Blick auf Bücher durch Tablet
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Forschungsliteratur
Ist DEAL ein guter Deal?

Gute wissenschaftliche Literatur ist unverzichtbar, aber teurer. Wie kann das System zugunsten der Forschung umgestaltet werden?

Nachdem Elsevier, der größte Wissenschaftsverlag der Welt, Ende 2015 vor einem New Yorker Gericht die Löschung der "grauen" Literatur-Plattformen Sci-Hub, LibGen und BookFi erwirkt hatte, schien die Schlacht verloren: Viele Universitätsbibliotheken und externe Forschungsinstitute verabschiedeten sich von ihrer Hoffnung auf einen freien Zugang zu aktuellen internationalen Forschungsquellen. Offenbar haben die Anwälte von Elsevier, Wiley und Co. geschickt argumentiert und unter anderem glaubhaft auf das angeblich günstige und reibungslos funktionierende Fernleihsystem (Interlibrary Loan ILL) hingewiesen.

Aber es dauerte nicht lange und diverse Online-Datenbanken wechselten ihren Account und/oder Standort – und machten so weiter wie bisher. In den Foren der Sozialen Medien sprechen sich die neuen Gelegenheiten in Windeseile herum. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es doch letztlich die wissenschaftlichen Autoren sind, die als "Content-Produzenten" Fachzeitschriften und Datenbanken füllen. Muss hier nicht der Lieferant auch noch als Kunde zahlen; und das bei bestenfalls stagnierenden Bibliotheketats? Sind denn hier nicht andere organisatorische Lösungen denkbar? Zumal Ministerien und die DFG auf Open-Access-Verfügbarkeit von öffentlich geförderten Forschungsergebnissen drängen.

Obwohl die großen Wissenschaftsverlage wieder stärker in die Defensive geraten sind und derzeit eine wenigstens temporäre Einigung möglich scheint, bleibt das Grundproblem bestehen: Gewinnmargen von 30 bis 40 Prozent und limitierte Einzelfall-Lösungen (inklusive Embargo-Fristen und ähnlichem) auf der einen Seite und ein wachsender Mittelabfluss mitsamt mühseligen Inselstrategien auf der anderen Seite.

Der Handel mit Fachzeitschriften wird zum Plattformgeschäft

In der Wissenschaftslandschaft spiegelt sich damit in etwa dieselbe Entwicklung wider, die auch andere Bereiche unserer Wirtschaft erfasst hat: Zwischen Ressourcenangebot und -nachfrage schieben sich virtuelle Plattformen als Makler in die Wertschöpfungskette. Diese kreieren auf diese Weise einen elektronischen Marktplatz und sind umso wirkmächtiger, je exklusiver ihr Angebot beziehungsweise je intransparenter der Markt ist. Die Produzenten einer Leistung – hier die wissenschaftlichen Autoren – sind in der Regel zahlreich, die Zahl der Plattformen überschaubar.

Aus dieser Grundkonstellation resultieren differente Ziele und unterschiedliche Machtpotentiale. Nicht zufällig ist es einigen Verlagen zuletzt sogar gelungen, fixe jährliche Preissteigerungsraten von bis zu zehn Prozent durchzusetzen. Dass dies nicht nur für Nutzer in zahlungsschwächeren Ländern ein Problem ist, zeigt die Tatsache, dass die Universität Harvard bereits 2012 die Preisgestaltung der Plattformen deutlich kritisierte und zudem vor ernsten Versorgungsengpässen – mithin vor einer Behinderung des unentbehrlichen Wissenstransfers – warnte.

Nicht wenige Universitäten in Übersee wie auch in Europa haben sich seitdem schweren Herzens von diversen Wiley- und Elsevier-Journalen getrennt und streben durch diesen Boykott und parallel stattfindende Verhandlungen einen neuen "DEAL" zwischen Verlagen und Wissenschaft an. Stand April 2018 haben knapp 200 Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtunge, zum Beispiel in Berlin, Darmstadt, Frankfurt oder Stuttgart, ihre Elsevier-Abonnements gekündigt. Durch die erschwerte Verfügbarkeit wichtiger Fachpublikationen erweist man damit jedoch nicht nur den Studierenden einen Bärendienst.

Das Projekt DEAL

Im Rahmen des Projekts DEAL wird das Ziel verfolgt, bundesweite Lizenzverträge für das gesamte Portfolio elektronischer Zeitschriften (E-Journals) großer Wissenschaftsverlage ab dem Lizenzjahr 2017 abzuschließen.

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Augenscheinlich ist, dass im System der Wissensproduktion zentrale Funktionen von der Wissenschaft selbst erfüllt werden: Wissenschaftler schreiben, begutachten, moderieren und entscheiden am Ende, was veröffentlichungswürdig ist. Sie erzeugen dadurch ein eigenständiges und qualitätsgesichertes Angebot. Darüber hinaus sind dieselben Wissenschaftler aber auch die Hauptnachfrager von Journalbeiträgen und neuem "Wissen".

Weil mit Arbeitsteilung Spezialisierungsvorteile verbunden sind, hat sich in der Vergangenheit eine entsprechende Arbeitsweise zwischen Wissenschaft und Verlagen etabliert. Verlage haben (unterschiedlich anspruchsvolle) Journals etabliert oder betreiben sie im Auftrag wissenschaftlicher Institutionen in Print- und/oder elektronischer Form. Sie übernehmen damit "lästige" Aufgaben wie die der IT-gestützten Koordination, Formatierung und Editierung und sorgen dafür, dass die Forschungsergebnisse – zumindest gegen ein Entgelt – weltweit leicht zugänglich sind.

Effizienzvorteile durch Zentralisierung verlieren an Bedeutung

Waren die Effizienzvorteile zentral getätigter Investitionen großer Wissenschaftsverlage in IT-Systeme, in die Abwicklung von Review-Prozessen, die zentralisierte Editierung und Formatierung sowie den Vertrieb in der Vergangenheit durchaus plausibel, scheint deren Vorteil vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und des Verhaltens großer Verlage zunehmend fragwürdig. Die genannten Effizienzvorteile durch Zentralisierung verlieren heute immer stärker an Bedeutung.

Datenbanken und Bedienoberflächen lassen sich relativ schnell erstellen und aus schlichten Textdokumenten lassen sich heute mit wenigen Handgriffen beeindruckend formatierte Beiträge zaubern. Diese sind per Knopfdruck online und somit dem Publikum weltweit zugänglich. Darüber hinaus scheint die von den Verlagen zunehmend verfolgte Gamification der Wissenschaft (beispielsweise durch Verleihung von Reviewer Recognition Zertifikaten) hinsichtlich ihres Nutzens fraglich.
Einzig die Kontrolle über Markennamen und Reputation der namhaften Fachzeitschriften ist eine nicht unmittelbar zu beseitigende Wechselbarriere.

Da jedoch die Wissenschaft letztlich selbst über die Reputation der Zeitschriften bestimmt, scheint auch diese Barriere nicht unantastbar. Verweigern Editoren, Boards und Gutachter gegenüber dem Plattformbetreiber ihre (freiwillige!) Arbeit, könnte das Journal of Business Research fast über Nacht zum New Journal of Business Research werden – die Markenreputation würde transferiert und die Machtposition hier von Elsevier ausgehöhlt.

Warum kommt es jedoch nur selten dazu, dass Autoren, Institute oder Universitäten selbst zum Plattformbetreiber werden? Mindestens zwei Aspekte können als Gründe gesehen werden. Erstens: Wissenschaftler erhalten gerade in Deutschland in der Regel keine unmittelbaren finanziellen Anreize für die Publikation wissenschaftlicher Beiträge. Darüber hinaus tragen häufig zentrale Einrichtungen die Kosten für den Erwerb der kostspieligen Abonnements, so dass den einzelnen Lehrstühlen der Handlungsdruck fehlt. Getreu dem Motto "Never change a running system" wird der Status quo fortgeschrieben.

Zweitens: Der einzelne Wissenschaftler mit seiner hohen Arbeitsbelastung kann das System schon zeitlich kaum verändern. In Ermangelung praktikabler Alternativen werden eher Lösungen improvisiert, das heißt Zugänge unter der Hand weitergereicht und Volltexte ins Netz gestellt. Es fehlen also sowohl die individuellen Anreize als auch die Kapazitäten, selbst elektronische Plattformen zu betreiben.

In diesem Kontext ist der Versuch des "New Deal" diverser Wissenschaftsorganisationen mit den großen Wissenschaftsverlagen zwar lobenswert, ändert jedoch nichts an der Zementierung der Schlüsselposition der Großverlage als Plattformbetreiber. Dies gilt auch für die inzwischen namhaften deutschen 38 Wissenschaftler, die aus Opposition ihre Journal-Herausgeberschaften bei Elsevier niedergelegt haben. Ein abzusehender, aber einmaliger Preisrabatt wäre lediglich ein punktueller Verhandlungserfolg, der jedoch nicht die Grundproblematik der Machtasymmetrie beseitigt.

Public-Private-Partnerships sind denkbare Alternative

Insofern bestünde die Aufgabe eher darin, die angesprochenen Barrieren zu beseitigen, die dem Aufbau von Publikationsplattformen wissenschaftlicher Gemeinschaften entgegenstehen. Mindestens drei Alternativen scheinen hierzu denkbar.

Erstens könnten wissenschaftliche Gemeinschaften auf einer eigenen Plattform kostengünstig oder frei zugänglich vermarkten, die bisherigen Zeitschriftenverlage dagegen als Servicepartner weiterhin Funktionen wie Druck und Auslieferung übernehmen. Ein Finanzierungsbeitrag könnte aus Mitgliedsbeiträgen erfolgen, die von den jeweiligen Forschungsinstitutionen getragen werden.
Zweitens könnten Wissenschaftler direkt, das heißt auch unabhängig von Verbänden Publikationsplattformen beispielsweise in Form einer Genossenschaft betreiben. Etwaige Gewinne könnten dann in Abhängigkeit von den Beiträgen der Mitglieder zur Leistungserstellung (zum Beispiel nach Qualität oder Länge einer Publikation) verteilt werden.

Drittens sind Public-Private-Partnerships zwischen der öffentlichen Hand und den Forschern als Autoren, Gutachtern und Editoren denkbar. Diese stellen eine vorteilhafte Mischform aus zentralisierten Funktionen wie dem Aufbau und Betrieb einer standardisierten Plattform und dezentralem Unternehmertum der jeweiligen Fachkollegien dar. Als Anschub könnten staatliche Förderinstitutionen und/oder Bibliotheksverbünde finanzielle Zuschüsse zur Verlagerung von Zeitschriften geben.

Die Erweiterung des möglichen Lösungsraums um die genannten Alternativen und deren entschlossenes Vorantreiben könnten am Ende zu einem besseren und insbesondere langfristig tragfähigen "DEAL" führen.