Das Foto zeigt zwei junge Frauen, die auf ihre Smartphones sehen.
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Soziologie
Keine Unterschiede zwischen Generationen

Gibt es in Deutschland Generationen, die sich in ihren Einstellungen unterscheiden? Das sei ein Irrtum, meint der Marburger Soziologe Martin Schröder.

01.11.2018

Es gibt in der Bundesrepublik keine Generationen, die sich in ihren Einstellungen voneinander unterscheiden. Zu diesem Ergebnis gelangt der Marburger Soziologe Professor Dr. Martin Schröder in einer aktuellen Studie, in der er über 500.000 Einzeldaten von mehr als 70.000 Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern auswertet.

Studien und populärwissenschaftliche Bücher über Generationenunterschiede beruhen laut Schröder auf einer falschen Grundannahme, die von der Empirie nicht gestützt wird. Schröder veröffentlichte die Ergebnisse seiner Analyse in der aktuellen Ausgabe der "Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie".

Alle paar Jahre riefen Trendforscher und Ratgeberautoren eine neue Generation aus, wie die "Nachkriegsgeneration", "68er", "Null Bock-Generation" oder "Postmaterialisten". "Aber in Wirklichkeit gibt es die dahinter vermuteten Einstellungsunterschiede nicht", sagt Schröder: Seiner Untersuchung zufolge unterscheiden sich die verschiedenen Alterskohorten kaum in ihren Einstellungen zum Leben und zur Welt.

"Verwässerter" Generationenbegriff

Nach Ansicht Schröders ist der präzise Generationenbegriff sozialwissenschaftlicher Klassiker durch theoretisch unscharfe Studien ebenso verwässert wie durch populärwissenschaftliche Bücher. Schröder zitiert in seiner Analyse die Gemeinplätze, mit denen die einschlägigen Studien die angeblichen Generationen beschreiben, etwa das Bedürfnis der sogenannten „Generation Y“ nach emotionaler Bindung, aber auch nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft. Welche Generation wünsche sich das nicht, fragt Schröder. Zudem würden ein- und derselben "Generation Y" mitunter gegensätzliche Eigenschaften zugeschrieben. Auf der einen Seite zum Beispiel eine große Freiheitsneigung, auf der anderen eine starke Gemeinschaftsorientierung.

All diese Studien leiden an einem gravierenden Mangel, behauptet Schröder: Um eine Generation von einer anderen abgrenzen zu können, müsste man ihre Angehörigen mit älteren oder jüngeren Personen vergleichen. Genau das machten aber die Generationenforscher nicht. Sie "vergleichen Einstellungen gar nicht kohortenübergreifend", sagt Schröder. Als Kohorte bezeichnet die Soziologie eine Gruppe von Personen gleichen Alters.

Bisher standen empirische Studien aus, die Einstellungen verschiedener Alterskohorten miteinander vergleichen. Schröder analysierte laut Mitteilung der Universität Marburg Umfragedaten aus einer Langzeituntersuchung. Seit dem Jahr 1984 befragt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Jahr für Jahr zirka 12.000 Privathaushalte und veröffentlicht die Ergebnisse der Erhebung im "Sozio-ökonomischen Panel" (SOEP). "Wenn es wirklich Generationen gibt, dann müssten die unterschiedlichen Geburtenkohorten im Jugendalter unterscheidbare Einstellungen haben", meint der Marburger Hochschullehrer.

Das Ergebnis fällt für Schröder ziemlich eindeutig aus: "Wenn man sich die Einstellungen unterschiedlicher Geburtenjahrgänge anschaut, fällt auf, dass die vermeintliche Generation Y genauso denkt, wie so ziemlich alle anderen Generationen vor ihr", sagt Schröder. Die wenigen und schwachen Effekte, die sich doch zeigten, wiesen zudem oft in die genau gegenteilige Richtung dessen, was die Literatur vermutet. "Es gibt Einstellungsunterschiede, die sich in der gesamten Gesellschaft breit machen, aber die erfassen alle Generationen gleichermaßen."

Angesichts der Resultate hält es Schröder für sinnlos, Befragungen wie die "Shell Jugendstudie" durchzuführen, um vermeintliche Generationen zu unterscheiden. "Das periodische Ausrufen neuer Generationen mit unterschiedlichen Einstellungsmustern illustriert die Konstruktion gesellschaftlicher Mythen und nicht tatsächlicher Generationenunterschiede."

gri