

Neurowissenschaften
Schaltkreis der Kreativität im Gehirn entdeckt
Kreative Prozesse werden möglicherweise durch verringerte Selbstkontrolle und Selbstkritik freigesetzt. Eine aktuelle Studie weist darauf hin, dass Kreativität mit einer Deaktivierung des rechten Frontalpols am vorderen Teil des Großhirns zusammenhängen könnte, der diese Kontrollmechanismen steuert. Gleichzeitig aktiviert Kreativität einen eigenen, weitreichenden neuronalen Schaltkreis. Das hat Julian Kutsche von der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit seinem internationalen Forschungsteam herausgefunden. Die in Zusammenarbeit mit dem Brigham and Women’s Hospital der Harvard University durchgeführte Studie ist am 13. Februar erschienen.
"Um kreativ zu sein, müssen Sie möglicherweise Ihren inneren Kritiker ausschalten, um neue Richtungen einschlagen und sogar Fehler machen zu können", erläuterte Co-Seniorautor Dr. Isaiah Kletenik, Neurologe am Center for Brain Circuit Therapeutics am Brigham and Women's Hospital anlässlich der Veröffentlichung. Man habe die Fragen beantworten wollen, welche Gehirnregionen der Schlüssel für die menschliche Kreativität sind und wie das mit den Auswirkungen von Hirnverletzungen zusammenhängt.
Die Untersuchung liefert eine Erklärung dafür, warum manche Menschen mit Hirnverletzungen paradoxerweise kreativer werden. Ob Kreativität abnimmt oder zunimmt, hängt demnach davon ab, welcher Teil des Kreativitätsschaltkreises von einer Schädigung betroffen ist. So zeigten Personen mit Schädigungen an der Stirnseite des Gehirns manchmal erhöhte Kreativität, während Verletzungen im seitlichen Teil des Frontallappens die Kreativität beeinträchtigten.
Themenschwerpunkt "Kreativität"
Was macht Kreativität aus? Welche Rolle sie in der Forschung spielt und wie wir sie fördern, erfahren Sie in unserem Themenschwerpunkt "Kreativität".
Hunderte Gehirnareale für kreative Prozesse aktiv
Kreativität wurde in vielen Studien bisher mit unterschiedlichen Gehirnregionen in Verbindung gebracht. Das Forschungsteam zeigt nun, dass ein Bündel funktioneller Schaltungen im Gehirn die Kreativität steuert, was einem Zusammenwirken hunderter verschiedener Regionen gleichkommt. "Wir haben festgestellt, dass sich viele komplexe menschliche Verhaltensweisen, etwa Kreativität, nicht einer bestimmten Gehirnregion, sondern bestimmten Gehirnschaltkreisen zuordnen lassen", sagte der Co-Seniorautor Dr. Michael D. Fox.
Welche Gehirnregionen jeweils aktiv sind, hänge von der jeweiligen kreativen Aufgabe ab. "Kreativitätsaufgaben aktivieren unterschiedliche Gehirnregionen, abhängig von der spezifischen Aufgabe oder dem kreativen Bereich", heißt es in der Studie. Es sei wichtig anzumerken, dass diese Ergebnisse nicht die gesamten neuronalen Schaltkreise repräsentieren, die an der Kreativität beteiligt sind, erläuterte Kletenik. Zukünftige Forschungen könnten diese Erkenntnisse nutzen, um kreative Prozesse gezielt zu beeinflussen oder therapeutisch zu nutzen. Sie könnten möglicherweise auch einen Weg für die Hirnstimulation eröffnen, um die menschliche Kreativität zu steigern.
Für die Analyse hat das Forschungsteam Daten aus 36 früheren Studien (2004-2019) ausgewertet, ergänzt durch Hirnscans aus 30 weiteren Untersuchungen sowie die Daten von rund 4.800 Patientinnen und Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen. Daten zu Hirnschäden aus 189 weiteren Studien wurden ebenfalls berücksichtigt.
cva