Vogelfedern auf einem Briefumschlag
David Maurice Smith/The New York Times/Redux/laif

Citizen Science
Forscherin lässt sich tausende Vogelfedern schicken

Eine australische Wissenschaftlerin hat sich ihr Forschungsmaterial per Post schicken lassen. Für sie eine gelungene Premiere von "Citizen Science".

Von Katrin Schmermund 07.04.2018

Die australische Wissenschaftlerin Dr. Kate Brandis untersucht, wie sich das Flugverhalten von Wasservögeln verändert. Für ihr aktuelles Forschungsprojekt hat die Forscherin am Center for Ecosystem Science an der University of New South Wales die Australier zur Mithilfe aufgerufen. Noch bis Juni sollen sie ihr Federn schicken, die sie von den Tieren an unterschiedlichen Orten im Land entdecken.

"Es ist das erste Mal, dass ich ein Citizen-Science-Projekt mache", berichtet Kate Brandis Forschung & Lehre. Von der Anzahl der Rückmeldungen sei sie begeistert. 720 Briefe mit tausenden Federn von rund 480 Plätzen in Australien erreichten Brandis seit ihrem Aufruf vor zwei Jahren. Darunter die von Pelikanen, Brautenten, Kormoranen und Graureihern.

"Wir nutzen Maschinelles Lernen, also eine Form der Künstlichen Intelligenz, um auf Grundlage der Analyse der Federn herauszufinden, welche Wasservögel unterschiedliche 'Signaturen' haben. So können wir Karten erstellen und feststellen, welche Vögel sich in welchen Feuchtgebieten aufgehalten haben", sagt Brandis. Noch sei die Auswertung nicht abgeschlossen, aber sie habe schon feststellen können, dass vor allem für nestbauende Arten einige Feuchtgebiete wichtiger seien als andere.

Die Zusendungen der Australier würden ihr sehr helfen, um in ihrer Forschung weiterzukommen. Lange sei sie über die "mysteriösen Flugbahnen" der Vögel im Unklaren gewesen. Denn die Routen der Vögel würden in Australien nicht mehr per Tracking nachvollzogen. Die Aussagekraft sei zu gering gewesen und so seien die Tiere für ein Forschungsteam nur schwer aufzufinden.

Brandis hat für ihr Vorhaben eine Website eingerichtet, auf der sich Bürgerinnen und Bürger über die Studie informieren und erfahren können, wohin sie die Federn schicken sollen.

"Es haben sich ganz verschiedene Menschen und Gruppierungen beteiligt, darunter Vorschulkinder, Schüler, Senioren, Urlauber, Pfadfinder und Familien", sagt Brandis. Unter den Briefen an die australische Forscherin waren "nur" 175 unterschiedliche Absender. Einige scheinen also Gefallen an dem Projekt gefunden und sich mehrmals gemeldet zu haben. Darunter auch eine ältere Dame, die mit ihrem Mann ein Hobby aus der Suche der Federn an abgelegenen Orten gemacht hat, erzählte sie der New York Times. Sogar eine dreimonatige Rundreise hätten sie geplant. In dieser Zeit habe sie regelmäßig mit Brandis über ihre Funde gesprochen.

Citizen Science: In den Umweltwissenschaften weit verbreitet

Brandis Projekt reiht sich ein in die Liste der sogenannten Citizen-Science-Projekte, die vor allem in den USA schon sehr typisch sind, aber auch in Deutschland immer häufiger werden. Vor allem in den Umweltwissenschaften, der Biologie, der Ökologie und dem Naturschutz sowie ähnlichen Fächern hat Citizen Science eine lange Geschichte, schreiben die Autoren eines Berichts des Instituts für Innovation und Technik (iit). Freiwillige seien demnach schon vor vielen Jahren eingebunden worden, um Tiere und Pflanzen zu zählen, Datenreihen zu erstellen und verschiedene Arten oder Ökosysteme zu kartieren.

Citizen Science – Bürger im Dialog mit der Wissenschaft

Was ist Citizen Science?
Citizen Science bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger in wissenschaftliche Forschungsprojekte einbezogen werden. Das Ausmaß und die damit verbundenen Gestaltungsspielräume der Teilnehmer unterscheiden sich. Ohne eine Beteiligung von Wissenschaftlern finden laut der Definition von Citizen Science jedoch kein Projekt statt.

Am häufigsten ist nach Analysen des Instituts für Innovation und Technik (iib) die sogenannte "Kollaboration". Gemeint ist damit, dass Bürger unter Anleitung von Wissenschaftlern eingebunden werden, um Daten zu erheben und weiterzuleiten. Weitere Formen sind Kooperation (minimale Beteiligung ohne eigenständige Arbeit), Ko-Produktion (Mitforschen und -analysieren) und Ko-Design (Beteiligung auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlern). Ko-Produktion und Ko-Design seien selten. Auch würden Wissenschaftler hier auf fachliche nicht-wissenschaftliche Experten zurückgreifen, ein Beispiel wären Berufsfischer.
Wie profitieren Wissenschaft und Gesellschaft?
Wie bei Brandis beteiligen sich Bürgerinnen und Bürger oft aus persönlichem Interesse oder aus gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl. Auch können sie sich so aktiv in die Wissenschaft sowie gesellschaftlich einbringen. Studien kommen zu dem Schluss, dass ein insgesamt höheres Bildungsniveau, mehr Freizeit und eine längere (gesunde) Lebenszeit der Bürgerinnen und Bürger zu einer Zunahme an Citizen Science geführt habe. Die Digitalisierung biete außerdem viele neue Möglichkeiten. So könnten Bürgerinnen und Bürger beispielsweise leicht über Apps oder Wearables an Studien teilnehmen und ihre Ergebnisse teils in Echtzeit verfolgen, was für sie den Anreiz teilzunehmen erhöhen kann.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten profitieren, weil sie meist kostenlos eine große Anzahl von Daten sowie Feedback zu ihrem Ansatz erhielten. Auch könnten sie neue Blickwinkel auf ihre Forschung gewinnen. Auf der anderen Seite hätten Bürger das Gefühl, eingebunden zu sein und mitgestalten zu können. Dadurch könne die Wissenschaft "ihr Dogma als abgeschottetes, sich selbst reproduzierendes System aufbrechen" und "gesellschaftlich induzierte nachhaltige Lösungsansätze entwickeln", schrieb Simone Kaiser vom Fraunhofer Institut gemeinsam mit weiteren Autoren in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Welche Gefahren birgt Citizen Science?
Werden Citizen-Science-Projekte nicht ausreichend oder gar nicht von Forschenden begleitet, fehlt die wissenschaftliche Einordnung, was die Qualität der Ergebnisse und möglicherweise das Vertrauen anderer Bürger in die Aussagekraft wissenschaftlicher Studien gefährdet. Auch kann es die Ergebnisse von Studien verzerren, wenn Untersuchungen zu spielerisch gestaltet werden und etwa Rankings zwischen Teilnehmern einbinden, die diese zu einem bestimmten Verhalten animiert, das die Ergebnisse eine Studie verzerrt.

"Wissenschaft ist heute in vielen Fällen nicht mehr anfassbar", warnte Günter Stock, mittlerweile Vorstandsvorsitzender der Einstein-Stiftung Berlin, bei einer Helmholtz-Veranstaltung 2015. Die Komplexität der atomaren und molekularen Forschung könne man beispielsweise nur als ausgebildeter Wissenschaftler verstehen. Citizen Science hält er in solchen Bereichen für problematisch, wenn die Einbindung der Bürger über das reine Beobachten der Natur hinausginge. Eine Grenze sei spätestens dann erreicht, wenn Laien in risikobehafteten Disziplinen selbstständig Experimente durchführen.
Welche internationale Bedeutung hat Citizen Science?
Angelehnt an die Anzahl publizierter Fachartikel in der Datenbank "Web of Science" kommen Autoren des Instituts für Innovation und Technik (iib) zu dem Schluss, dass Citizen Science besonders stark in den USA präsent ist (416 Fachartikel), gefolgt von Großbritannien (196), Australien (84), Kanada (70), Frankreich (60) und auf Platz 6 auch Deutschland (57).
Wo finde ich Citizen-Science-Projekte in Deutschland?
Die Website "Bürger schaffen Wissen" (www.buergerschaffenwissen.de) ist die zentrale Plattform für Citizen Science in Deutschland. Sie bietet einen Überblick über Citizen-Science-Projekte und vernetzt Wissenschaftler und interessierte Bürger. Die Palette an Forschungsprojekten reicht von der Feinstaubmessung über die Fuchszählung bis zur Ahnenforschung. Der Schwerpunkt liegt auf alltagsnahen und zukunftsorientierten Umweltthemen. "Bürger schaffen Wissen" ist ein Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. Gefördert wird die Online-Plattform vom BMBF und dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft.

Als eines der ältesten Citizen-Science-Projekte gilt die alljährliche Vogelzählung in den USA zu Weihnachten, der "Christmas Bird Count". Die US-amerikanische Non-Profit-Umweltorganisation "National Audubon Society" rief hierzu 1990 das erste Mal auf. "Was mit 27 Teilnehmern begann, führte zu einer Langzeitdatenreihe, an der mittlerweile mehr als 50.000 Personen in 17 Ländern Jahr für Jahr teilnehmen", so der iit-Bericht.


Die Geschichte des Christmas Bird Count

Ein Erfahrungsbericht des jahrelangen Teilnehmers Chan Robbins (verst. 2017)