Aus den Fenstern und Kaminen einer stillgelegten Fabrik wachsen Büsche und Bäume.
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Metaanalyse zu Degrowth
Großteil der Studien zu Postwachstum scheint tendenziös

Die Analyse von mehr als 560 Degrowth-Studien weist auf viel Meinung und wenige belastbare Daten als Basis hin. Ergebnisse würden dadurch verzerrt.

11.09.2024

Die große Mehrheit – über 90 Prozent – der 561 untersuchten Studien über Postwachstum und Degrowth seien eher dargelegte Meinungen denn tatsächliche Untersuchungen auf Basis quantitativer oder qualitativer Daten. Zu diesem Ergebnis kommen der außerordentliche Professor für Sozialwissenschaften, Ivan Savin, und sein niederländischer Kollege Professor Jeroen van den Bergh vom Institut für Umweltwissenschaften und Technologie an der Autonomen Universität von Barcelona. 

Nachhaltige Lebensweise als Ziel vieler Untersuchungen 

Laut Metaanlayse der beiden Wissenschaftler hätten die meisten Studien zum Ziel gehabt, nachhaltige Lösungen für Umweltprobleme und soziale Ungerechtigkeit zu finden. 

Im Rahmen ihrer Untersuchung, deren Ergebnisse im Journal "Ecological Economics" Anfang 2025 veröffentlicht werden, bewerteten Savin und van den Bergh systematisch Inhalt, Daten und Methoden, um die Qualität der aktuell vorhandenen Forschung zum Thema möglichst objektiv festzustellen. Sie verwendeten unter anderem Computerlinguistik beim Screeningprozess vorhandener Publikationen und bei der Regressionsanalyse, um den Forschungsstand nach zentralen Unterthemen zu sortieren. 

Sie hätten dabei ein Verschwimmen der Grenzen zwischen den Begrifflichkeiten festgestellt, wobei unter dem etwas gemäßigteren Ansatz des Postwachstums in der Forschung immer häufiger auch die etwas radikaler auf Wirtschaftsreduktion angelegten Degrowth-Strategien gebündelt würden. Eine klare Grenzziehung der Begriffe sei deshalb studienübergreifend nicht möglich gewesen. 

Methodische Mängel in Degrowth-Studien festgestellt 

Ein zentrales Ziel der Metaanalyse sei es gewesen, festzustellen, ob Degrowth-Studien aktuelle Erkenntnisse aus der Politikforschung zur Umwelt- und Klimapolitik berücksichtigten. Laut der beiden Forscher integrieren wissenschaftliche Veröffentlichungen die umfangreiche Literatur zur Umwelt- und Klimapolitik im Allgemeinen nicht und es fehle entsprechend der Aspekt der Machbarkeit, was ihnen schnell den Makel der Undurchführbarkeit einbrächte. 

Mittels Regressionsanalyse sei festgestellt worden, dass beispielsweise lokale Praktiken zum grünen Wandel und Szenarien für Emissionsneutralität im Laufe der Zeit an Forschungs-Popularität gewonnen hätten, während nachhaltiges Wohlergehen, Kreislaufwirtschaft oder Ressourcen-Knappheit in den letzten Jahren an Präsenz in den Publikationen eingebüßt hätten. Die untersuchten Degrowth-Studien griffen auf kleine und nicht-repräsentative Umfragen, Fallstudien und Interviews zurück. "Tatsächlich betreffen viele Degrowth-Fälle besondere Gebiete, wie abgelegene, wirtschaftlich oder bevölkerungsmäßig kleine Orte, mit geringer Bevölkerungsdichte oder ohne industrielle Aktivität", fassen die Autoren die geringe Übertragbarkeit zusammen. Viele Publikationen würden sich darüber hinaus einer umgekehrten Kausalität bedienen und Beispiele benennen, wo durch ein stabiles oder sinkendes Wirtschaftswachstum positive Effekte erfolgt seien. 

Schlussfolgerungen zu Studien über Degrowth-Strategien 

Die Autoren kommen unter anderem zu dem Schluss, dass bei den analysierten Publikationen mit Schwerpunkt in den letzten zehn Jahren vier Hauptthemenfelder dominieren: Umweltgerechtigkeit, nachhaltiges Wohlergehen, lokale beziehungsweise städtische Praktiken sowie Demokratie und Zivilgesellschaft. 

Die große Mehrheit der Studien gebe Meinungen statt Analysen wieder und verzichte weitestgehend auf quantitative oder qualitative Daten. Zu wenige Studien würden eine systemweite Perspektive einnehmen. "Aus der vorstehenden Liste ist man geneigt zu schlussfolgern, dass Degrowth (noch) nicht als bedeutendes akademisches Forschungsfeld angesehen werden kann", stellen Savin und van den Bergh ernüchtert fest. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass sich diese Mängel mit der Zeit verbessert hätten oder dies noch tun würden. 

Empfehlungen für eine verbesserte Degrowth-Forschung 

Die beiden Wissenschaftler geben anderen Forschenden die Empfehlung, dass zunächst geklärt werden sollte, was Degrowth genau bedeutet, um eine kohärentere und kumulativere Forschung zu ermöglichen. Bei der Auswahl von Fallbeispielen müsse unbedingt auf deren Repräsentativität und entsprechende Stichproben-Standards geachtet werden. Auch die potenzielle Unterstützung verschiedener Degrowth-Strategien seitens Politik und Öffentlichkeit sowie mögliche Synergieeffekte mit bestehenden Forschungsfeldern sollten vermehrt untersucht werden. Hilfreich wären zukünftig auch die Formulierung überprüfbarer Hypothesen und das Sammeln entsprechender Daten, um diese zu prüfen.

cva