Ein Stapel Fichten liegt am Straßenrand vor einer gerodeten Waldfläche
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"Nature"-Studie
In der EU werden immer mehr Bäume gefällt

Einer Studie zufolge roden die EU-Länder immer mehr Waldflächen, vor allem in Skandinavien. Grund sei die hohe Nachfrage nach erneuerbaren Rohstoffen.

01.07.2020

Der Holzeinschlag in den EU-Ländern hat sich einer Studie zufolge drastisch erhöht: Von 2016 bis 2018 lag die Holzentnahme um 49 Prozent höher als im Zeitraum 2011 bis 2015. Dies haben Wissenschaftler der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission im italienischen Ispra bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen entdeckt und im Fachjournal "Nature" veröffentlicht. Das Team um Guido Ceccherini macht darin vor allem die gestiegene Nachfrage nach Holz als nachhaltigen Roh- und Brennstoff für den Anstieg der Rodungen verantwortlich.

Ceccherini und sein Team untersuchten die Veränderungen bei den Wäldern in 26 EU-Staaten (ohne Malta und Zypern) in den Jahren 2004 bis 2018 auf der Basis von Satellitenbildern. Die grundlegende digitale Karte hatte eine Auflösung von 30 Metern, so dass auch kleinere Rodungsflächen gut erkennbar waren. Die Forschenden sehen ihre Untersuchung als eine Maßnahme zur Quantifizierung der abgeernteten Waldflächen an, die unabhängig von offiziellen Statistiken ist und einige der Einschränkungen der nationalen Bestandsaufnahmen überwindet.

Für den Anstieg der Rodungen um fast 50 Prozent sehen die Forscher drei mögliche Gründe: Zum einen die Alterung der europäischen Wälder, die das Entnehmen einer größeren Anzahl von "reifen" Bäumen notwendig mache. Dieser Grund könne aber höchstens 10 Prozent des beobachteten Anstiegs erklären. Zum anderen könnten Ereignisse wie Waldbrände oder Sturmschäden zu Holzverlusten führen – diese Verluste hatten die Forscher aber schon von vornherein herausgerechnet. Damit bleibt nach ihrer Auffassung die gestiegene Nachfrage nach Holz übrig, die auch von den statistischen Organisationen der Vereinten Nationen und der EU, Faostat und Eurostat, bestätigt werde.

"Dieser bemerkenswerte Anstieg der Abholzungsfläche ist besonders in Ländern mit relevanten forstwirtschaftlichen Aktivitäten (zum Beispiel Bioenergiesektor, Papierindustrie), zu verzeichnen", schreiben die Autoren. Rodungen in Schweden und Finnland machten mehr als die Hälfte des Anstiegs aus. Auf Polen, Spanien, Frankreich, Lettland, Portugal und Estland entfielen zusammen rund 30 Prozent. In Deutschland haben die Waldflächen hingegen von 2016 bis 2018 im Vergleich zum Zeitraum 2004 bis 2015 um sieben Prozent zugenommen. Auch Belgien (18 Prozent) und die Niederlande (neun Prozent) verzeichneten einen Zuwachs der Waldflächen.

Waldernte könnte Klimaschutz beeinträchtigen

"Wenn die Waldernte in einem solchen Umfang weiter anhält, könnte die EU-Vision einer waldbasierten Klimaschutzminderung nach 2020 beeinträchtigt werden", schreiben die Forschenden. Derzeit seien etwa 38 Prozent der Landfläche in der EU mit Wald bedeckt. Die Bäume nähmen etwa zehn Prozent des in der EU ausgestoßenen Kohlendioxids (CO2) auf. Halte der festgestellte Trend an, dann könnten die Wälder weniger CO2-Emissionen kompensieren. In diesem Fall wären zusätzliche Emissionsminderungen in anderen Sektoren notwendig, um bis 2050 die zugesagte Klimaneutralität der EU zu erreichen, mahnen die Forscher.

Ihre Methoden zur satellitengestützten Erfassung der EU-Waldflächen seien wichtige Instrumente: "Solche Ansätze werden die Umsetzung der waldbezogenen Politik im Rahmen des europäischen Green Deal verbessern und die Anforderungen an die Berichterstattung und Überprüfung von Treibhausgasen im Rahmen des Pariser Übereinkommens erfüllen." Der "Green Deal" soll die EU bis 2050 klimaneutral machen, so dass nicht mehr CO2 ausgestoßen als auf anderen Wegen wieder aufgenommen wird.

Die massive Zunahme der berechneten Holzeinschläge in Nordeuropa sei in dieser Höhe doch überraschend, sagte Marcus Lindner vom European Forest Institute (EFI) in Bonn. "Da die im Anhang gezeigten nationalen Statistiken deutlich geringere Zuwächse aufweisen, erscheinen hier detaillierte Vergleiche angezeigt, um die gefundenen Trends zu verifizieren." Professorin Christine Fürst von der Universität Halle-Wittenberg gibt zu bedenken, dass Kahlschläge sicherlich zum Teil aufgeforstet würden. Durch sie werde jedoch der Humus abgebaut der ein wichtiger Kohlenstoffspeicher sei. Die Studie zeige "die sehr dramatischen Verluste an Waldfläche und Biomasse, die sich durch den Wunsch, stärker auf Bioenergie zu setzen, ergeben", so Fürst.

Professorin Almuth Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verwies darauf, dass sich ein fortsetzender Trend der Abholzung mittelfristig negativ auf die CO2-Bilanz europäischer Wälder auswirken könnte. "Unabhängig davon muss man auch bei dieser Studie mal wieder darauf hinweisen, dass die Erreichung der Klimaziele nicht "dem Wald" überlassen werden kann, sondern auf einer schnellen Dekarbonisierung (der Abkehr von Kohle, Öl und Gas) der Wirtschaft fußen muss."

dpa/ckr