Zeitschriftenstapel
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Open Access
"Manchmal braucht es radikale Lösungen"

Vincent Larivière hat die wissenschaftliche Verlagswelt seit Jahren im Blick. Deren Schwäche könne ein Vertrag wie mit Wiley nicht lösen, sagt er.

Von Katrin Schmermund 25.01.2019

Forschung & Lehre: Herr Larivière, Sie forschen zur Marktmacht der großen Wissenschaftsverlage. Wie bewerten Sie den kürzlich in Deutschland mit Wiley abgeschlossenen Lizenzvertrag vor dem Hintergrund, den Einfluss der Verlage reduzieren zu wollen?

Vincent Larivière: Auf der einen Seite wird der Wiley-Deal die Zahl der Veröffentlichungen über Open Access erhöhen – was gut ist. Auf der anderen Seite löst er nicht die finanziellen Probleme im wissenschaftlichen Veröffentlichungswesen. Jedes Jahr werden Milliarden an öffentlichen Geldern in die Angebote der Verlage gesteckt, wovon ein großer Anteil, oft mehr als 40 Prozent, in die Taschen der Gesellschafter fließt statt in die Forschung. Auf lange Sicht ist es daher vor allem wichtig, in kollektive, wissenschaftlich betriebene und gemeinnützige Infrastrukturen zu investieren, um Wissen zu verbreiten.

Lizenzvertrag mit Wiley: Kosten für Bibliotheken

Über die Höhe der Lizenzverträge geben Verlag und Deal-Verhandlungspartner nur wenig bekannt. Der Preis soll sich an der Zahl der in Wiley-Zeitschriften veröffentlichten Artikeln orientieren – in den vergangenen Jahren seien das rund 10.000 gewesen, zitiert "Science" einen Wissenschaftler.

Vincent Larivière ist Associate Professor für Informationswissenschaft an der Universität Montreal. privat

F&L: Ein Problem dabei ist der Impact-Faktor. Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften verbessern maßgeblich die wissenschaftlichen Karrierechancen. Eben diese Zeitschriften werden aber zu einem großen Teil von den großen Playern der Verlagsbranche herausgegeben. Wie können sich da kleinere, eigene Verlage behaupten?

Vincent Larivière: Das ist in der Tat der schwierigste Part, wenn es darum geht, das System zu verändern. Wissenschaftliche Zeitschriften sind der Kernvektor des wissenschaftlichen Kapitals: Wissenschaftler haben ein Bewertungssystem geschaffen, in dem Zeitschriften und Verlage im Mittelpunkt stehen. Um die Kontrolle großer gewinnorientierter Verlage zu reduzieren, müssen wir die Anreize ändern, die derzeit im System vorhanden sind.

F&L: Wo sollte man dabei ansetzen?

Vincent Larivière: In vielen Ländern und Institutionen werden Forscher direkt – finanziell! – dafür belohnt, in Zeitschriften mit einem hohen Impact-Faktor zu veröffentlichen. Es wäre definitiv ein Schritt nach vorne, wenn wir von auf Zeitschriften basierten Anreizen wegkämen, hin zu einem Fokus auf Artikel, deren freien Zugriff und Höhe an Zitierungen.

F&L: Noch haben die Verlage eine starke Position. Welches Land vertritt die Interessen der Wissenschaft am besten gegenüber Elsevier & Co?

Vincent Larivière: In aktuell laufenden Verhandlungen mit Elsevier bleiben Schweden und Deutschland standfest – das macht meiner Meinung nach gutes Verhandeln aus. Die Universität Montreal hat schon vor einigen Jahren ihren Vertrag mit Elsevier verbessert. Nachdem sie festgestellt hatte, dass viele Zeitschriften aus dem Paket-Angebot mit dem Verlag gar nicht genutzt werden, hat die Universität einen niedrigeren Preis für die Zeitschriften ausgehandelt, die auch wirklich gelesen werden. Dadurch spart die Universität rund eine Million Kanadische Dollar pro Jahr (rund 660.000 Euro).

F&L: Auf europäischer Ebene will die "Coalition S" Druck auf die großen Verlage ausüben und das Geschäft von Hybrid-Zeitschriften beenden. In allen Veröffentlichungen, die nicht Open Access sind wird nicht publiziert. Eine erfolgsversprechende Initiative?

Vincent Larivière: Ich mag "Plan S” – manchmal braucht es radikale Lösungen, um ein System zu ändern, das seit Jahrzehnten existiert, und die Dinge fairer zu machen. Ich glaube, das Schlüsselprinzip dabei ist Transparenz. Die Politik der Verleger war undurchsichtig, da Autoren und Institutionen nicht wussten, wofür sie bezahlten – und oft doppelt zahlten, wie im Fall von Hybridzeitschriften. Viele Universitäten und Regierungen haben diese Forderungen der Verlage zu lange blind hingenommen. Die Herausforderung wird darin bestehen, alle Regelungen so zu gestalten, dass sie sich nicht widersprechen. Beim Plan S bin ich optimistisch, dass dies gelingen wird, weil er von den meisten großen Geldgebern in Europa und von chinesischen Geldgebern unterstützt wird. China, das Land mit dem derzeit höchsten Publikationsaufkommen, kann definitiv richtungsweisend sein, wenn es sich für Open Access einsetzt.

Was ist eine Hybridzeitschrift?

Hybride Zeitschriften sind solche, die in erster Linie als Subskriptionszeitschriften vertrieben werden, bei denen aber die Möglichkeit besteht, durch die Zahlung von Publikationsgebühren einzelne Artikel "freizukaufen" und diese Open Access zu stellen. Das Modell wird auch als "double dipping" bezeichnet und dafür kritisiert, dass sich Verlage damit doppelt bezahlen lassen.

Quelle: ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, HU Berlin