken. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. 

Die Forschungsergebnisse von Citizen-Science-Projekten sollten dabei grundsätzlich nach dem Open Access Prinzip veröffentlicht werden. Geförderte Forscherteams müssten daher einen Datenmanagementplan erstellen, in dem sie festhalten, wie sie die im Projekt erhobenen Daten verarbeiten wollen.

Citizen Science – Bürger im Dialog mit der Wissenschaft

Was ist Citizen Science?
Citizen Science bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger in wissenschaftliche Forschungsprojekte einbezogen werden. Das Ausmaß und die damit verbundenen Gestaltungsspielräume der Teilnehmer unterscheiden sich. Ohne eine Beteiligung von Wissenschaftlern finden laut der Definition von Citizen Science jedoch kein Projekt statt.

Am häufigsten ist nach Analysen des Instituts für Innovation und Technik (iib) die sogenannte "Kollaboration". Gemeint ist damit, dass Bürger unter Anleitung von Wissenschaftlern eingebunden werden, um Daten zu erheben und weiterzuleiten. Weitere Formen sind Kooperation (minimale Beteiligung ohne eigenständige Arbeit), Ko-Produktion (Mitforschen und -analysieren) und Ko-Design (Beteiligung auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlern). Ko-Produktion und Ko-Design seien selten. Auch würden Wissenschaftler hier auf fachliche nicht-wissenschaftliche Experten zurückgreifen, ein Beispiel wären Berufsfischer.
Wie profitieren Wissenschaft und Gesellschaft?
Wie bei Brandis beteiligen sich Bürgerinnen und Bürger oft aus persönlichem Interesse oder aus gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl. Auch können sie sich so aktiv in die Wissenschaft sowie gesellschaftlich einbringen. Studien kommen zu dem Schluss, dass ein insgesamt höheres Bildungsniveau, mehr Freizeit und eine längere (gesunde) Lebenszeit der Bürgerinnen und Bürger zu einer Zunahme an Citizen Science geführt habe. Die Digitalisierung biete außerdem viele neue Möglichkeiten. So könnten Bürgerinnen und Bürger beispielsweise leicht über Apps oder Wearables an Studien teilnehmen und ihre Ergebnisse teils in Echtzeit verfolgen, was für sie den Anreiz teilzunehmen erhöhen kann.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten profitieren, weil sie meist kostenlos eine große Anzahl von Daten sowie Feedback zu ihrem Ansatz erhielten. Auch könnten sie neue Blickwinkel auf ihre Forschung gewinnen. Auf der anderen Seite hätten Bürger das Gefühl, eingebunden zu sein und mitgestalten zu können. Dadurch könne die Wissenschaft "ihr Dogma als abgeschottetes, sich selbst reproduzierendes System aufbrechen" und "gesellschaftlich induzierte nachhaltige Lösungsansätze entwickeln", schrieb Simone Kaiser vom Fraunhofer Institut gemeinsam mit weiteren Autoren in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Welche Gefahren birgt Citizen Science?
Werden Citizen-Science-Projekte nicht ausreichend oder gar nicht von Forschenden begleitet, fehlt die wissenschaftliche Einordnung, was die Qualität der Ergebnisse und möglicherweise das Vertrauen anderer Bürger in die Aussagekraft wissenschaftlicher Studien gefährdet. Auch kann es die Ergebnisse von Studien verzerren, wenn Untersuchungen zu spielerisch gestaltet werden und etwa Rankings zwischen Teilnehmern einbinden, die diese zu einem bestimmten Verhalten animiert, das die Ergebnisse eine Studie verzerrt.

"Wissenschaft ist heute in vielen Fällen nicht mehr anfassbar", warnte Günter Stock, mittlerweile Vorstandsvorsitzender der Einstein-Stiftung Berlin, bei einer Helmholtz-Veranstaltung 2015. Die Komplexität der atomaren und molekularen Forschung könne man beispielsweise nur als ausgebildeter Wissenschaftler verstehen. Citizen Science hält er in solchen Bereichen für problematisch, wenn die Einbindung der Bürger über das reine Beobachten der Natur hinausginge. Eine Grenze sei spätestens dann erreicht, wenn Laien in risikobehafteten Disziplinen selbstständig Experimente durchführen.

Auf die Frage, ob beabsichtigte Citizen-Science-Projekte Einfluss auf die Entscheidungen in Berufungsverfahren haben sollten, ging das BMBF nicht ein. Das Ministerium verwies auf die ausschließliche Kompetenz der Länder. Auch auf die Frage nach strukturellen Veränderungen an den Hochschulen wie einer Weiterbildung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Citizen Science ging das BMBF aus demselben genannten Grund nicht ein.

Die Grünen kritisierten fehlendes Konzept

Die Grünen hatten eine mangelnde Förderung der Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Wissenschaft kritisiert. Dabei könnten diese dabei helfen, gesellschaftlich relevanten Fragestellungen auf den Grund zu gehen.

Es fehle an einem stimmigen Konzept. Stattdessen existiere ein "Flickenteppich unverbundener Einzelmaßnahmen", wie der "Tagesspiegel" die Partei zitiert. Darüber würden Bürgerinnen und Bürger oftmals nicht als beteiligte Forschende ernstgenommen. Sie würden eingebunden, um in der Bevölkerung Akzeptanz für bereits beschlossene Programme zu erzielen.

Die zentrale Plattform für Citizen Science in Deutschland ist die vom BMBF und dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft geförderte Plattform "Bürger schaffen Wissen". Sie bietet einen Überblick über Citizen-Science-Projekte und vernetzt Wissenschaftler und interessierte Bürger. Auch im laufenden Forschungsrahmen der EU hat Citizen Science eine eigene Förderlinie: "Science with and for Society". Das BMBF will sich laut eigenen Angaben dafür einsetzen, dass diese bekannter wird.

kas