Gehirn aus Puzzleteilen
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Hirnforschung
Großhirnrinde lernt schneller als gedacht

Eines der großen Rätsel der Forschung ist das Funktionieren des Gedächtnisses. Tübinger Forscher sind dem nun einen Schritt näher gekommen.

30.11.2018

Die Großhinrrinde ist an der Speicherung von Informationen im Gehirn offenbar deutlich früher und stärker beteiligt als von der Wissenschaft bislang angenommen. Ein Forschungsteam der Universität Tübingen und des Tübinger Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik konnte mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren nachweisen, dass die Großhirnrinde schon früh bei Lernvorgängen hinzugezogen wird. Damit müsse das Modell revidiert werden, nach dem dieser Bereich des Gehirns nur langsam lernt, heißt es in ihrer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie.

Traditionelle Modelle gehen laut Forschern davon aus, dass es im Gehirn zwei Gedächtnissysteme gibt: zum einen den Hippocampus, der große Informationsmengen schnell aufnimmt, und zum anderen die Großhirnrinde, in der sich Gedächtnisspuren, also dauerhafte Änderungen durch Speicherung und Festigung neuer Informationen nur langsam, aber stabil entwickeln.

Untersuchung der physischen Spuren des Lernens

In der aktuellen Studie stellten die Wissenschaftler ihren Probanden laut dem Bericht der Universität Tübingen eine Lernaufgabe, in der sie sich in mehreren Runden Objektpaare und deren räumliche Anordnung auf einem Bildschirm einprägen mussten, ähnlich wie bei dem Gesellschaftsspiel "Memory".

Während sie diese Aufgabe ausführten, wurde ihre Gehirnaktivität in einem Magnetresonanztomografen (MRT) aufgezeichnet. Zusätzlich führten die Wissenschaftler eine spezielle Messung durch, die die Feinstruktur des Gewebes abbildet. Sie setzten dabei den sogenannten Diffusions-MRT ein, bei dem die Stärke der Bewegung von Wassermolekülen im Gehirn quantitativ dargestellt wird.

Bereits 90 Minuten nach dem Lernprozess konnten die Forscher dem Bericht zu Folge strukturelle Veränderungen in der Großhirnrinde messen und zwar in genau jenen Regionen, die während der Lernaufgabe starke gedächtnisbezogene Aktivität gezeigt hatten. Die größten Veränderungen zeigte der hintere Teil des Scheitellappens, der posteriore Parietalkortex. Je stärker diese Veränderungen waren, desto besser konnten sich die Probanden die Objektpaare langfristig merken.

Stabile Veränderungen in der Großhirnrinde

"Diese Strukturveränderungen sind kein kurzfristiges Nebenprodukt einer erhöhten Zellaktivität während des Lernens, da sie über mindestens zwölf Stunden stabil bleiben", wird die Studienleiterin Monika Schönauer zitiert. Aus Studien an Tieren wisse man, dass diese Veränderungen mit Prozessen einhergehen, die direkt mit einer Verstärkung der Schaltstellen zwischen Nervenzellen zusammenhängen, den sogenannten synaptischen Verbindungen.

"Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die Großhirnrinde schon früh im Lernvorgang hinzugezogen wird, und unmittelbar an der physischen Speicherung der Informationen beteiligt ist", sagt Schönauer. "Die frühere Annahme, dass die Großhirnrinde nur langsam lernt, ist nun nicht mehr haltbar."

Die Forscher sind davon überzeugt, dass die Befunde der letzten Jahre große Bedeutung für die Weiterentwicklung der gängigen Theorien zur Gedächtnisbildung haben. Die neuen Erkenntnisse böten eine Erklärung dafür, dass es selbst Patienten mit Schädigungen im Hippocampus teilweise möglich sei, neue Informationen zu lernen und zu behalten. Die weitere Erforschung der Bedingungen, unter denen Informationen direkt in der Großhirnrinde gespeichert werden, könne langfristig zur Entwicklung von neuen Lernstrategien bei bestimmten Gedächtnisstörungen beitragen.

gri