Profilansicht einer jungen Frau mit Symbolen für Akustik vor dem Ohr
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Neurowissenschaften
Ohren hören das, was das Gehirn erwartet

Unsere Sinne prägen unsere Wahrnehmung von der Welt. Dabei reagieren sie entsprechend der Erwartungshaltung des Gehirns.

11.01.2021

Erwartungen prägen die Wahrnehmung unserer Umgebung. Das menschliche Gehirn erstellt ständig Vorhersagen darüber, was als nächstes passiert und wie die Welt im nächsten Augenblick für den Menschen aussieht, riecht, klingt oder sich anfühlt. Die Sinne gleichen diese Erwartungen lediglich mit der Realität ab und sparen dabei Ressourcen. Diese gängige Theorie der neurowissenschaftlichen Forschung, die sogenannte "prädiktive Kodierung", hat ein Forscherteam der TU Dresden anhand einer aktuellen Studie zum Hörsinn belegt.

Dabei zeigten die Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler um Professorin Katharina von Kriegstein, dass auch die Nervenzellen in der Hörbahn, dem evolutionär ältesten Gehirnteil, Geräusche entsprechend der vorherigen Erwartungen widergeben. Zuvor sei dies nur für die Nervenzellen in dem evolutionär am weitesten entwickelten Gehirnareal, der Großhirnrinde, gezeigt worden.

Die Forscherinnen und Forscher haben für die Studie die Gehirnreaktion von 19 Teilnehmenden gemessen, während diese verschiedene Tonfolgen hörten. Die Probanden sollten dabei angeben, welcher der Töne in der Reihe von den anderen abweicht. An welcher Position der Tonfolge der andersartige Klang zu erwarten sei und wo er tatsächlich erschien, variierte zwischen den Versuchen.

Zwar "hörten" und erkannten die Probanden die normalen und auffälligen Töne in jedem Fall, die Kerne der Hörbahn der Probanden reagierten in den Aufnahmen aber nur dann, wenn die andersartigen Töne an unerwarteten Positionen erschienen. Die Reaktion der Probanden war in den Versuchen entsprechend schneller, wenn die Erwartungen erfüllt wurden.

Interessant seien die Erkenntnisse beispielsweise für das wissenschaftliche Verständnis der Lese-Rechtschreib-Schwäche. Bei dieser weit verbreiteten Lernstörung seien die auditorische Wahrnehmung und die Verarbeitung von Tönen in der Hörbahn verändert. Auch andere neuronale Störungen könnten mit einer gestörten sensorischen Wahrnehmung einhergehen.

ckr