

Zukunftstechnologien
"Die Quantenmechanik ist ein geradezu perfektes Spiel"
Forschung & Lehre: Herr Professor Schollwöck, was fasziniert Sie an der Welt der Quanten?
Ulrich Schollwöck: Mich fasziniert, dass die mathematische Struktur der Quantenmechanik vielleicht nicht intuitiv, aber letztendlich relativ einfach ist. Und trotzdem entsteht aus dieser einfachen Struktur die komplexe Vielfalt der Welt um uns herum. Ich habe mal gelesen, dass sich ein gutes Spiel dadurch auszeichnet, dass es einfache Regeln, aber komplizierte Spielverläufe hat. Und in der Hinsicht würde ich sagen, die Quantenmechanik ist ein geradezu perfektes Spiel.
F&L: Würden andere auch unterschreiben, dass das Mathematische dahinter nicht so kompliziert ist oder ist das womöglich Ihre ganz persönliche Sicht auf die Dinge?

Ulrich Schollwöck: Die Studierenden lachen, wenn ich das sage. Der Physiker Erwin Schrödinger hat auch mal gesagt: Mathematische Schwierigkeiten sind letztlich immer trivial. Natürlich ist das aus der ganz speziellen Perspektive der Quantenphysik formuliert, wo die zentralen Schwierigkeiten konzeptioneller Art sind. Die Rechnungen sind dann vielleicht unglaublich kompliziert in der Durchführung und man muss das erst handwerklich lernen, aber letzten Endes bereiten sie keine besonders tiefen gedanklichen Schwierigkeiten. Die Mathematik hat den dafür nötigen Apparat in hervorragender Weise bereitgestellt. Die meisten zentralen Phänomene der Quantenmechanik kann man schon verstehen, wenn man mit Matrizen und Vektoren umgehen kann, wie viele es bereits in der Schule gelernt haben.
F&L: Ist die Mathematik Ihr Werkzeug, um die wenig intuitive Materie zu verstehen?
Ulrich Schollwöck: Schon Galilei hat festgestellt, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist. Die Mathematik macht uns letztlich alles wesentlich einfacher und führt uns an der Stelle weiter, wo die Intuition uns vermutlich in die Irre führen würde.
F&L: Inwiefern hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit Quanten Ihre Sicht auf die Welt verändert?
Ulrich Schollwöck: Vordergründig haben wir ja den Eindruck zu wissen, was uns umgibt: dass Objekte eine bestimmte Farbe, einen Geruch, eine konkrete Masse haben. Die Welt der klassischen Physik ist eine, die uns durchaus intuitiv zugänglich ist – vermutlich deswegen, weil uns die Evolution so ausgestattet hat. Der Affe muss eine Vorstellung davon haben, was passiert, wenn er vom Baum fällt. Dass sich aber hinter dieser vermeintlich abgeschlossenen Realität, die wir erfahren, eine weitere Realitätsebene verbirgt, verwundert zunächst. Sie stellt sich noch dazu radikal anders dar und trotzdem kann aus ihr die Welt unseres Alltags entstehen.
"Dass sich aber hinter dieser vermeintlich abgeschlossenen Realität, die wir erfahren, eine weitere Realitätsebene verbirgt, verwundert zunächst."
Auf mikroskopischer Ebene können Objekte sich in einer Überlagerung aus verschiedenen Eigenschaften befinden, was aber makroskopisch nicht beobachtbar ist. Aus dem vermeintlichen Sein wird in Wirklichkeit nur Schein, weil sich dahinter noch etwas ganz anderes verbirgt. Und das ist inzwischen in unendlich vielfacher Form experimentell bestätigt.
F&L: Welche Erkenntnis im Rahmen Ihrer Arbeit hat Sie zuletzt überrascht?
Ulrich Schollwöck: Das bezog sich auf ein Material, das man seit über 30 Jahren kennt. Man weiß, dass man es quantenmechanisch beschreiben muss. Es hat ganz ungewöhnliche Eigenschaften für seine Materialklasse. Forschende haben sich seit 30 Jahren bemüht, es zu verstehen. Durch einen methodischen Fortschritt, den wir zusammen mit Kollegen aus New York erzielt haben, ist es uns gelungen, die Eigenschaften dieses Materials ganz neu zu berechnen. Und plötzlich tauchte ein Phänomen in diesem Material auf, mit dem überhaupt niemand gerechnet hatte.
Wir haben monatelang darüber nachgedacht, was diese Rechenergebnisse eigentlich bedeuten, wie sie zu erklären sind. Das war für alle Beteiligten in jeder Hinsicht eine große Überraschung und ein schöner Moment. Mittlerweile wurde das Phänomen auch im Experiment gemessen!
F&L: Sie haben innerhalb Ihres Exzellenzclusters eine Sonderfunktion bei der interdisziplinären Brückenbildung der Quantentheorie zu anderen Wissenschaften. Womit beschäftigen Sie sich da genau?
Ulrich Schollwöck: Ich habe zusammen mit meiner Kollegin Monika Aidelsburger innerhalb unseres Exzellenzclusters Munich Center for Quantum Science and Technology eine koordinierende Rolle in einer Unit übernommen, die sich mit Explorativen Forschungsrichtungen beschäftigt. Es ging darum, dass in einer bestimmten Weise alles Quantenmechanik ist. Diesen Gedanken müssen wir in machen Forschungsgebieten noch konsequenter verfolgen.
"Es gibt Ideen, chemische Reaktionen auf atomarer Ebene sozusagen wie in Zeitlupe nachzubauen, damit man sie direkt beobachten kann."
Als Beispiel würde ich nennen, dass wir uns überlegen, inwieweit man die Algorithmen, mit denen man die Eigenschaften von Molekülen in der Quantenchemie berechnet, effizienter machen kann. Man kann Chemikerinnen und Chemiker entscheidend voranbringen, indem man die innere Struktur der quantenmechanischen Wellenfunktion noch stärker berücksichtigt als bisher. Ein weiteres Beispiel sind Experimente mit den sogenannten Quantensimulatoren; man könnte sie auch analoge Quantencomputer nennen: Es gibt Ideen, chemische Reaktionen auf atomarer Ebene sozusagen wie in Zeitlupe nachzubauen, damit man sie direkt beobachten kann. Da spricht man dann von kalter Chemie. Es gibt es mittlerweile ganz tolle Ideen, um angrenzende wissenschaftliche Gebiete mit der Quantenmechanik zu befruchten.
F&L: Welche Bedeutung rechnen Sie Exzellenzvorhaben in den Quantenwissenschaften zu?
Ulrich Schollwöck: Eine absolut entscheidende. Das sage ich nicht nur als Mitglied eines Exzellenzclusters im Quantenbereich. Die Antwort lässt sich aus der empirischen Beobachtung ableiten, dass überall auf der Welt mit teilweise enormem Mitteleinsatz Zentren für Quantentechnologien aus dem Boden gestampft werden. Dieser Trend läuft jetzt schon etwa zehn Jahre.
Bereits für den klassischen Computer benötige ich ein gigantisches Ökosystem und beim Quantencomputer ist es genauso. Die Fabrikation stellt enorme Anforderungen an die Präzision der Fertigung, dann die Integration der Devices in einen Computer, schließlich die Programmierung der Quantenalgorithmen. Das alles muss von einer Vielzahl verschiedener Leute idealerweise an einem Ort gemacht werden. Das versuchen wir alles zur Verfügung zu stellen, um Start-ups anzulocken, aber eben auch die größeren, etablierten Player. Das Entscheidende, was wir liefern, ist natürlich die große Zahl von hervorragend ausgebildeten jungen Menschen im Bereich der Quantenwissenschaften, die experimentell wie theoretisch weltweit ganz vorne mit dabei sind.
Wir sollten allerdings vor lauter Enthusiasmus hinsichtlich des digitalen Quantencomputers die anderen Gebiete, von der Quantenkryptografie bis hin zu den analogen Quantencomputern, nicht aus dem Auge verlieren. In diesen Gebieten der Quantentechnologie funktioniert schon vieles sehr gut und es gibt ein enormes Potenzial.
Quantentechnologie – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"
Die Juni-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt dem 100. Geburtstag der Quantentechnologie.
Die Beiträge:
- Giovanna Morigi: Scheinbare Widersprüche. Zur Bedeutung der Quantentechnologie für Wissenschaft und Gesellschaft
- Mariami Gachechiladze: Theoretisch funktioniert alles gut. Warum der Bau eines leistungsstarken Quantencomputers keine einfache Aufgabe ist
- Im Gespräch mit Carolin Häussler: Ein Ökosystem schaffen. Deutschland als Akteur in den Quantentechnologien
- Im Gespräch mit Meinard Kuhlmann: Erstmal unvorstellbar. Philosophische Aspekte der Quantenphysik
Aus der Redaktion gibt es außerdem einen Einblick in neuartige Quantenmaterialien. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!
F&L: Die Quantenwissenschaften sind schon 100 Jahre alt und haben viele neue Technologien hervorgebracht. Welche davon halten Sie für besonders bedeutsam?
Ulrich Schollwöck: Zwei ragen über alle anderen hinaus. Zum einen der Transistor, der auf einem Quanteneffekt beruht. Zum anderen der Laser, der auf der Statistik quantenmechanischer Teilchen beruht. Der Transistor ist überall: Unsere Chips im Laptop, im Mobiltelefon, im Supercomputer sind höchst integrierte Milliarden von Transistoren. Das heißt, die gesamte Informations- und Kommunikationstechnologie der modernen Welt beruht auf einem Quanteneffekt.
Der Laser ist ebenso allgegenwärtig: in den Materialwissenschaften, in der Herstellung von ultrahochpräzisen Masken zur Produktion von Chips und – heute schon fast überholt – im DVD-Spieler. In der Naturwissenschaft ist die ganz große Rolle des Lasers die Bereitstellung einer extrem kontrollierten, hochpräzisen Lichtquelle. Viele der Anwendungen in der Quantenoptik, im Quantencomputing oder in der Präzisionsphysik wären ohne den Laser überhaupt nicht vorstellbar.
F&L: Wie werden neue Entwicklungen in den Quantentechnologien Ihrer Ansicht nach das wissenschaftliche Arbeiten verändern?
Ulrich Schollwöck: Letzten Endes ist da der Laser ebenfalls ein extrem gutes Beispiel. Zum Beispiel benötigt man den Laser, um optische Frequenzkämme herzustellen, wofür Theodor Hänsch 2005 den Nobelpreis für Physik bekommen hat. Mit diesen kann man ultrapräzise Frequenzen vermessen. Ein weiterer Fortschritt, der am Horizont schon ganz klar zu sehen ist, ist die Ausnutzung von Quanteneffekten, um neue Arten von Atomuhren zu bauen. Diese könnten vielleicht noch mal um einen Faktor 10 bis 100-fach genauer sein als die bisherigen Atomuhren.
"Ein weiterer Fortschritt, der am Horizont schon ganz klar zu sehen ist, ist die Ausnutzung von Quanteneffekten, um neue Arten von Atomuhren zu bauen."
Atomuhren sind bedeutend für die Wissenschaft und für alle von uns, denn das GPS beruht auf hochpräzisen Uhren. Ein Verfahren wie GPS könnte dann womöglich auf den Zentimeter genau funktionieren. Und das mit allen möglichen guten und weniger guten Anwendungen, die man sich dafür unmittelbar vorstellen kann.
F&L: Welche Chancen sehen Sie für Deutschland und Europa, in den Quantentechnologien eine führende Rolle einzunehmen und warum?
Ulrich Schollwöck: Ich denke, die Chancen für uns sind sehr gut, weil wir viele hervorragend qualifizierte junge Menschen ausbilden und der Wirtschaft im Bereich Quantentechnologie zur Verfügung stellen. Natürlich gab es massive Wanderungsbewegungen in die USA aufgrund attraktiverer Arbeitsbedingungen. Aber das scheint sich ja gerade deutlich zu ändern.
Auch die wissenschaftliche Expertise in Europa ist ganz hervorragend. Ich würde sagen, im Bereich der Quantenoptik war Europa zum Beispiel immer und ist insbesondere Deutschland ganz vorne. Es bedarf allerdings zweier Komponenten: Die erste ist der politische Wille, diese Innovation zu fördern. Zweitens braucht es von Seiten der Wirtschaft ein wesentlich stärkeres Engagement. Für Start-ups sollte man günstigere bürokratische und steuerliche Rahmenbedingungen schaffen. Aber auch größere europäische Konzerne sind gefragt, sich ambitioniert zu engagieren.
Es sollte aber nicht die eine große monolithische Offensive geben. Da würde ich immer befürchten, dass wir uns die Technologieoffenheit nicht bewahren. Im Bereich des Quantencomputings ist beispielsweise noch nicht restlos klar, welche der möglichen physikalischen Realisierungen sich tatsächlich als zukunftsweisend herausstellt. Wenn europaweit nur auf eine Karte gesetzt würde, wäre das riskant. Es war jahrhundertelang immer die große Stärke Europas, dass wir uns gegenseitig belauert und miteinander konkurriert haben. Es ist die Stärke, die in der Vielfalt liegt. Die sollten wir in Europa nicht verlieren.
"Es war jahrhundertelang immer die große Stärke Europas, dass wir uns gegenseitig belauert und miteinander konkurriert haben."
Was wir gerade in Bezug auf die USA sehr stark beobachten, sind viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf Tenure-Track-Positionen sitzen oder unmittelbar vor solchen Positionen stehen und das Gefühl haben, es könnte sein, dass trotz erbrachter Leistung am Ende keine Dauerstelle, also keine Professur im amerikanischen wissenschaftlichen System steht. Da sollten wir ansetzen und anwerben, um das Reservoir an herausragenden Leuten für Europa maximal auszuschöpfen.
F&L: Welche zukünftigen Forschungsrichtungen sehen Sie in den Quantenwissenschaften?
Ulrich Schollwöck: Einerseits haben wir die Anwendungen im Bereich Quantenkryptographie und Quantenkommunikation, die uns ganz neue Möglichkeiten der sicheren Informationsübertragung eröffnen, die nicht entschlüsselt werden können. Dann die Quantensensorik. Als ich studiert habe, hat man natürlich etwas über die Heisenbergsche Unschärferelation gelernt. Damals war der vorherrschende Blickwinkel, dass das eine rein theoretische Grenze ist, weil wir schon mit unseren Messinstrumenten wesentlich ungenauer waren als die Schranken, die uns die Unschärferelation vorgibt. Mittlerweile können wir Sensoren entwickeln, deren Limitierung tatsächlich durch die Unschärferelation gegeben ist. Damit ist ein fundamentales Limit erreicht.
Ein weiteres großes Gebiet ist das Quantencomputing. Da würde ich zwei Richtungen unterscheiden. Das eine ist die Quantensimulation. Sie wird auch als analoges Quantencomputing bezeichnet, da physikalische Systeme analog nachgebaut werden. In diesem Forschungsbereich ist Deutschland ganz vorne mit dabei. Auf der anderen Seite gibt es den digitalen Quantencomputer, der enorme Herausforderungen an die Entwicklung der nötigen Hardware stellt. Man arbeitet hierbei gegen einen Effekt der Natur– an und versucht, diesen Quantencomputer in seinem quantenmechanischen Zustand zu halten oder diesen Zustand kontrolliert mit Dynamik zu versehen. Eine weitere Herausforderung ist die Entwicklung von Quantenalgorithmen für solche Quantencomputer. Hierbei ist die spannende Frage, inwieweit Quantenalgorithmen erfunden werden, die nicht nur besser sind als klassische Algorithmen, sondern auch Probleme lösen, die für die Menschheit insgesamt von Interesse sind.