Studentin steuert ein Roboter-Auto
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Moral bei Künstlicher Intelligenz
KI handelt nach moralischer Kultur der Programmierer

Wer würde einen Menschen opfern, um fünf zu retten? In moralischen Fragen entscheiden sich Menschen weltweit unterschiedlich.

22.01.2020

Die Bereitschaft, einen Menschen zu opfern, um mehrere zu retten, unterscheidet sich von Land zu Land. Die moralischen Entscheidungen der Menschen hängen dabei stark von den Umständen ab – und prägen auch das Handeln von Künstlicher Intelligenz. Das zeigt eine Studie mit 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 42 Ländern, über die das Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung berichtete.

Das Forscherteam führte 2017 am Massachusetts Institute of Technology eine Moral-Machine-Umfrage durch und verwendete dabei Varianten des sogenannten Trolley-Problems, über das Menschen aus Philosophie, Ethik und Rechtswissenschaften seit Jahrzehnten diskutieren. Bei dem Gedankenexperiment fährt eine Straßenbahn (auf Englisch "Trolley") ungebremst auf fünf Gleisarbeiterinnen und -arbeiter zu. Der Weichensteller könnte die Straßenbahn auf ein Nebengleis umleiten, auf dem nur ein Mensch arbeitet. Soll er den einen Menschen opfern, um fünf Menschen zu retten?

Angesichts der Fortschritte bei autonomen Fahrzeugen ist das Trolley-Problem wieder aktuell. "Wie sollen selbstfahrende Fahrzeuge sich verhalten, wenn ein Unfall nicht zu verhindern ist? Universelle Grundsätze, an die sich Ingenieurinnen und Programmierer von autonomen Fahrzeugen halten können, gibt es nicht", sagt Iyad Rahwan, Direktor des Forschungsbereichs Mensch und Maschine am MPI. Der Umfrage der Forscher zufolge, würden Menschen je nach Kulturkreis autonome Fahrzeuge in solchen Situationen unterschiedlich programmieren.

Opfer-Bereitschaft ist eine zwischenmenschliche Frage

Das Forscherteam beschäftigte sich mit drei Versionen des Trolley-Problems. Im ersten Szenario konnten die Teilnehmenden den Waggon auf ein Nebengleis lenken, wodurch ein Mensch stirbt und fünf Menschen überleben. Im zweiten Szenario führt das Umleiten ebenfalls zum Tod des Menschen auf dem Nebengleis, sein Körper verhindert jedoch, dass der Waggon über eine Schleife auf das Hauptgleis zurückrollt und fünf weitere Menschen sterben. Im dritten Szenario kann ein großer Mann von einer Fußgängerbrücke auf die Schienen gestoßen werden, wobei sein Körper den Waggon aufhält und fünf andere Menschen rettet.

Der Studie zufolge würden in allen Ländern mehr Befragte einen Menschen im ersten Szenario opfern als im zweiten und am wenigsten im dritten. Die Bereitschaft den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen, um andere zu retten, sei also weltweit größer, als den Tod eines Menschen zu instrumentalisieren, wie im zweiten und dritten Szenario.

Zwischen den Ländern gebe es aber auch Unterschiede. Beispielsweise würden im ersten Szenario 82 Prozent der Deutschen billigen, den einzelnen Menschen zu opfern. In den meisten westlichen Ländern seien die Werte ähnlich, in einigen ostasiatischen Ländern auffallend geringer. In China beispielsweise billigten nur 58 Prozent der Befragten die Umleitung des Waggons im ersten Szenario. Im dritten Szenario wichen die Antworten stärker voneinander ab. So stimmten 49 Prozent der Teilnehmenden in Deutschland zu, den großen Mann von der Fußgängerbrücke zu stoßen, in Vietnam seien es hingegen 66 Prozent und in China nur 32 Prozent.

In Ländern, in denen es schwierig ist, außerhalb von traditionellen sozialen Gebilden, wie Familie oder Beruf, neue Beziehungen zu knüpfen, ist der Studie zufolge auch die Bereitschaft einen Menschen zu opfern geringer. Für einen klaren, kausalen Zusammenhang sei es noch zu früh, die Wissenschaftler vermuteten aber, dass Menschen davor zurückschrecken, kontroverse Entscheidungen zu treffen, wenn sie Angst haben, als "Monster" dazustehen und dadurch ihre aktuellen Beziehungen zu verlieren.

ckr