

Wissenschaftliche Integrität
Rücknahme von Publikationen weiter selten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eine ihrer Veröffentlichungen zurückziehen, haben in jüngerem Alter und eher in Co-Autorenschaft publiziert, zitieren sich häufig selbst und besitzen ein überdurchschnittliches Publikationsvolumen. Das hat ein Forschungsteam um Professor John Ioannidis der Universität Stanford in Kalifornien herausgefunden. Sie haben rund 40.000 Daten der Plattform Retraction Watch Database (RWDB) mit den Zitations-Daten von Scopus verknüpft und daraufhin untersucht, welche Forschenden, Fachdisziplinen und Länder besonders von solchen Rücknahmen betroffen sind.
Unter den Top zwei Prozent der in ihrem Fachgebiet lebenslang am meisten zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatten der Untersuchung zufolge etwa 3,3 Prozent mindestens eine Rücknahme. Etwa vier Prozent waren es speziell bezogen auf jene mit der höchsten wissenschaftlichen Wirkung im Jahr 2023. Die Anzahl der jährlich zurückgezogenen Publikationen steigt laut Studie stetig an – mit über 10.000 Retraktionen im Jahr 2023.
Themenschwerpunkt "Publizieren"
Publikationen sind eine wesentliche Währung in der Wissenschaft. Was macht eine gute Veröffentlichung aus? Wie verändern sich Publikationswege? Welchen Herausforderungen stehen Forschende gegenüber und wie können sie damit umgehen? Unter unserem Themenschwerpunkt "Publizieren" finden Sie ausgewählte Artikel zum Thema.
Besonders hohe Rückzugsraten seien in den Lebenswissenschaften (etwa fünf Prozent) und in Subdisziplinen wie Alternativmedizin, Onkologie und Pharmakologie zu beobachten. Überdurchschnittlich vertreten seien auch die Fächer Elektrotechnik und Informatik. Relativ hohe Anteile seien in den Ländern Indien (neun Prozent), China (rund acht Prozent) und Taiwan (rund fünf Prozent) zu verzeichnen. In den Disziplinen Chemie und Biologie sowie in den Ländern Finnland, Belgien oder Israel würden die Zahlen eher durchschnittlich bis relativ gering ausfallen.
"Dass die medizinische und biomedizinische Forschung besonders anfällig ist für Retractions, darunter auch für viele Fälle von echten Verstößen gegen Standards der guten wissenschaftlichen Praxis, zeichnet sich bereits seit langem ab", erläutert Professor Holger Wormer vom Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus und Ombudsperson für gute wissenschaftliche Praxis an der Technischen Universität Dortmund. "Eine Erklärungsmöglichkeit lautet, dass hier mehr Wettbewerb herrscht und es häufiger um viel Geld oder Patente geht als etwa in Disziplinen wie Geschichtswissenschaft, Philosophie oder Theologie am anderen Ende der Skala, führt er gegenüber "Science Media Center" fort.
Die Unterschiede zwischen Fachgebieten und Ländern deuten auf verschiedene Forschungspraktiken, Prüfmechanismen und Rücknahmehürden hin. Die hohen Rückzugsraten in Schwellenländern könnten durch Publikationsanreize und mangelnde Qualitätskontrolle bedingt sein.
Gründe für das Zurückziehen bereits veröffentlichter Arbeiten
Die meisten Rücknahmen im Wissenschaftssystem erfolgen, weil die Autorin oder der Autor selbst einen fehlerhaften Inhalt anzeigt oder externe Forschende Fehler beim zuständigen Fachverlag melden. Auch Verlagsfehler kommen vor. In vielen Fällen ist wissenschaftliches Fehlverhalten wie Plagiieren oder Fälschen, teils mit Hilfe sogenannter Paper Mills, gefälschten Peer-Reviews oder der Verwendung Künstlicher Intelligenz, die Ursache. Es gibt weiterhin Fälle, in denen zurückgezogene Artikel unbeabsichtigt oder unwissentlich zitiert werden.
cva