

Wissenschaftsfreiheit
Kontrollierte Exzellenz in China
Die Wissenschaftsfreiheit – als der Schutz vor externer Einflussnahme durch Dritte außerhalb des Wissenschaftssystems – wird in vielen nationalen Wissenschaftssystemen als ein wirksamer und integraler Bestandteil des Systems verstanden und ist entsprechend auch rechtlich verankert. Unter den bibliometrisch führenden Wissenschaftsnationen stellt das aufsteigende Wissenschaftssystem der Volksrepublik China diesbezüglich eine Ausnahme dar. Parteiorgane der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sind in chinesischen Hochschulen präsent und ihr politischer Einfluss wird auch mittels Einbindung in Hochschulgremien sichergestellt. Folglich rangiert China in der Einschätzung der Experten des Academic Freedom Index unter den zehn Prozent der am schlechtesten bewerteten Länder.
Die KPCh ist einerseits bestrebt, Forschungsexzellenz zu fördern und gleichzeitig die Kontrolle über Hochschulen und somit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittels der Präsenz von Parteiorganen zu sichern. Zu diesem Zwecke werden Parteifunktionäre in die Hochschulverwaltung und wissenschaftlichen Gremien eingebunden. Die Einschränkung der Wissenschaft geht auch aus den chinesischen Vorschriften hervor, die zum Beispiel durch Disziplinarverfahren und Beförderungskriterien darauf abzielen, mögliche Grenzüberschreitungen vorweg zu unterbinden. Wie aber nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Präsenz der Partei mit Blick auf die Wissenschaftsfreiheit wahr und unterscheiden sich die Einschätzungen je nach disziplinärer Zugehörigkeit?
Um dies zu beantworten, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) gemeinsam eine systematische Umfrage unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit bibliometrisch nachgewiesenen China-Arbeitserfahrungen durchgeführt.
Mittels eines Samplings basierend auf aktuellen oder vormaligen chinesischen Affiliationsangaben wurden 60.000 Autorinnen und Autoren zu einer Umfrage bezüglich der Einbindung chinesischer Parteiorgane in die Universitäten und der wahrgenommenen Einflussnahme eingeladen. Aufgrund von Informationskontrollen war es leider schwierig, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in China zu erreichen. Um diese erwartbare Einschränkung abzufedern, wurden auch Personen im Ausland in die Umfrage eingebunden, darunter solche, die über eine parallele Affiliation in China und im Ausland verfügen. Trotz einer technischen Blockade der Umfragewebsite in China haben sich 1.087 Personen beteiligt, erwartungsgemäß vornehmlich aus anderen Sitzländern. Wenngleich die Antwortquote unter zwei Prozent lag, stellen diese Daten einen ersten großflächigen Ansatz dar, um detaillierte Angaben über die wahrgenommenen Arbeitsbedingungen in chinesischen Universitäten – auch in Bezug auf Disziplinunterschiede – zu erfahren.
Forschungsfreiheit
Bekanntermaßen können insbesondere die Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW) in ihrer Forschung die politischen Interessen der Partei berühren. Qualitative Studien bestätigen dies. Der von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in unterschiedlichen Disziplinen wahrgenommene politische Einfluss ist bisher jedoch nicht systematisch vergleichend untersucht worden, zumal nicht mit quantitativen Daten. Wir geben daher getrennt nach Wissenschaftsfeldern einen Einblick in unsere Umfrageergebnisse entlang dreier neuralgischer Punkte des Forschungskreislaufs: Themensetzung, Forschungsdurchführung und Ergebnisdissemination. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die Präsenz der Parteiorgane in Universitäten informiert sind.
Unsere Umfrageantworten zeigen, dass mit 84 Prozent insbesondere Autorinnen und Autoren in den GSW über diesen Umstand berichten, während auf der anderen Seite mit 58 Prozent nur knapp mehr als die Hälfte der Autorinnen und Autoren in den Lebenswissenschaften dies bestätigen (Naturwissenschaften: 70 Prozent, Gesundheitswissenschaften: 78 Prozent). Grundsätzlich lässt sich also ein mehrheitliches Bewusstsein in allen Feldern – auch in den vermeintlich nicht oder kaum betroffenen – beobachten, wobei die Wahrnehmungsstärke zwischen den Feldern schwankt.
Themenschwerpunkt "China"
Neben den USA, Großbritannien und vielen EU-Ländern zählt China zu den wichtigsten Forschungspartnern Deutschlands. In unserem China-Schwerpunkt finden Sie Artikel über Entwicklungen in China hinsichtlich seiner Wissenschaftsfreiheit, Forschungsziele und -methoden.
Wie aber wirkt sich die Präsenz der Parteiorgane – und ihre Verzahnung mit der universitären Verwaltung – auf die Forschungsfreiheit der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus? Hierzu verneinen feldübergreifend nur 28 Prozent der von uns befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vollständig, dass es rote Linien gäbe, die sowohl die Rede- als auch die Forschungsfreiheit einschränkten. Gleichzeitig stimmen aber auch nur 22 Prozent der Aussage uneingeschränkt zu, während der Großteil der Antwortenden die Existenz von roten Linien nicht vollständig abstreitet (siehe auch Panel 1 in der Abbildung). Ähnlich antworten die Autorinnen und Autoren bezüglich der ihnen möglichen Identifikation dieser Grenzen, als dass 25 Prozent der Autorinnen und Autoren angegeben, diese Grenzen überhaupt nicht zu kennen, und 19 Prozent mitteilen, dass sie die Grenzen genau einschätzen können. Somit kann eine substanzielle Unsicherheit der Antwortenden attestiert werden, der Großteil (72 Prozent) stimmt jedoch der Existenz von roten Linien partiell zu und kann diese auch eingeschränkt für sich identifizieren (75 Prozent).
Entsprechend dieser Unsicherheit berichten insbesondere Autorinnen und Autoren aus den GSW über Implikationen für ihre Themensetzung: 56 Prozent der Autorinnen und Autoren in den GSW widersprechen nicht vollständig der Aussage, dass sie aus politischen Gründen bestimmte Themen oder Methoden vermieden hätten. Aber auch in den anderen, vermeintlich nicht betroffenen Feldern geben immerhin 39 Prozent an, dass sie zumindest vereinzelt aus politischen Gründen bestimmte Themen oder Methoden vermieden hätten (Panel 2). Geringer wird über die wahrgenommene Einflussnahme in der folgenden Durchführung der Forschungsarbeit berichtet.
30 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben an, dass sie ihre Forschung nicht komplett ohne Einflüsse durch die Parteiorgane durchführen konnten und entsprechend eine Einflussnahme auf ihre Forschungsarbeit wahrgenommen haben. Der überwiegende Großteil einschließlich Autorinnen und Autoren in den GSW berichtet jedoch von keinem Einfluss der Parteiorgane auf die Durchführung ihrer Forschungsarbeit. Diese Angaben bedürfen einer kritischen Einordnung, denn in der abschließenden Dissemination der Forschungsergebnisse wird von Einschränkungen in einem quantitativ messbaren Ausmaß berichtet, als dass 32 Prozent der Autorinnen und Autoren in geringem bis vollständigem Ausmaß die Aussage treffen, bestimmte Forschungsergebnisse aus politischen Gründen nicht veröffentlicht zu haben (Panel 3); Autorinnen und Autoren in den GSW berichten deutlich häufiger davon (47 Prozent).
Forschungspraktiken
Diese Umfrage stellt einen ersten Schritt dar, um unter schwierigen Bedingungen zu erheben, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Felder ihre Arbeitsbedingungen in Bezug auf Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit in China wahrnehmen. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Arbeitserfahrung in China – unabhängig vom Wissenschaftsfeld – der Präsenz von Parteiorganen in chinesischen Universitäten mehrheitlich bewusst sind. Sie berichten nicht nur in den GSW von der Existenz von roten Linien, die ihre Rede- und Forschungsfreiheit beschränken.
Dies scheint sich insbesondere auf die Themenwahl auszuwirken. Gleichzeitig berichten dieselben Personen in geringerem Ausmaß von Auswirkungen auf die Durchführung ihrer Forschung und die Ergebnisdissemination. Dies erscheint folgerichtig, da politisch unerwünschte Forschung im Regelfall vor der Durchführung unterbunden werden kann oder wegen politisch incentivierter Selbstzensur erst gar nicht angestoßen wird. Das Ausmaß dieser Repression unterscheidet sich je nach Fach, lässt sich aber nicht sicher beziffern, da Erhebungen zum Thema Wissenschaftsfreiheit in China nicht ohne Einschränkung durchgeführt werden können.
Hintergrund der Umfrage
Die Umfrage entstand im BMBF-geförderten Projekt "Wissenschaftsfreiheit in der Volksrepublik China" in Zusammenarbeit mit Katrin Kinzelbach, Professorin für Menschenrechtspolitik an der FAU Erlangen-Nürnberg, und Stephan Stahlschmidt, Kommissarischer Abteilungsleiter am DZHW.