Hand einer Person, die auf dem Smartphone Fake News liest
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Kommunikationswissenschaft
Fake News sind falsch, aber bequem

Warum verbreiten sich Desinformationen? Wer ist besonders empfänglich für Fake News? Eine Einordnung aus psychologischer Perspektive.

Von Markus Appel 02.10.2019

Der Begriff "Fake News" wird in der öffentlichen Kommunikation auf mindestens zweierlei Weise benutzt: im Rahmen einer Medienschelte (ähnlich "Lügenpresse!") und als Bezeichnung für Desinformationen im Gewand seriöser Berichterstattung. Die zweite Bedeutung ist die zentrale, dennoch soll kurz auf Fake News als "Lügenpresse" eingegangen werden. Fake News wird in diesem Sinne verwendet, um unliebsame Nachrichtenkanäle, Journalistinnen oder Publizisten zu diskreditieren. Diese, etwa von Donald Trump bevorzugte Verwendungsweise, ähnelt dem Vorwurf der "Lügenpresse", dem Unwort des Jahres 2014. So wurde und wird im Umfeld der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung die mediale Berichterstattung als unwahr empfunden, den "Mainstream"-Medien wird Misstrauen und Feindseligkeit entgegengebracht.

Wichtig ist dabei festzuhalten, dass etablierte Medien wie öffentlich-rechtliche Fernsehsender bei einem überwiegenden Teil der bundesrepublikanischen Bevölkerung weiterhin großes Vertrauen genießen. Eine generelle Vertrauenserosion ist nicht zu erkennen. Dies zeigen Daten aus der jährlich durchgeführten Mainzer Langzeitstudie "Medienvertrauen". Der Aussage "die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen" stimmten im Jahr 2017 insgesamt 13 Prozent aller Befragten zu. Hingegen sind 74 Prozent der Befragten der Meinung, dass "Fake News eine echte Gefahr für die Gesellschaft" sind.

Nichtsdestotrotz, eine substanzielle und lautstarke Minderheit nimmt weite Teile der journalistischen Berichterstattung als ausgesprochen einseitig wahr. Die Gründe dafür sind vielschichtig, sie liegen aber zum Teil in der Art und Weise, wie wir Menschen mit konfligierenden Informationen umgehen. Bereits in den 1980er Jahren zeigten empirische Studien zum "Hostile-Media-Effekt", dass Zuschauerinnen und Zuschauer von TV-Nachrichten mediale Berichterstattung als einseitig und lückenhaft wahrnehmen, sofern sie zu dem behandelten Thema eine starke Meinung haben. Interessanterweise fühlen sich Anhängerinnen und Anhänger entgegengesetzter Positionen durch ein und denselben Bericht in gleicher Weise benachteiligt.

"Eine Nachricht, welche die eigene Meinung bestätigt, wirkt glaubhafter als gegenteilige Informationen."

Dieses Phänomen lässt sich darauf zurückführen, dass Menschen eine Umwelt bevorzugen, die im Einklang mit dem eigenen Weltbild steht. In diesem Sinne neigen wir dazu, Medien mit solchen Inhalten auszuwählen, die unserer eigenen Meinung entsprechen. Und eine Nachricht, welche die eigene Meinung bestätigt, wirkt glaubhafter als gegenteilige Informationen (dieses Phänomen firmiert in der Fachliteratur als "Consistency Bias").

Stoßen Personen auf widersprechende Informationen – etwa in sehr reichweitenstarken Medienformaten wie der ARD Tagesschau – dann werden diese oft geringgeschätzt oder auf andere Weise gedanklich um- und abgewertet. Die Reichweite der Nachrichtenkanäle ist dabei ein wichtiger Faktor, denn Weltbild-konträre Informationen, die nicht aus Massenmedien stammen, werden typischerweise eher ignoriert. Bei massenmedial vermittelten Informationen entsteht hingegen die Besorgnis, dass andere Menschen und "die breite Öffentlichkeit" mit den vermeintlich falschen Informationen versorgt werden.

Fake News als Desinformation

Im wissenschaftlichen Diskurs wird das Phänomen Fake News typischerweise im Sinne einer inkorrekten Nachricht (einer Falschnachricht, einer Desinformation) in Zeiten der digitalisierten und vernetzten Kommunikation verwendet. Folgende Kerncharakteristika von Fake News lassen sich ausmachen: 1. Eine Aussage oder die Darstellung eines Ereignisses wird in der Form (look and feel) eines journalistischen Beitrags präsentiert. 2. Die Aussage oder Darstellung stimmt nicht mit der Faktenlage überein. Viele Autorinnen und Autoren nennen noch ein drittes Charakteristikum: 3. Die Aussage oder Darstellung wurde bewusst erfunden oder verfälscht, um politische oder kommerzielle Ziele zu erreichen.

Das Phänomen der Falschnachricht oder Falschmeldung selbst ist keineswegs neu, es dürfte so alt sein wie die journalistische Nachricht selbst. Im 19. Jahrhundert berichteten Tageszeitungen beispielsweise von menschlichen Flügelwesen, die mutmaßlich auf dem Mond beobachtet wurden, die vermeintlichen Hitlertagebücher aus den 1980er Jahren sind vielen noch in Erinnerung.

Gerade heute ist das Phänomen der Falschnachricht aber von besonderer Brisanz, denn im Zuge der Digitalisierung ist es möglich geworden, Informationen ohne immensen technischen Aufwand an ein nennenswert großes Publikum zu senden. Verlagshäuser oder Fernsehanstalten sind für die Gestaltung und Verbreitung eines Beitrags nicht mehr nötig, Nachrichtenorganisationen haben damit ihre Funktion als Gatekeeper weitgehend verloren. Falschnachrichten reichen von reinen Erfindungen, über eine falsche Kontextualisierung von Inhalten bis hin zu Bildmanipulationen, die verstärkt auch bei audiovisuellem Material realisiert werden können (sogenannte "deepfakes").

Menschliche Informations­verarbeitung begünstigt Fake News

Die Verbreitung von Fake News wird durch die Eigenheiten der menschlichen Informationsverarbeitung begünstigt. Nicht nur akzeptieren und verbreiten Menschen bevorzugt Dinge, die dem eigenen Weltbild entsprechen (der "Consistency Bias" wurde bereits erwähnt), auch Informationen, die Menschen schon oft gehört haben, wirken glaubhafter ("Illusory Truth Effect"), selbst wenn die wiederholte Nachricht an sich eher wenig plausibel erscheint.

Was sind die psychologischen Charakteristika von Personen, die Fake News hohen Glauben schenken und  sie weiterverbreiten? Das Team um Gordon Pennycook konnte zeigen, dass zu wenig analytisches Denken einen Risikofaktor darstellt. Was ist damit gemeint? Daniel Kahnemann und andere unterscheiden bei der Verarbeitung von Informationen zwischen intuitiven Prozessen (Typ 1) und reflexiven Prozessen (Typ 2). Eine Testfrage: "Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro. Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? Die meisten Menschen haben intuitiv (Intuition = Typ 1) eine Antwort parat (10 Cent), die aber bei genauerer Betrachtung (Reflexion = Typ 2) falsch ist. Je korrekter Versuchspersonen diese und ähnliche Aufgaben beantworteten – ein Zeichen für ausgeprägtes reflexives Denken – desto weniger schenkten sie Fake-News-Storys Glauben. Die Beurteilung von seriösen Nachrichten stand hingegen in keinem Zusammenhang mit reflexivem Denken.

Das Alter der Nutzerinnen und Nutzer scheint ein zweiter wichtiger Faktor zu sein. In einer unlängst vorgestellten US-amerikanischen Studie wurden zunächst Webseiten identifiziert, die in der Vergangenheit ausschließlich Fake News verbreiteten. Dann schauten sich die Forscher um Andrew Guess die Facebook-Profile von 1.331 Freiwilligen an und notierten, ob die jeweilige Nutzerin beziehungsweise der Nutzer im US-Wahljahr 2016 Nachrichten dieser Fake-News-Webseiten geteilt hatte (und wenn ja, wie viele). Beim Anschauen der Profile wurde deutlich, dass etwa 8,5 Prozent der Personen eine oder mehrere Fake-News-Nachrichten geteilt hatten.

"Personen im Alter von 65 Jahren und älter teilten Fake News im Durchschnitt sieben Mal häufiger als Personen im Alter von 18 bis 29 Jahren."

Wer waren diese 8,5 Prozent? Politisch standen diejenigen, die Fake News verbreiteten, eher den konservativen Republikanern nahe. Dies war keine Überraschung, denn ein Großteil der Fake-News-Webseiten ist dem rechten politischen Lager zuzuordnen. Im Hinblick auf das Geschlecht gab es keine Unterschiede, Frauen und Männer teilten Fake News gleichermaßen häufig, auch Bildung und Einkommen spielten keine Rolle. Doch ein Merkmal stand in einem engen Zusammenhang mit dem Teilen von Fake News: Das Alter der User. Personen im Alter von 65 Jahren und älter teilten Fake News im Durchschnitt besonders häufig – sieben Mal häufiger als Personen im Alter von 18 bis 29 Jahren.

Fake News – so what? Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass es sich lohnt, auf Desinformationen hinzuweisen. Faktencheck-Webseiten wie mimikama.at, correctiv.org oder snopes.com leisten hierbei hilfreiche Dienste. Bei der Gegenaufklärung sollte allerdings ein Schwerpunkt auf den korrekten Informationen liegen, weniger auf den Falschinformationen selbst (der "Illusory Truth Effect" wurde bereits erwähnt). Zwar üben Fehlinformationen oft einen länger anhaltenden Einfluss auf das Erleben und Verhalten aus ("Continued Influence Effect of Misinformation") – die Vermutung, dass der Glaube an Fake News durch Gegenaufklärung noch gestärkt wird ("Backfire Effect"), ließ sich in zahlreichen Studien allerdings nicht belegen.

"Die Vermutung, dass der Glaube an Fake News durch Gegenaufklärung noch gestärkt wird, ließ sich in zahlreichen Studien nicht belegen."

Es besteht ferner die Hoffnung, dass Technologien, die bislang eher als Teil des Problems angesehen werden, helfen können, den Einfluss von Fake News und Co zu reduzieren. Der Schlüssel liegt demnach in Algorithmen, die automatisiert den Wahrheitsgehalt von Informationen einschätzen und anzeigen. Dabei ist zu bedenken, dass die Unternehmensziele von Facebook und Co partiell im Widerspruch zur Reduzierung von Fake News, Verschwörungstheorien und anderen postfaktischen Inhalten stehen. Denn eine Kenntlichmachung von Fake News könnte zu weniger Interaktionen führen (also von Postings, Kommentaren, Shares und Likes).

Die Wirksamkeit jedweder Gegenmaßnahmen steht und fällt aber wohl mit einer generellen Bewusstheit um die Chancen und Risiken der Kommunikation in einer digitalisierten Welt. In diesem Sinne erscheinen längerfristige Programme zur Steigerung der digitalen Kompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vielversprechend.