Gelbe Arnika Blüten vor kargen alpinen Bergen
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Umweltschutz
Die Alpen als "Thermometer der Erde"

Mehr Pflanzen auf den Gipfeln, dafür kaum noch Gletscher. Der Klimawandel hat massive Auswirkungen auf den Alpenraum. Wissenschaftler sind besorgt.

Von Sabine Dobel 05.05.2019

Die Gletscher schwinden. Graue Steinwüsten und Moränen bleiben zurück, wo früher blaues Eis schimmerte. Damit wächst in höheren Lagen die Artenvielfalt: Insekten schwirren immer höher hinauf, und es sprießen Pflanzen, die es vorher dort nicht gab. Der Deutsche Alpenverein (DAV) wirbt vor der Europawahl zusammen mit den Alpenvereinen Österreichs und Südtirols unter dem Motto "#unserealpen" für den Alpenschutz: "Die Alpen sind schön. Noch. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen", appelliert der DAV, der am 9. Mai sein 150-jähriges Bestehen feiert.

Im alpinen Raum kommen rund 30.000 Tier- und 13.000 Pflanzenarten vor - doch viele Lebensräume verschieben sich. Bei Libellen etwa: Die Torfmosaikjungfer und die Nordische Moosjungfer kämen 200 bis 300 Meter höher vor als früher, sagt der Artenschutzreferent des Bundes Naturschutz in Bayern (BN), Kai Frobel. "Libellen gelten als sehr gute Indikatoren für Klimaveränderung, weil sie sehr mobil sind und rascher reagieren als andere Insekten." Zugleich drängten weiter unten mediterrane Arten wie die Feuerlibelle nach. "Das macht in der Summe ein Plus - obwohl das eigentlich besorgniserregend ist." Es zeige, dass der Klimawandel zu einer massiven Wanderungsbewegung der Arten führe. "Das ist in Deutschland schon voll im Gange."

Auch neue Pflanzenarten haben in der Höhe nun eine Chance, wie Forscher aus elf Ländern in einer 2018 im Fachblatt "Nature" veröffentlichen Studie nachwiesen. Von 2007 bis 2016 etablierten sich auf Europas Bergen fünfmal so viele Arten neu wie im gleichen Zeitraum vor 50 Jahren. Arnika wächst dort nun, Alpen-Rispengras sprießt auf mehr Bergen und in größerer Höhe als bisher.

Das alles ist für Forscher aber kein gutes Zeichen. "Das zeigt, dass Ökosysteme auf den Gipfeln in Bewegung geraten sind. Diese Veränderungen sollten uns zu denken geben, denn neue Arten sind hier nicht unbedingt positiv, sondern ein Zeichen dafür, dass der Klimawandel sich bereits bemerkbar macht", sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Künftig könne sich die Entwicklung möglicherweise umkehren - etwa wenn neue Arten bisherige verdrängen. Der "Nature"-Studie zufolge gibt es bereits Verlierer: Die Verbreitung des Bayerischen Enzians etwa hat abgenommen.

Ein großer Teil Europas profitiere von Ressourcen der Alpen wie den immensen Wasservorräten, gibt DAV-Vizepräsident Rudi Erlacher auch zu bedenken. "Wie es den Alpen geht, ist für ganz Europa wichtig, schließlich wirkt sich ihr Zustand auf den gesamten Kontinent aus – und umgekehrt." Nach einer Studie, die Schweizer Forscher im Fachblatt "The Cryosphere" veröffentlichten, könnten die Gletscher in den Alpen bis zum Jahr 2100 weitgehend wegschmelzen.

Die Folgen des Klimawandels zeigen sich in den Alpen auf engstem Raum, da sie von den Tälern bis zu den Gipfeln verschiedene Klimazonen repräsentieren. Derzeit gehe an den Berggipfeln die oberste Ökozone verloren, weil tiefere Vegetationszonen nach oben wanderten, erklärt PIK-Forscher Lucht. "Die Alpen können somit als wichtiges Frühwarnsystem für die Erde insgesamt dienen. Auf Berggipfeln kann man besonders früh und klar sehen, wie der Klimawandel die Natur verändert", sagt er. "Hochgebirge und Polkappen sind die Fieberthermometer der Erde."

dpa