Windfahne bzw. "Wetterhahn" aus Metall zeigt einen Lachs und die Himmelsrichtungen an
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Sinnesphysiologie
Neue Erkenntnisse zum Magnetsinn von Lebewesen

Wie finden Tiere ihr Ziel? Eine Studie liefert neue Einblicke zum inneren Kompass von Lebewesen. Sie erlauben Rückschlüsse zu deren Evolution.

12.01.2022

Der Magnetsinn beziehungsweise der Magnetfeldorientierungssinn ist in der Natur weit verbreitet. Lachse finden damit beispielsweise die Route zu ihren Laichgründen; Meeresschildkröten den Strand, an dem sie geschlüpft sind, um dort ihre Eier zu legen. Lebewesen mit sogenannter Magnetorezeption können das Erdmagnetfeld wahrnehmen und sich daran zielgenau orientieren. Wie genau das funktioniert, war bislang unklar.

Ein internationales Forschungsteam aus Oregon, Straßburg, Oldenburg und Saarbrücken hat den "inneren Kompass" von Lebewesen untersucht und ist der Antwort ein Stück näher gekommen. Den Forschenden sind dabei erstmals hochauflösende Mikroskopaufnahmen von Zellen gelungen, die für den Magnetsinn verantwortlich sind. Die Studie ist in den "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS) erschienen.

Die Arbeitsgruppe um Professor Uwe Hartmann von der Universität des Saarlandes hat im Mikroskop die "Kompassnadeln" von Lachsen sichtbar gemacht: winzige Eisenoxidpartikel im olfaktorischen Epithel der Fische. Damit konnten sie laut Studie erstmal die sogenannten Magnetosomen – winzige Kristalle aus Eisenverbindungen – einzelnen magnetisch sensitiven Zellen zuordnen. Die Abbildungen der Saarbrücker Physiker gäben erstmalig Einblick in die Beschaffenheit und Verteilung der Magnetitpartikel in den Zellen von Lachsen und weiteren Lebewesen.

Entdeckung von fundamentaler evolutionsbiologischer Bedeutung

Darüber hinaus haben Forschende der Oregon State University, des CNRS in Straßburg sowie der Universität Oldenburg mit umfangreichen weiteren Analysen nach eigener Einschätzung einen Meilenstein in der Evolutionsbiologie erreicht.

Dass bestimmte Bakterien mithilfe von Magnetosomen ihre Bewegungsrichtung am Magnetfeld orientieren, sei seit Jahrzehnten bekannt. Diese Bakterien zählen jedoch anders als Tiere, die aus vielen Zellen mit Zellkern bestehen (sogenannte Eukaryoten), zu den Einzellern ohne Zellkern (sogenannte Prokaryoten). Die Forschenden konnten zeigen, dass überraschenderweise eine genetische Verwandtschaft beim Magnetsinn zwischen Prokaryoten und den evolutionär später entstandenen Eukaryoten besteht: Sie verfügen über sogenannte homologe Gene (Gene mit gemeinsamem Vorläufer) für die Bildung von Magnetosomen.

Nach Interpretation der Forschenden wurden offensichtlich bei der Evolution prokaryotische Gene, die für die Magnetorezeption zuständig sind, an eukaryotische Zellen vererbt, was zu einer deutlichen Expression dieser Gene in bestimmten Zellen einer Reihe heutiger Lebewesen führte. Die Studie liefere damit fundamentale Hinweise, welche Rolle die sogenannte Endosymbiose – das Aufnehmen eines Prokaryoten durch eine Wirtszelle – für die Entstehung von höheren eukaryotischen Lebewesen spielen könnte.

ckr