Das Foto zeigt ein junges Kind mit seiner Mutter vor einem Laptop.
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Neurowissenschaften
"Gedächtnisgen" muss früh aktiviert werden

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr - dieser Spruch ist nach Ansicht von Hamburger Forscher auch neurowissenschaftlich richtig.

13.11.2018

Die Entwicklung des Gehirns hängt nach Erkenntnissen von Hamburger Forschern wahrscheinlich von der Aktivierung eines Gens im frühen Kindesalter ab. Darauf deuten zumindest Versuche mit Mäusen hin, wie Professor Dietmar Kuhl und seine Kollegin Ora Ohana vom Universitätsklinikum Eppendorf im Fachmagazin "PNAS" berichten. Demnach spielt das Gen mit der Bezeichnung Arc/Arg3.1 eine entscheidende Rolle.

Schalteten die Wissenschaftler das Gen vor dem 21. Lebenstag molekularbiologisch aus, entwickelten sich die Tiere körperlich normal, blieben geistig jedoch zurück. Die ihnen gestellte Aufgabe, eine in trübem Wasser versteckte Plattform mit Hilfe von Landmarken zu finden, konnten sie nicht lösen. Setzten die Neurowissenschaftler ihre "Gen-Schere" erst später an, so konnten die Mäuse zwar die Lösung finden, sich diese aber nicht merken.

Gen entscheidend für lebenslange Lernfähigkeit

Das erforschte "Gedächtnisgen" gebe es beim Menschen in nahezu identischer Form, sagte Kuhl. Es seien bislang keine Fälle bekannt von Menschen, bei denen es fehle. Diese müssten schwerste kognitive Einschränkungen haben und könnten sich keinerlei Informationen länger als einige Sekungen merken.

Übertragen auf die menschliche Entwicklung bedeute das Versuchsergebnis der Hamburger Forscher, dass das Gen in den ersten vier Lebensjahren aktiviert werden müsse. Sonst sei komplexes Lernen im Erwachsenenalter nicht möglich. Die Aktivierung könne über die Umwelt und Erfahrungen, also das Lernen erfolgen, erklärte Kuhl. "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", überschrieb die Pressestelle des Klinikums ihre Mitteilung.

Es gebe bereits Hinweise auf den Zusammenhang zwischen dem Gen und Erkrankungen wie Alzheimer, Autismus und Schizophrenie, sagten die Forscher. Bekannt sei der Fall einer Familie in den USA. Deren Kindern fehle nur ein kleines Stück des Gedächtnisgens, sie hätten aber gravierende Probleme beim Denken und neuropsychiatrische Störungen. Ein Zuviel des Gedächtnisgens oder eine zu frühe Aktivierung wird laut Kuhl dagegen für eine Form des Autismus verantwortlich gemacht.

Die Forscher wollen die Mikroarchitektur des Gehirns nun genauer untersuchen, um festzustellen, welche Reize sich positiv oder negativ auf die Entwicklung der Lernfähigkeit von Kindern auswirkten.

dpa/gri/kas