Dreidimensionale Struktur des Proteins Alpha-1 antitrypsin.
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Strukturbiologie
KI sagt Proteinstrukturen voraus

Ein Google-Algorithmus berechnet präzise 3D-Strukturen von Proteinen. Damit beschleunigt das KI-basierte Programm auch die medizinische Forschung.

01.12.2020

Einem Netzwerk für Künstliche Intelligenz (KI) des britischen Google-Ablegers "DeepMind" ist ein großer Fortschritt in der Strukturbiologie gelungen. Das Programm "AlphaFold" sagt anhand des linearen Bauplans – der Aminosäuresequenz – eines Proteins dessen dreidimensionale Struktur präzise voraus, wie mehrere Medien berichteten. Die Qualität der Ergebnisse sei nun vergleichbar mit denen, die durch konventionelle Methoden zur Strukturaufklärung erlangt werden können.

In einer mehrmonatigen internationalen "Challenge" zur Vorhersage solcher Strukturen übertraf "AlphaFold" den Berichten zufolge mit großem Abstand rund 100 weitere, vorwiegend akademische Forscherteams. Wissenschaftler zeigten sich begeistert von der Weiterentwicklung von "AlphaFold", das bereits den letzten Wettbewerb gewonnen hatte. Die Ergebnisse der CASP-Aufgabe (Critical Assessment of Structure Prediction), in der sich seit 1994 alle zwei Jahre IT-Entwickler messen, wurden am Montag auf einer Konferenz bekannt gegeben. Das 50 Jahre alte Problem sei nun gelöst, sagte John Moult, Bioinformatiker an der University of Maryland und einer der Initiatoren des Wettbewerbs.

Die Möglichkeit, durch KI die Struktur von Proteinen vorherzusagen, sei ein Segen für die Medizin und die Lebenswissenschaften, sagte Moult. Das Verständnis für den molekularbiologischen Aufbau von Körperzellen und die Entwicklung von Medikamenten würden dadurch erheblich beschleunigt. "Das wird die Medizin verändern. Es wird die Forschung verändern. Es wird das Bioengineering verändern. Es wird alles verändern", sagte auch Professor Andrei Lupas, Evolutionsbiologe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.

Algorithmen berechnen biologisches Origami

Die 3D-Struktur eines Proteins bestimmt nicht nur dessen Aussehen, sondern auch seine biologische Aufgabe. Wie sich die linearen Ketten aus Aminosäuren falten und ineinander zu einem funktionalen Knäuel verdrehen, wird dabei durch molekulare Anziehungs- und Abstoßungskräfte geregelt. Diese Kräfte berechne das KI-Programm mit maschinellem Lernen, indem es anhand von bestehenden strukturellen und genetischen Daten und geometrischen Einschränkungen den Abstand zwischen Aminosäurepaaren in einem Protein und daraus die wahrscheinlich stabilste Gesamtstruktur voraussage.

Durch konventionelle Methoden wie Röntgenkristallographie oder Kryo-Elektronenmikroskopie konnten laut den Berichten bislang rund 170.000 der mehr als 200 Millionen bekannten Proteine in lebenden Organismen entschlüsselt werden. Durch die Software könnten nun schnell neue hinzukommen.

Bei zwei von drei in dem Wettbewerb erprobten Proteinen sagte "AlphaFold" deren Struktur identisch zu experimentellen Belegen voraus. Bei einigen der verbleibenden Unterschiede ließe sich derzeit nicht sagen, ob die Software oder die Labormethode inakkurat seien. Probleme habe die KI-Methode noch bei größeren Proteinkomplexen. Die aufwändigen und teuren Labormethoden zur Strukturaufklärung, die bisher als Goldstandard galten, könne das Programm daher noch nicht gänzlich ersetzen. Es eröffne aber bereits jetzt neue Möglichkeiten. Das Unternehmen plane, die zugrundeliegenden Algorithmen künftig für Wissenschaftler zugänglich zu machen.

ckr