Bunte Spiralen und Linien vor einem menschlichen Gesicht im Profil
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Assoziationen
Kreativ im Rausch

Haben wir im Rausch die besseren Ideen? Verschiedene Studien haben den Einfluss von Alkohol auf Prozesse im menschlichen Gehirn genauer untersucht.

30.12.2019

Künstler und Intellektuelle verschiedener Epochen sind bekannt für ihren regelmäßigen, teils exzessiven Konsum von Alkohol und anderen Rauschmitteln. Mit all seinen negativen Nebenwirkungen gehört er zu ihrem kreativen Schaffensprozess. In seinem Tagebuch äußerte sich dazu etwa der Komponist Robert Schumann: "Katzenjammervoll" habe er komponiert. Vom Rausch profitiert habe er vor allem kurz danach. "Wenn ich betrunken bin oder mich erbrochen habe, so war am anderen Tag die Fantasie schwebender und erhobener", schrieb Schumann.

Der Ideenfluss im alkoholischen Vollrausch ist laut wissenschaftlichen Studien ein Gerücht. Alkohol kann demnach jedoch durchaus einen positiven Effekt auf die eigene Kreativität haben. Es kommt auf die Dosis und die Regelmäßigkeit des Alkoholkonsums an.

Eine Studie von 2017 um den österreichischen Psychologen Dr. Mathias Benedek von der Universität Graz hat speziell den Effekt einer geringen Dosis von Alkohol auf das menschliche Denken untersucht. Dafür ließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Veruschsgruppe so viel Bier trinken bis sie 0,3 Promille im Blut hatten. Eine Kontrollgruppe erhielt alkoholfreies Bier.

Es zeigte sich, dass die leicht alkoholisierte Gruppe bei anschließenden Aufgaben besser in der kreativen Problemlösung abschnitt als die anderen Versuchspersonen. Daran, dass sie auf einmal kreativer waren, lag das jedoch nicht. Vielmehr hemmte der Alkohol ihre Selbstkontrolle, während sich ihre Assoziationen lockerten und sie divergent dachten. Dazu passt auch das Empfinden Schumanns, der "schwebenden und erhobenen" Gedanken kurz nach dem Vollrausch.

Rausch erlaubt unkontrollierte Assoziationen

Die Psychologin Dr. Tanja Gabriele Baudson erklärt in ihrem Beitrag "Rausch und Kreativität" die Wirkung von Alkohol auf das Denken mit Sigmund Freud. Der Psychoanalytiker – selbst bekannt dafür, immer wieder zum Rauschmittel Kokain zu greifen – unterschied zwischen Primärprozessen und Sekundärprozessen des Denkens. Sekundärprozesse sind laut ihm dadurch gekennzeichnet, logisch und organisiert zu sein, während Primärprozesse scheinbar chaotisch laufen. Sie sind am Lustprinzip orientiert.

Wenn Rauschmittel nun die kontrollierenden Sekundärprozesse bremsten, flössen Gedanken unzensiert. Freud verglich diesen Zustand, in dem die "Schleusen des Unbewussten" geöffnet würden, mit einem Traum oder einer psychischen Störung. Eine Person schriebe dann etwa auch Gedanken auf, die sie sonst nicht preisgeben würde. Wichtig sei es beim künstlerischen Schaffen laut Baudson, nach dem Rausch noch einmal über die eigenen Werke zu schauen, mit der "kontrollierenden Instanz des Ichs".

Ein Rausch habe auch immer wieder dazu geführt, dass Schaffende gesellschaftliche Tabus außer Acht gelassen hätten, schreibt die Wissenschaftlerin. Gingen sie dabei zu weit, sorgten sie für einen Eklat. Warteten sie jedoch auf den passenden Moment, könnten sie mit ihren Gedanken revolutionäre und zukunftsweisende gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen.

Kurzfristig könne ein Rausch damit durchaus kreativ wirken, wenn die Arbeiten danach nüchtern noch einmal kontrolliert würden. Er könne laut Baudson etwa auch Personen helfen, die unter Ängsten und Schreibblockaden litten. Eine langfristige Lösung sei das jedoch nicht. Dann überwiege vor allem Schaden für Körper und Geist. Das zeigte bereits eine 1990 veröffentlichte Studie des Psychiaters Professor Arnold M. Ludwig, der die Biografien von 34 Künstlerinnen und Künstler untersuchte, darunter 28 Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Der Effekt des Alkohols sei zum Großteil negativ gewesen – vor allem wenn die Künstler viel während der Arbeit tranken und das über eine längere Zeit.

Weiterführende wissenschaftliche Studien

Amer et al., 2016: Cognitive control as a double-edged sword. T. Amer, K.L. Campbell and L. Hasher, Trends in Cognitive Sciences, 20, pp. 905-915.

Nusbaum et al., 2014: Ready, set, create: What instructing people to "be creative" reveals about the meaning and mechanisms of divergent thinking. E.C. Nusbaum, P.J. Silvia and R.E. Beaty, Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 8, pp. 423-432.

Jarosz et al., 2012: Uncorking the muse: Alcohol intoxication facilitates creative problem solving. A.F. Jarosz, G.J. Colflesh and J. Wiley, Consciousness and Cognition, 21, pp. 487-493.

Norlander, 1999: Inebriation and inspiration? A review of the research on alcohol and creativity.     T. Norlander, Journal of Creative Behavior, 33, pp. 7-29.

kas