Eine Person überreicht einer anderen ein Dokument
mauritius images/Photo Alto/Frederic Cirou

Dubiose Geschäftsmodelle
Dem Betrug im Publikationswesen auf der Spur

Dr. Anna Abalkina forscht zu unrechtmäßigen Machenschaften im Publikationswesen. Wie geht sie dabei vor und wie kann sie unterstützt werden?

Von Katrin Schmermund 12.08.2020

Forschung & Lehre: Frau Dr. Abalkina, vor kurzem haben Sie betrügerische Geschäfte mit der Zeitschrift "Talent Development and Excellence" aufgedeckt. Die Zeitschrift war gehackt, der Name der Zeitschrift auf deren Website leicht angepasst und Autorinnen und Autoren zur Zahlung aufgefordert worden, ohne dass es ein Peer-Review-Verfahren gab. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?

Anna Abalkina: Ein Kollege hatte mich auf russischsprachige Artikel hingewiesen, die auf einer anderen Sprache bereits in "Talent Development and Excellence" erschienen waren. Von dieser Zeitschrift wurden mir in der wissenschaftlichen Datenbank "Scopus" für 2020 viel mehr Artikel angezeigt als für die Vorjahre. Auffällig war außerdem, dass rund ein Fünftel der Artikel von Forschenden aus Russland stammten, von denen viele an Universitäten beschäftigt sind, die nach unseren Recherchen betrügerische Geschäftsmodelle mit sogenannten "predatory journals" verfolgen. Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Betrugsfall handelt und bin der Sache nachgegangen.

Dr. Anna Abalkina
Dr. Anna Abalkina ist Postdoc am Lehrbereich Gesellschaften Osteuropas der LMU München. Mit dem Netzwerk "Dissernet" hat sie Plagiate in knapp 10.000 Dissertationen und rund 5.000 Artikeln aufgedeckt. privat

F&L: Wie ist Ihr Kollege auf die Artikel gestoßen?

Anna Abalkina: Er engagiert sich wie ich ehrenamtlich bei "Dissernet". Das Netzwerk wurde 2013 gegründet, um Plagiate in Dissertationen – insbesondere solchen von prominenten russischen Persönlichkeiten – zu erkennen. Wir haben ein Skript geschrieben, mit dem wir Online-Artikel mit anderen Artikeln auf Plagiate hin abgleichen können.

F&L: Wie gehen Sie vor, wenn ihnen ein Journal verdächtig vorkommt?

Anna Abalkina: Ich schaue mir als erstes die Website eines Journals an. Die kann interessante Hinweise auf einen Betrug liefern, zum Beispiel wenn Impressum, ISSN oder die Leitlinien zur Veröffentlichung in der Zeitschrift fehlen. Verdächtig ist auch, wenn die Korrespondenz-E-Mail über "gmail" oder "yahoo" läuft. Neben der Website schaue ich mir die Autorinnen und Autoren genauer an. Wenn ein Forscherteam zum Beispiel zu einem regionalen oder lokalen Thema forscht, aber über das das ganze Land hinweg verteilt lebt, geht da vermutlich etwas nicht mit rechten Dingen zu. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf einen ihnen unbekannten Zeitschriftentitel stoßen, lohnt sich außerdem immer der Blick in Listen von "predatory journals", wie Bealls oder Cabell. Selbst mache ich das nicht, weil ich vor allem im russischsprachigen Raum forsche und wir dafür eigene Listen angelegt haben.

F&L: Welche Entwicklung erwarten Sie beim Betrug im wissenschaftlichen Publikationswesen?

Anna Abalkina: Wir wissen auch heute nicht genau, wie viele Betrugsfälle es gibt, weil sie oft ungeklärt bleiben. Eine Prognose ist daher schwierig. Ich fürchte jedoch, dass die Zahl an Betrugsfällen tendenziell steigen wird. Zum einen steigt die Zahl an Publikationen und erschwert den Überblick über seriöse Zeitschriften. Zum anderen werden Kooperationen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Ländern stärker forciert, in denen die wissenschaftlichen Standards im Schnitt niedriger sind als zum Beispiel in Europa oder dem angloamerikanischen Raum. Gleichzeitig dürften Betrugsfälle entdeckt werden, die vorher unbemerkt geblieben wären, weil in Ländern wie Deutschland mehr Transparenz beim Publizieren gefordert wird und Programme zur Erkennung von Plagiaten und anderen Betrugsfällen funktionsstärker werden.

F&L: Wie können solche Betrugsfälle noch besser verhindert werden?

Anna Abalkina: Es sollte eine Null-Toleranz-Strategie in der Verfolgung von internationalen Betrugsfällen in der wissenschaftlichen Forschung verfolgt werden. Auch halte ich es für wichtig, dass die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens noch besser kommuniziert und gerade Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler über "predatory journals" aufgeklärt werden.

Betrug im Publikationswesen: die rechtlichen Schritte

Der Betrug mit wissenschaftlichen Fachzeitschriften kann für Betrügerinnen und Betrüger ein lukratives Geschäftsmodell sein. Die Hacker der Zeitschrift "Talent Development and Excellence" haben laut Forscherin Abalkina knapp 1.000 US-Dollar pro Artikel genommen, um diese nach ihrem Modell zu veröffentlichen. Bei 462 Artikeln sind das knapp 400.000 Euro.

Hacken Betrügerinnen oder Betrüger eine Seite oder fordern Geld für ein Peer-Review-Verfahren, das gar nicht stattfindet, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Strafanzeige wegen Betrugs stellen, erklärt Professor Hendrik Schneider, Strafrechtler an der Universität Leipzig. Gleiches gelte, wenn ein Journal an sich rechtmäßig arbeitet, aber einzelne Mitarbeitende unter der Hand Geld dafür fordern, den Artikel durchs Peer Review zu bringen. In diesem Fall könne Strafanzeige wegen "Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr" gestellt werden.

Wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen Bestechung oder Betrug vorgehen, können sie sich an das Gremium "Ombudsman für die Wissenschaft" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wenden. Selbst bietet das Gremium keine Rechtsberatung an. Es unterstützt aber dabei, eine geeignete Stelle ausfindig zu machen, um rechtlich gegen unrechtmäßige Geschäftsmodelle vorzugehen.

Macht ein Journal transparent, dass gegen Geld auf das Peer-Review-Verfahren verzichtet werden soll, handelt es sich nicht um eine Straftat. Es liegt dann im Ermessen der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich gegen ein solches Journal und für den seriösen Veröffentlichungsweg mit Begutachtungsverfahren zu entscheiden.

Oftmals bleiben Betrügerinnen oder Betrüger jedoch unerkannt, weil ihre Identität im Netz nur schwer nachverfolgt werden kann, zum Beispiel, wenn sie die Domain für ihre Journal-Seite anonym angemeldet haben. Auch wenn die Bezahlung in ein anderes Land geht, können deutsche Behörden laut Strafrechtler Schneider wenig tun.