

"Publish or perish"
Neue Perspektiven in der Bewertung von Forschung
In Italien und Spanien werden mehr qualitative Kriterien bei der Forschungsbewertung benutzt als in Deutschland. Das zeigt eine Analyse mit dem Titel "Forschungsbewertung – Themen und Methoden für mehr Wirkung" von Dr. Isabel Roessler, Senior Projektmanagerin beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Sie untersucht neue Bewertungsansätze auf ihre Fähigkeit, neben quantitativen Kennzahlen mehr qualitative Kriterien zu berücksichtigen.
Bisher galten vor allem Publikationszahlen oder eingeworbene Drittmittel als Zeichen erfolgreicher Forschungsleistung und dienten der sogenannten leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM). Das sind Mechanismen, die den gesellschaftlichen Wert von Forschung für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der technologischen Transformation wenig sichtbar machen. Eine Messung, die sich vorwiegend auf das Publizieren von Ergebnissen der Grundlagenforschung beziehungsweise die Durchführung entsprechender Drittmittelprojekte beziehe, umfasse nur noch einen Teil der Aktivitäten und des Forschungsspektrums der Forschenden, beschreibt die CHE-Analyse Roesslers.
In einigen Bundesländern wie beispielsweise Bayern, Niedersachsen, Berlin oder Brandenburg finden aktuell kritische Überprüfungen der Kriterien statt. Alternative Wege wurden bereits in Sachsen mit einer leistungsorientierten Mittelzuweisung unter Berücksichtigung übergreifender gesellschaftlicher Ziele eingeschlagen. "Erreicht die Hochschule nach der Aufsummierung der Punkte aller Zielbereiche weniger als 100 Punkte, führt dies zu einem prozentualen Abzug im Zielvereinbarungsbudget", heißt es dazu im CHE-Bericht. Die Analyse nennt zudem internationale Beispiele, wie durch die Integration von Aspekten der Third Mission – darunter Wissens- und Technologietransfer sowie gesellschaftliches Engagement – eine differenziertere Bewertung im Kontext der staatlichen Mittelvergabe erreicht werden kann.
Nach Wirkung und gesellschaftlicher Relevanz beurteilen
Große Auswirkungen auf die Bewertung der Forschung erwartet Autorin Roessler von der 2022 gestarteten europäischen Initiative Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA), die eine vollumfängliche Reform der Forschungsbewertung in Europa anstrebt. Ende Juli 2024 hätten sich bereits 768 Organisationen der europäischen CoARA angeschlossen und Aktionspläne aufgestellt, darunter 34 aus Deutschland.
Rückenwind bekommt die Initiative auch von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die bei ihrer Mitgliederversammlung Mitte Mai entschieden hat, der Nationalen CoARA-Kontaktstelle als Gast beizutreten, um "den inhaltlichen Austausch über Reformziele und -maßnahmen der europäischen Forschungsbewertung mit den hochschulischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der CoARA sowie mit weiteren deutschen und europäischen Wissenschafts¬organisationen" zu befördern.
"Auf unangemessene Mechanismen der Forschungsbewertung wie die Verwendung des Journal Impact Factors soll zukünftig verzichtet werden."
Aus dem Aktionsplan der Hochschule Darmstadt
Ein gutes Beispiel liefert laut Roesslers Analyse die Hochschule Darmstadt, welche sich in ihrem Aktionsplan 2024-2027 dazu verpflichtet hat, unterschiedliche Leistungen, Praktiken und Aktivitäten in der Forschung anzuerkennen und rein quantitative Kriterien in den Hintergrund zu stellen. "Auf unangemessene Mechanismen der Forschungsbewertung wie die Verwendung des Journal Impact Factors (JIF) soll zukünftig verzichtet werden", plant die Hochschule unter anderem. "Es sind ja nicht nur einzelne Maßnahmen, die durchgeführt werden. Es ist ein Kulturwandel, der angestoßen werden muss", formuliert Eva Gartmann, Projektmanagerin für CoARA an der Hochschule Darmstadt, die Hürden der Initiative.
Internationale Best-practice-Beispiele
Für die Beurteilung der Third-Mission-Aktivitäten von italienischen Hochschulen reichen diese laut CHE je eine Fallstudie pro 100 Forschende ein. Hier stehe die Wirkung von Projekten im Mittelpunkt. Man erfasse zudem systematisch die Zahl durchgeführter öffentlicher Veranstaltungen, Kinder-Unis oder langen Nächte der Wissenschaft einschließlich der Anzahl der Teilnehmenden.
Auch in Spanien würden seit 2018 neue Bewertungskriterien gelten, welche die Transferleistungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfassten. Elemente wie die unternehmerische Kultur der Forschungsausbildung, welche eine Hochschule beispielsweise durch die Gründung von Start-Ups oder Spin-Offs belegen müsse, würden eine größere Rolle spielen.
"Es geht um die grundlegende Zielsetzung von Wissenschaft und deren Rolle in der Gesellschaft."
Aus der Analyse von Dr. Isabel Roessler
Beide Beispielländer griffen die Diskussion auf, dass Forschung sich nicht nur auf die Wissenschaft beschränkt, sondern auch gesellschaftlichen Nutzen hat. "Die Diskussion um Forschungsbewertung ist wegweisend für die Zukunft der Hochschulen, ihrer Ausrichtung und ihrer Profile. Es geht um die grundlegende Zielsetzung von Wissenschaft und deren Rolle in der Gesellschaft", betont Isabel Roessler im Bericht. Initiativen wie CoARA oder die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA) zeigen, dass Reformen weltweit an Fahrt aufnehmen.
Herausforderungen für neue Bewertungsmechanismen
Die Publikation beleuchtet auch Herausforderungen, die mit der Einführung neuer Bewertungsmodelle einhergehen. In Deutschland könnten die föderale Struktur und die traditionell dominierende Sockelfinanzierung als Hindernisse, aber auch als Chancen dienen.
Zielgerichtete politische Maßnahmen, wie die Aufnahme von Third Mission als Aspekt innerhalb der leistungsorientierten Mittelvergabe und eine damit einhergehende Anpassung der individuellen Hochschulstrategien könnten neue Wege eröffnen, um gesellschaftliche Erwartungen und wissenschaftliche Exzellenz beim Bewerten von Forschung in Einklang zu bringen.
"In strukturschwachen Regionen könnte der Wissens- und Technologietransfer in die lokale Wirtschaft berücksichtigt werden, während in Regionen mit besonderen sozialen Herausforderungen die Forschung stärker auf soziale Fragen und deren Lösung ausgerichtet sein könnte", zeigt die CHE-Analyse Möglichkeiten auf. Allerdings erfordere die Einführung von ausdifferenzierter Messung und von qualitativen Bewertungsmodellen erheblichen Aufwand, sei sehr zeitintensiv, benötige finanzielle Ressourcen und könnte sich könnte sich als schwerfällig erweisen. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen müsse hier gewahrt bleiben.
cva