Mann lehnt sich entspannt zurück in einem fiktiven fahrerlosen Auto
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Mobilität
Entspannt motorisiert durch autonomes Fahren?

Eine neue Ära der Fahrzeugtechnik: assistiert, effizient, sicher. Der Forscher Steffen Müller im Gespräch über die Visionen der Automobilhersteller.

Von Friederike Invernizzi 25.06.2019

Forschung & Lehre: Deutschland gilt als das Land der Autofahrer. Autos sind Prestige- und Liebhaberobjekte und werden gerne "ausgeführt". Sind automatisierte Fahrzeuge wirklich attraktiv?

Steffen Müller: Sicherlich gibt es Bevölkerungsgruppen, die dieses Prestigedenken noch nach außen zeigen. Tatsächlich sieht es aber so aus, als ob eine gewisse Trendwende zu beobachten ist, denn wenn man heute 20- bis 40-Jährige befragt, dann sieht das Bild zusehends anders aus. Sie wollen keinen Fahrspaß mehr durch laute Motoren und quietschende Reifen, sondern definieren Fahrspaß als Effizienz, gute Bedienkonzepte und flexible Innenräume. Zwei Drittel wollen gar nicht mehr unbedingt ein Fahrzeug besitzen. Wenn man diese jungen Menschen fragt, wie sie sich Autos wünschen, sollen diese noch effizienter und noch intelligenter sein. Der gesellschaftliche Trend geht also in Richtung Automatisierung, auch wenn Einige noch gewisse Bedenken haben, wie das umgesetzt werden kann. Viele haben das Gefühl, dass automatisierte Fahrzeuge ihnen Zeit schenken. Deren Attraktivität liegt auch an der wachsenden Fahrzeugsicherheit.

Portraitfoto von Professor Steffen Müller
Professor Dr. Steffen Müller ist Einstein-Professor und Leiter des Fachgebietes Kraftfahrzeuge an der TU Berlin Castagnola/Einsteinstiftung

F&L: Genau die erforschen sie an der TU Berlin. Inwiefern sind automatisierte Fahrzeuge sicherer?

Steffen Müller: Die Hoffnung bei der Automatisierung von Fahrzeugen ist, dass man einen Großteil der Unfälle, die durch menschliches Versagen entstehen, vermeiden kann. Das sind 90 Prozent aller Unfälle im Straßengeschehen. Mittelfristig werden aber nur bestimmte Klassen von Verkehrsunfällen weniger werden. Dazu zählen beim PKW unangepasste Geschwindigkeit oder zu nahes Auffahren. Allerdings werden selbstverschuldetet Unfälle mit Motorradfahrern sich unwesentlich verändern, da keiner daran denkt, Motorräder zu automatisieren. Andere Unfälle, die von PKW verursacht werden, kann man sehr gut mit automatisiertem Fahren in den Griff bekommen. Bei Unfällen mit Fußgängern belegen Statistiken, dass automatisiertes Fahren eindeutig tödliche Unfälle verhindern kann.  Das Risiko als Fußgänger, einen Unfall mit einem PKW zu haben, ist doppelt so hoch, wenn das Auto zehn Jahre älter ist, also weniger automatisiert.

F&L: Wo liegen die Schwachpunkte des Automatisierten Fahrens?

Steffen Müller: Das automatisierte Fahren stellt uns vor einige Herausforderungen. Da ist zum einen das Problem der "Funktionssicherheit": Was passiert, wenn ein Fehler im System auftritt? Wir haben beim automatisierten Fahren eine Erhöhung von komplexen Systemen, die eine erhöhte Fehleranfälligkeit darstellen. Zum anderen haben wir den Fahrer nicht mehr als "Rückfallebene", das Fahrzeug muss sich also im kritischen Fall selber wieder in den sicheren Fahrmodus bringen und kann nicht mehr auf den Fahrer als Korrektiv zurückgreifen. Das ist eine große technische Herausforderung.

"Statistisch gesehen bauen wir nur alle 25 Jahre einen Unfall."

Zudem spielt die "Gebrauchssicherheit" eine Rolle. Der Mensch als Fahrer ist in dieser Hinsicht sehr gut, statistisch gesehen bauen wir nur alle 25 Jahre einen Unfall und eine tödlichen Unfall sogar nur alle 21.000 Jahre. Das muss man erstmal mit automatisierten Fahrzeugen nachbauen können. Ein automatisiertes Fahrzeug soll natürlich mindestens so sicher fahren können wie ein normales Fahrzeug.

Was ist ein "automatisiertes Fahrzeug"?

Ein automatisiertes Fahrzeug ist zunächst einmal ein Fahrzeug, das selbsttätig fährt ohne Mitwirkung des Fahrers. Es muss nicht gelenkt, kein Gas gegeben, oder gebremst werden. Genauer betrachtet unterscheiden Experten fünf Level.

  • Level 0 bedeutet gar keine Automatisierung.
  • Level 1 bis 2 beschreiben die heute üblichen Assistenzsysteme.
  • Ab Level 3 spricht man von "hoch automatisiert". Der entscheidende Unterschied zwischen Level 2 und 3 ist, dass der Fahrer nicht mehr das Automatisierungssystem überwachen muss, de facto darf er dann andere Sachen während der Fahrt machen. Allerdings ist das System dann so programmiert, dass der Fahrer das System jederzeit überstimmen können muss.
  • Level 4 ist voll automatisiert.
  • Level 5 ist "fahrerloses" Fahren.

F&L: Wie ändert sich das Fahrverhalten?

Steffen Müller: Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem automatisierten Fahrzeug. Da können wir zunächst andere Dinge machen, wir lesen Zeitung oder beschäftigen uns mit anderen Dingen. Das entspannt also zunächst einmal die Situation und lässt Aggressionen gar nicht erst aufkommen. Der Verkehr wird durch automatisiertes Fahren wesentlich homogener und passiver sein, was auch eine Herausforderung darstellen kann. Zum Beispiel kann es lange dauern, bis man mit einem automatisierten Fahrzeug auf eine volle Autobahn kommt, da die Fahrzeuge nicht so programmiert sind, sich aggressiv in eine Lücke zu drängen. Mischverkehr wird bei wachsender Automatisierung des Verkehrs ein Problem: Hier haben sie aggressive Fahrerinnen und Fahrer in älteren Fahrzeugen und dann ein automatisiertes Fahrzeug, das vorsichtig fährt.

F&L: Sind Fahrerinnen und Fahrer in automatisierten Fahrzeugen schneller überfordert?

Steffen Müller: Die Überforderung entsteht eher bei teilautomatisierten Fahrzeugen, bei denen menschliche Reaktionen teils sehr unmittelbar gefordert sind. Unsere Studien im Fahrsimulator haben das bestätigt. Wenn Systeme im Auto sich teils gleichzeitig melden und Reaktionen einfordern, besteht unter Umständen eine höhere Unfallgefahr, als wenn die Menschen ohne diese Systeme unterwegs sind. Beim automatisierten Fahren besteht der Vorteil darin, dass längere Zeitspannen zur Reaktion möglich sind oder gar keine Reaktion erforderlich ist. Es kommt dann eher nicht zur Überforderung.

"Es kann sein, dass der Mensch an einer Stelle eingreift, wo es gar nicht nötig wäre, und sich so unnötigerweise in Gefahr bringt."

Kritisch ist jedoch das Thema "Eingriff" zu sehen. Es kann durchaus sein, dass der Mensch an einer Stelle eingreift, wo es gar nicht nötig wäre, da das System das Problem gut regeln würde und bringt sich so unnötigerweise in Gefahr, zum Beispiel durch eine falsche Lenkbewegung oder unnötiges Bremsen. Der zweite kritische Aspekt betrifft die Fahrpraxis. Je weniger Menschen selbst fahren, umso weniger Fahrpraxis haben sie und sind deshalb umso ungeübter, wenn sie im Notfall die Steuerung übernehmen müssen.

F&L: Welche Entwicklung erwarten Sie in der Umstellung auf das "autonome Fahren"?

Steffen Müller: Wenn wir uns die momentane Entwicklung des automatisierten Fahrens ansehen, dann kommt die Entwicklung von zwei Seiten. Zunächst werden automatisierte Fahrzeuge auf Autobahnen bestimmte Funktionen übernehmen. Dann werden fahrerlose Kleinwagen und Busse auf den Markt kommen, letztere sind in der Erprobungsphase. Es gibt sie in einigen wenig befahrenen Straßenzügen oder in eingeschränkten Bereichen – zum Beispiel bei Krankenhäusern –, um Erfahrungen zu sammeln. Letztlich ist die fahrerlose Art des Fahrens die attraktivste Variante. Denn wenn es in Richtung weniger Verkehr in Großstädten geht, wenn uns die Autos nicht mehr gehören, die ständig unterwegs sind, erst dann wird man einen Nutzen haben.