Techniker im Tunnel des Teilchenbeschleunigers am Cern
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Teilchenphysik
Kritik an geplantem Cern-Nachfolger

In Genf soll der größte Teilchenbeschleuniger der Welt entstehen. Eine Physikerin zweifelt, ob die Milliardenkosten die Erkenntnisse rechtfertigen.

25.06.2020

Am Standort des bislang weltgrößten Teilchenbeschleunigers am Cern in Genf wollen Teilchenphysiker einen Nachfolger bauen, der fast viermal so groß ist. Der neue Future-Circular Collider (FCC) soll einen Umfang von 100 Kilometern haben und 100.000 mal leistungsstärker sein als der jetzige Large Hadron Collider (LHC). An den möglichen Kosten von rund 24 Milliarden Euro gibt es jedoch auch Kritik.

"Die Welt braucht keinen neuen, gigantischen Teilchenbeschleuniger", zumindest nicht jetzt, sagte Dr. Sabine Hossenfelder vom Frankfurt Institute for Advanced Studies im "Scientific American". "Er würde Milliarden kosten, die potenziellen Erfolge sind unklar – und das Geld könnte besser für die Erforschung von Bedrohungen wie dem Klimawandel und neu auftretenden Viren ausgegeben werden", so die theoretische Physikerin. Das Geld solle in Forschung mit höherer gesellschaftlicher Relevanz investiert werden. "Wir haben größere Probleme als die nächste Stelle der Masse des Higgs Bosons zu messen."

Stand der Technik erfordert große Bauweise

Zudem seien die exakten Kosten für die neue Anlage unklar, da die Betriebskosten in den Schätzungen des Cerns nicht enthalten seien. Hossenfelder zufolge lägen diese bei mindestens einer Milliarde Dollar jährlich. Die hohen Bau- und Betriebskosten kämen auch dadurch zustande, dass die zugrundeliegende Technologie in den vergangenen Jahrzehnten kaum weiter entwickelt wurde. Die teuren, weil riesigen, Anlagen seien heute nicht mehr gerechtfertigt, um einen vergleichsweise geringen Wissensfortschritt zu erreichen, argumentierte die Physikerin.

Durch den neuen Teilchenbeschleuniger erhoffen sich die Cern-Betreiber unter anderem neue Erkenntnisse über Dunkle Materie. Ob die neue Anlage dafür die richtigen Bedingungen schaffe, sei jedoch unklar, sagte Hossenfelder. Durchbrüche könnten ebenso durch Experimente im Bereich der Quantenphysik erzielt werden, die ohne Hochenergieanlagen wie das Cern auskommen.

Das Konzept für den neuen Teilchenbeschleuniger haben die Physiker der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) Anfang 2019 vorgestellt. Vergangene Woche haben Forschende der beteiligten Länder ein aktualisiertes Strategiepapier zur Zukunft der Teilchenphysik verabschiedet, das dem Neubau eine hohe Priorität einräumt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen darin eine Machbarkeitsstudie vor, um die technischen und finanziellen Möglichkeiten zu untersuchen. Parallel zu den Plänen des Cern laufen in Japan und China Pläne für zwei weitere große Teilchenbeschleuniger.

ckr

1 Kommentar

  • Peter Dr.Scheibner Die große Bauweise in der gebirgigen Gegend stört tatsäch^lich etwas. Stellt sich die ^Frage, ob nicht andere Standorte - bei ähnlichen Bedingungen^, aber geringeren Baukosten - geeigneter wären. Fortschritt dagegenrechnen, macht aber keinen Sinn, weil die konkrete Bedeutung in dem Fall grundlegendrr Natur ist. Wichtiger wäre, das Urknallideal mal zu beseitigen, diesen Schöpfungsmythos. Wenn das gelänge, wird vieles einfacher.
    Man sollte über die Anlagenleistung reden, damit sich diese in kurzer Zeit nicht wieder als zu klein erweist, und weitere Verwendungszwecke für diese neue Anlage vorab klären (Transporttunnel (z.B. für Energie, Wasser, Waren...), Fertigungseinrichtungen, Energiegewinnung ).
    Perspektivisch Denken, langfristig. Unsere Gesellschaft hat eine Produktivität erreicht, die uns solche Projekte ermöglicht. Die benannte Kritik sollte berücksichtigt werden, eventuell sind mehrere konkurrierende Vorbereitungsstudien besser als eine? Neue Ideen, erst noch mehr denken, dann handeln - aber auf jeden Fall weitermachen. Meine Meinung.