Ein buntes Wandbild vor dem Sitz der Vereinten Nationen in New York zeigt einen Mann und eine Frau, die die Weltkugel in Händen halten.
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Klimapolitik
Politischer Einfluss guter Forschung in Frage gestellt

Nachhaltigkeitspolitik begründet sich oft wissenschaftlich. Eine quantitative Analyse legt nah, dass die Forschungsqualität kaum berücksichtigt wird.

16.10.2024

Ist eine Forschungsarbeit zur nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) nach bibliometrischen wissenschaftlichen Indikatoren – wie beispielsweise die Zitierhäufigkeit – qualitativ hochwertig, so bedeute das nicht, dass sie besonders oft in politischen Leitlinien (policies) Beachtung finde. So lautet das Ergebnis einer quantitativen Analyse von rund 16 Millionen Artikeln und deren Verwertung im schriftlichen politischen Diskurs. Etwa zehn Prozent davon (rund 1,5 Millionen) seien in politischen Strategiedokumenten zitiert worden. 

"Wichtig ist, dass die Studie Unterschiede in der Forschungsnutzung zwischen den verschiedenen SDGs aufzeigt und die potenzielle Rolle nicht-akademischer Faktoren bei der Bestimmung der politischen Wirkung hervorhebt", führt das Forschungsteam um Dr. Basil Mahfouz vom University College London in ihrer kürzlich veröffentlichten Analyse die Zusammenhänge näher aus. 

Die Komplexität der SDGs der Vereinten Nationen, die ökologische, wirtschaftliche und soziale Dimensionen umfassten, unterstreiche die Notwendigkeit für politische Entscheidungstragende, qualitativ hochwertige wissenschaftliche Forschung für eine effektive Entscheidungsfindung zu nutzen. 

Akademische Zitate auf Artikelebene wichtigster Prädiktor 

Man sei in der Analyse zu dem Ergebnis gekommen, dass der FWCI (Field-Weighted Citation Impact), ein themenfeldbezogenes Maß für akademische Zitate auf Fachartikelebene, am ehesten eine Vorhersage zuließe, ob wissenschaftliche Publikationen in politischen Dokumenten zitiert würden. Somit erweise sich der FWCI bei den meisten SDGs als der wichtigste Prädiktor. 

Dieses Ergebnis lege nah, dass in politischen Entscheidungsprozessen eher auf Artikel mit hoher Relevanz in ihrem akademischen Forschungsbereich verwiesen werde: "Was darauf hindeutet, dass die Qualität und Relevanz der Forschung Vorrang hat vor dem Prestige der Zeitschriften, in denen diese Artikel veröffentlicht werden, oder dem Renommee der Autorinnen und Autoren", fasst das Forschungsteam zusammen. 

Jedoch spielten auch andere Aspekte der Verbreitung und Anerkennung von Forschungsergebnissen eine Rolle dabei, ob sie in politische Entscheidungsvorlagen einfließen würden. 

Unterschiede ja nach Nachhaltigkeitsziel 

Das Team habe Unterschiede zwischen den Nachhaltigkeitszielen festgestellt. So sei beispielsweise bei den SDGs 8 (menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum) und 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) der Einfluss des FWCI im Vergleich zu den anderen Indikatoren deutlich weniger dominant ausgefallen. 

Insbesondere bei den Zielen 7 (bezahlbare und saubere Energie) und 13 sei zu beobachten gewesen, dass der Einfluss nicht-akademischer Faktoren, wie beispielsweise die Erwähnung in den Medien, möglicherweise zu einer Auswahl populärer statt fundierter Forschung geführt haben könnte. 

Denkbar sei auch die Interpretation, dass die traditionellen bibliometrischen Indikatoren Forschungsexzellenz aus politischer Sicht nicht oder nicht für jedes Nachhaltigkeitsziel gleichermaßen effektiv erfassten. 

Methodische Bedenken schmälern die Aussagekraft 

Die Forschenden haben nach eigenen Angaben die Datenbanken von Scopus (wissenschaftliche Publikationen) und Overton (politische Richtlinien) kombiniert genutzt, um durch eine vergleichende Analyse von Qualitätsindikatoren wissenschaftliche Artikel und ihre politische Beachtung quantitativ zu bewerten. Die bisherige Forschung zu der Frage, wie wissenschaftliche Evidenz in der öffentlichen Politik genutzt werde, sei in erster Linie qualitativ gewesen und habe sich auf spezifische Fallstudien konzentriert. 

Einschränkend geben die Forschenden Mahfouz, Professorin Licia Capra und Professor Geoff Mulgan zu bedenken, dass das alleinige Zitieren von Forschungsergebnissen in politischen Dokumenten nicht gleichzusetzen sei mit ihrem tatsächlichen Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess oder gar ihrem greifbaren gesellschaftlichen Nutzen. Zudem würden in der Overton-Datenbank längst nicht alle politischen Richtlinien und Dokumente erfasst, welche zur Entscheidungsfindung genutzt würden. 

Auch das SDG-Mapping auf Basis von Elsevier-Forschungsarbeiten könne womöglich fehlerhaft sein. Darüber hinaus sei in der akademischen Gemeinschaft eine wachsende Besorgnis über die Abhängigkeit von quantitativen Metriken zur Bewertung der Qualität der Forschung zu verzeichnen.

cva