Ein Mann auf einem Ergometer wird von einem Wissenschaftler überprüft.
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Finanzierungskrise
Sportwissenschaft zwischen Relevanz und Bedrohung

Die Sportwissenschaft erforscht die gesundheitsförderlichen Aspekte von Bewegung. Die Finanzierung der Disziplin kommt vielerorts zu kurz.

In vielen Teilen der Welt herrschen Kriege, Gewalt, politische Unterdrückung und wirtschaftliche Probleme. Der Klimawandel stellt eine weitere Bedrohung dar. Eine massive demographische Überalterung in Europa wird aller Voraussicht nach zu einer extremen Belastung für unsere Sozial- und Gesundheitssysteme. Der herrschende Bewegungsmangel, den Lucas Pawlik als "ignorierte Pandemie des digitalen Lebens" beschreibt, droht, sich mit drastischen biopsychosozialen Folgeproblemen zu verschlimmern. Bei dieser Ausgangslage wird das Berufs- und Forschungsfeld "Sport und Bewegung" wichtiger denn je.

Was die Sportwissenschaft leistet

Die nachgewiesenen Effekte von Sport und Bewegung reichen von der Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens bis hin zur Stärkung der Resilienz gegenüber extremen Hitzebelastungen. Regelmäßige Bewegung ist das wohl gleichermaßen effizienteste und kostengünstigste Mittel zur Vorbeugung von chronisch-degenerativen Erkrankungen, die volkswirtschaftlich die Hauptbelastung in einer alternden Gesellschaft darstellen. Gerade aufgrund der demographischen Alterung und damit verbunden der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die sogenannte ältere Generation möglichst lange gesund und leistungsfähig zu erhalten. Ohne Bewegungs- und Aktivitätsförderung und ihrer wissenschaftlichen Begleitung wird das nicht möglich sein.

Sport gegen Bewegungsmangel

Schon 2008 sei "der Mangel an physischer Aktivität" bei 5,3 Millionen Todesfällen die Hauptursache gewesen, schreibt Lucas Pawlik in der Zeitschrift Pädiatrie & Pädologie. Wie sehr die Bedeutung von regelmäßiger sportlicher und körperlicher Aktivität für eine gesunde lebenslange Entwicklung unterschätzt wird, konnte während der Corona-Pandemie nur allzu deutlich beobachtet werden. Eine Vielzahl an Studien zeigte, dass die Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung die schwerwiegende Nebenwirkung einer Zunahme körperlicher Inaktivität in der Bevölkerung nach sich zogen. Die negativen Folgen dieses "Infektionsschutz-Paradoxes", die enorme Belastung der zu schützenden Menschen durch die soziale Isolierung und der damit einhergehende physische Abbau, wurden lange Zeit ebenso ignoriert wie die geradezu erdrückende Evidenz, dass Sport und Bewegung ideale Mittel sind, um den Folgeproblemen der Pandemie entgegenzuwirken.

Sport als Mittel gegen Einsamkeit und Ausgrenzung

Sport wird künftig insbesondere in seiner Funktion als ein integrierender Sozialbereich noch sehr viel wichtiger werden. Die Individualisierung von Lebenswelten, die Veränderung von Familienstrukturen sowie die Notwendigkeit, geografische Lebensmittelpunkte immer häufiger wechseln zu müssen, führen bereits in jungem Alter nicht selten zu sozialer Isolation; in hohem Alter ist eine regelrechte "Einsamkeitspandemie" nicht ausgeschlossen. Einsamkeit erhöht nicht nur das Risiko von psychischen Krankheiten wie beispielsweise Depressionen, sondern auch von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Krebserkrankungen und Demenz.

"Sport bringt Menschen zusammen, schafft gemeinsames Erleben und integriert mehr als jeder andere Gesellschaftsbereich."

Sport kann Einsamkeit bekämpfen. Gerade in Zeiten, in denen wir permanent von Krisen hören, ist die Vermittlung von Freude und Spaß im sozialen Miteinander wichtiger denn je. Sport bringt Menschen zusammen, schafft gemeinsames Erleben und integriert mehr als jeder andere Gesellschaftsbereich. Auch mit Blick auf die Notwendigkeit, soziale Folgen von Fluchtmigration zu bewältigen, ist diese soziale Funktion von Sport höchst bedeutsam. Es gibt nur wenig Gesellschaftsbereiche, die unabhängig von kultureller Herkunft, Religion oder Weltanschauung so verbindend wirken wie der Sport, sei es in Form von aktiver Betätigung, aber auch dadurch, dass er in Stadien, Hallen oder vor dem Fernseher für kollektive emotionale Erfahrungen sorgt, die für eine funktionierende Gesellschaft so wichtig sind.

Sportunterricht als Schule fürs Leben

Studien zeigen allerdings, dass es immer mehr junge Menschen gibt, die noch nie selbst erfahren haben, wie positiv sich Sport und Bewegung auf das Wohlbefinden auswirken können. Um dies zu erleben, ist Anleitung nötig. Sie muss von Menschen kommen, die Bewegungsabläufe verstehen, aber auch den menschlichen Körper und individuelle Motive sowie soziale Dynamiken in Gruppen erklären können. Dem Sportunterricht kommt dabei eine ganz besondere Relevanz zu, denn hier erreichen wir früh jeden Menschen. Er vermittelt Wissen und Kompetenz, wie Sport getrieben wird, damit die Heranwachsenden biologisch und psychologisch profitieren, und zwar lebenslang. Nur ein guter Sportunterricht, angeboten von universitär ausgebildeten Sportlehrerinnen und Sportlehrern, kann dies leisten.

Der Bedarf an Lehrkräften ist hoch, auch weil das Fach Sport nach Deutsch und Mathematik, das Fach mit den drittmeisten Lehrstunden insgesamt ist, da es in fast allen Schulformen und Jahrgangsstufen ein Pflichtfach mit zwei bis drei Stunden pro Woche darstellt. Die Bewegungsförderung von Kindern und Heranwachsenden darf sich aber nicht nur auf den Sportunterricht beschränken. Schulen müssen zu "Bewegten Schulen" mit bewegten Pausen, bewegtem Unterricht und einem bewegungs- und gesundheitsförderlichen außerunterrichtlichen Ganztagesschulprogramm werden. Für die Konzipierung und Organisation werden gut ausgebildete Sportlehrerinnen und Sportlehrer gebraucht.

Mehr zum Thema "Gesundheit" 

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Im Schwerpunkt "Gesundheit" auf dieser Seite finden Sie außerdem mehr dazu, wie unsere Gesundheit unter den Strapazen unseres Lebensstils leidet: durch zu wenig Bewegung, Stress bei der Arbeit oder die falsche Ernährung. Finden Sie heraus, wie wir Belastungen vermeiden können.

Sportwissenschaft in der Krise

Die Sportwissenschaft ist höchst relevant und doch befindet sie sich in einer Krise. Damit steht die Sportwissenschaft nicht alleine da. An Universitäten in Deutschland, die im internationalen Vergleich ohnehin generell unterfinanziert sind, wurden an vielen Standorten die gestiegenen Betriebskosten nicht annähernd durch eine Erhöhung der Grundzuweisung kompensiert. Es sind nicht ausreichend Dauerstellen vorhanden.

"Die Entwicklung zu einer stärker naturwissenschaftlich arbeitenden, international ausgerichteten Disziplin hat nicht zu einer Anpassung der Ausstattung geführt."

Für sportwissenschaftliche Einrichtungen ist die vernachlässigende Behandlung von Universitäten jedoch besonders problematisch. Vor allem in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der ersten sportwissenschaftlichen Einrichtungen in den 1950er und 1960er Jahren wurde die Sportwissenschaft in Deutschland in universitären Zusammenhängen häufig als ein a-theoretisches, primär praktisches Fach abgewertet und mit Forschungsressourcen unterausgestattet. Dieses Problem wurde in den letzten beiden Jahrzehnten dadurch verschärft, dass die Entwicklung des Fachs von einer primär geistes- und sozialwissenschaftlichen, national orientierten zu einer stärker naturwissenschaftlich arbeitenden, international ausgerichteten Disziplin nicht zu einer Anpassung der personellen und infrastrukturellen Ausstattung geführt hat.

Traditionell keine ausreichende Infrastruktur

Die Sportwissenschaft ist ein durchaus großes universitäres Fach. In Deutschland gibt es derzeit über 60 sportwissenschaftliche Einrichtungen, die eine breite Palette an Studiengängen anbieten, von den Bereichen des Lehramts Sport, der Gesundheitsförderung, der Trainings- und Bewegungswissenschaft, des Sportmanagements bis hin zur Sportinformatik. Nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz gibt es knapp 31.000 Studierende in sportwissenschaftlichen Studiengängen, jährlich schließen etwa 4.500 bis 5.000 Absolventinnen und Absolventen in Deutschland ihr Bachelor- oder Master-Studium der Sportwissenschaft ab.

"Für die Ausbildung sind nicht nur Sportanlagen notwendig, sondern auch eine moderne Lehrinfrastruktur."

Nicht wenige Menschen stellen sich unter einem Studium der Sportwissenschaft fälschlicherweise eine ausschließlich sportpraktische Ausbildung in klassischen Individual- und Mannschaftssportarten vor. Diese findet sich in der Regel vor allem in Bachelor-Studiengängen und ist immer mit einer wissenschaftlichen (also anatomischen, physiologischen, didaktischen) Reflexion verbunden. Der größere Teil der Ausbildung in der Sportwissenschaft ist jedoch theoretischer Natur und deckt ein breites Spektrum an Disziplinen ab, darunter beispielsweise Sportmedizin, Sportsoziologie, oder Sportökonomik, die sich in ihren Curricula an den Mutterwissenschaften orientieren.

Für die Ausbildung von Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftlern sind nicht nur Sportanlagen notwendig, sondern auch eine moderne Lehrinfrastruktur. Im naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich entsprechen die Ausstattungen der Labore der Sportwissenschaft häufig nicht den aktuellen internationalen Standards. Sportanlagen sind teilweise renovierungsbedürftig und an vielen Orten noch nicht mit Kameras, Whiteboards, spezifischen Unterrichts-Tablets oder Monitoren ausgestattet, die eine zeitgemäße sportwissenschaftliche Ausbildung ermöglichen.

"Die Forschungsbedingungen sind weit entfernt von internationaler Konkurrenzfähigkeit."

In der Forschung hat sich die Sportwissenschaft in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zunehmend internationalisiert und zu einem inhaltlich extrem breit gefächerten Wissenschaftskomplex entwickelt. An der einzigen Sportuniversität in Deutschland in Köln reichen die Forschungsschwerpunkte beispielsweise von der Ethik und Fairness im Sport, über die Entscheidungsfindung im Leistungssport, die Analyse biopsychosozialer Effekte körperlicher Aktivität bei Menschen mit chronisch-degenerativen Erkrankungen, die Untersuchung von Gewalt und Missbrauch im Sport, die Leistungsdiagnostik, die biochemische Analyse von dopingrelevanten Substanzen, die molekulare Sportmedizin bis hin zur Analyse der Adaptation physiologischer Systeme an den Aufenthalt im Weltraum.

Die Sportwissenschaft ist, entsprechend ihrer starken Anwendungsorientierung, drittmittelstark. An vielen Universitäten gehören die sportwissenschaftlichen Einrichtungen, oft zu den drittmittelstärkeren Fächern in ihren Fakultäten. Drittmittelprojekte erlauben zwar zu einem gewissen Maße eine Kompensation der an den meisten Standorten suboptimalen Forschungsinfrastruktur, doch sind die Forschungsbedingungen gerade für naturwissenschaftlich-medizinische Teildisziplinen wie etwa die Biomechanik, die sport- und bewegungsbezogene Neuroforschung oder die KI-unterstützte trainingsphysiologische Forschung, häufig weit entfernt von internationaler Konkurrenzfähigkeit.

Mangel an Professuren

Vor allem aber mangelt es der Sportwissenschaft an Professuren. So kommen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt auf eine Professur über alle Fächer hinweg im Schnitt rund 79 Studierende. Dagegen steht beispielsweise an der Deutschen Sporthochschule in Köln eine Professorin oder ein Professor rund 175 Studierenden gegenüber (Statistischer Bericht 2023). Mit Blick auf die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Forschung und Lehre ist diese Situation höchst bedenklich. Speziell hinsichtlich des Ziels, eine Spitzenposition in der Forschung im internationalen Vergleich erreichen zu wollen, ist eine solch geringe relative Anzahl an sportwissenschaftlichen Professuren desaströs.

Sparzwänge bedrohen das Fach

Derzeitigen Sparzwänge aufgrund von Preissteigerungen und Tariferhöhungen treffen die sportwissenschaftlichen Einrichtungen besonders hart. Die Deutsche Sporthochschule Köln, die trotz eines ohnehin schon angespannten Budgets bereits präventiv Sparmaßnahmen zur Sicherung ihrer Handlungsfähigkeit vornimmt, wäre bei weiteren Sparzwängen existentiell bedroht. Dies ist an anderen sportwissenschaftlichen Einrichtungen ähnlich.

"Derzeitige Sparzwänge treffen die sportwissenschaftlichen Einrichtungen besonders hart."

Signifikante Energiesparmaßnahmen werden ohne massive bauliche Modernisierungen nicht gelingen. Ein Beispiel: Es gibt Grenzen, wie weit die Temperatur des Wassers im Lehrschwimmbecken reduziert werden kann. Werden diese unterschritten, wird die Gesundheit der Nutzerinnen und Nutzer gefährdet. Mit Blick auf die Forschung sind Einsparmaßnahmen auch nur in begrenztem Maße möglich. Soll Forschung funktionieren, dann ist es unsinnig, Serveranlagen auszuschalten oder Labore zu schließen, um Energiekosten zu senken. Die Einsparungen werden also auch in der Sportwissenschaft durch das Sparen am ohnehin nicht ausreichend großen Personalbestand erfolgen.

In der Folge wird es in der sportwissenschaftlichen Ausbildung weniger Angebote geben (müssen), es wird an Unterstützungsbereichen gespart, und die Teilnehmerzahlen bei Lehrveranstaltungen erhöht. Gerade Letzteres ist allerdings nicht überall möglich. Eine qualitativ hochwertige sportpraktische Lehre in einem Sportspiel, im Turnen, Schwimmen, Tanz oder der Leichtathletik, bei der es eben nicht nur um die Vermittlung von praktischer Bewegungskompetenz, sondern um die wissenschaftliche Analyse von Bewegungen am praktischen Beispiel mithilfe von Videokameras, Bewegungsmessern, Eye-Tracking-Systemen, virtuellen Umgebungen und vielem mehr geht, lässt sich nicht mit 100 Studierenden in einem Hörsaal durchführen.

Es lässt sich festhalten: Sport ist heute gesellschaftlich relevanter denn je. Entsprechend wichtig ist eine hochwertige Forschung. Ebenso zentral ist es, junge Menschen dazu auszubilden, Sport für alle Altersgruppen zu vermitteln, Sportprogramme professionell zu konzipieren und zu organisieren und die Öffentlichkeit über den Sport und seine Relevanz zu informieren. Sportwissenschaftliche Einrichtungen müssen in beidem unterstützt werden. Sie brauchen Investitionen statt Einsparungen, mehr Professuren, bessere Sportstätten und moderne Unterrichtsräume.