Studienergebnis
Globaler Verlust an Innovationskraft festgestellt
Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Technischen Universität München (TUM) hat Patentanmeldungen und -zitierungen im Zeitraum von 1900 bis 2015 in rund 160 Ländern ausgewertet und sie mit den Indikatoren des Academic Freedom Index ins Verhältnis gesetzt. Ergebnis: Je mehr Wissenschaftsfreiheit, desto mehr Innovationsfähigkeit.
In zahlreichen Staaten könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute weniger frei arbeiten als noch vor wenigen Jahren. Da der globale Grad der Wissenschaftsfreiheit zurückgegangen sei, prognostizieren die Forschenden entsprechend einen Verlust bei der Fähigkeit, Neues hervorzubringen.
Verlust an Innovationskraft von bis zu acht Prozent festgestellt
Die Studie zeige, dass mehr Freiheit für die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu mehr Innovationen führe. Bei einem Zuwachs an Wissenschaftsfreiheit erhöhe sich sowohl die Zahl der Patentanmeldungen als auch in Folge die Zahl der Patentzitierungen.
Der globale Zustand der Wissenschaftsfreiheit habe sich im Zeitraum von 2011 bis 2021 zum ersten Mal innerhalb der letzten 100 Jahre verschlechtert – mit ihm die Innovationskraft: "Wir gehen von einem weltweiten Verlust an Innovationsfähigkeit von vier bis sechs Prozent aus. Bei den führenden Wissenschaftsnationen sind es sogar fünf bis acht Prozent", sagt der Studienautor Paul Momtaz, Professor für Entrepreneurial Finance an der TUM.
"Diese Entwicklung sehen wir zunehmend auch in demokratischen Staaten, in denen populistische Parteien Einfluss gewonnen haben."
Paul Momtaz, Professor für Entrepreneurial Finance, TUM
"Die Ergebnisse sind ein alarmierendes Zeichen für viele Staaten. Wer die Freiheit der Wissenschaft einschränkt, der beschränkt gleichzeitig auch die Fähigkeit, neue Technologien und Verfahren zu entwickeln, und gefährdet damit Fortschritt und Wohlstand", betont Momtaz. "Diese Entwicklung sehen wir nicht nur in Diktaturen, sondern zunehmend auch in demokratischen Staaten, in denen populistische Parteien Einfluss gewonnen haben."
Zahlreiche Gegenchecks bestätigten Ergebnisse
Die Forschenden hätten diverse Gegenchecks durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Wissenschaftsfreiheit und Innovationskraft zu belegen. Sie hätten beispielsweise geprüft, ob sich der Zusammenhang nicht womöglich auf die gesellschaftliche Freiheit im Gesamten beziehe und nicht nur auf die Wissenschaftsfreiheit. Auch könnten sie ausschließen, dass eine umgekehrte Kausalität bestünde, also dass Staaten aufgrund zu geringer Innovation mehr Wissenschaftsfreiheit zuließen.
Die Ergebnisse der Studie hätten sich auch dann bestätigt, wenn nur Staaten mit besonders vielen oder besonders wenigen Patentanmeldungen oder nur Teilaspekte der Wissenschaftsfreiheit Gegenstand der Analyse gewesen seien.
Wissenschaftsfreiheit und Innovationskraft messbar machen
Das Team habe im Rahmen der Analyse zwei große Datensätze ausgewertet die Ergebnisse in Beziehung gesetzt: Das V-Dem Dataset (Varierties of Democracy) des gleichnamigen Instituts an der Universität Göteborg umfasst verschiedene Demokratie-Indikatoren, teils bis 1789 zurückreichend. Darunter ist die Freiheit der Wissenschaft, die das Institut gemeinsam mit der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg seit mehreren Jahren auch eigens im Academic Freedom Index darstellt. Die Zahl der Patentanmeldungen und -zitierungen entnahm das Forschungsteam der PATSTAT-Datenbank des Europäischen Patentamts.
Exkurs: Ostdeutsche Hochschulen sind Patente-Spitzenreiter
Eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu dem Schluss, dass Hochschulen in Sachsen und Thüringen gemessen an ihrer Studierendenanzahl bundesweit die meisten Patente anmelden. Neben Baden-Württemberg würden auch Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt besonders hervorvorstechen. "Vor allem die Forschungsleistung von Erfinderinnen und Erfindern mit ausländischen Wurzeln ist in den letzten Jahren stark gestiegen", sagt IW-Studienautor Dr. Oliver Koppel. "International vernetzte Hochschulen und Weltoffenheit der Regionen sind besonders wichtig, um die Innovationskraft in Deutschland auch in Zukunft zu sichern."
cva