Einem Dokument wurde der Stempel "Fälschung" aufgedrückt.
mauritius images / McPHOTO / imageBROKER

Wissenschaftliches Publizieren
Studie weist auf netzwerkartigen Betrug hin

Eine Analyse zahlreicher Publikationen zeigt systematische Artikelfälschungen auf. Im Hintergrund agieren demnach komplexe Korruptionssysteme.

19.08.2025

Netzwerke kooperierender Einzelpersonen und Organisationen, die wissenschaftlichen Betrug in großem Maßstab begehen, können anhand ihrer Spuren in der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur identifiziert werden. Darauf weist eine Untersuchung von über fünf Millionen wissenschaftlichen Arbeiten in rund 74.000 Fachjournalen hin. 

Die Anzahl der Artikel betrügerischer Herkunft nimmt laut Studie deutlich schneller zu als der gesamte Wissenschaftsbetrieb. Sie unterwandern "in weitem Umfang die derzeitigen Maßnahmen zur wissenschaftlichen Integrität", stellt die Studie als ein Ergebnis fest. Die Zahl der vermuteten Artikel aus sogenannten Papermills weise mit einer Verdopplungszeit von 1,5 Jahren die größte Wachstumsrate auf. Auch die Anzahl der zurückgezogenen Artikel habe in den letzten 30 Jahren exponentiell zugenommen. 

Autorinnen und Autoren scheinen in großem Stil mit Verlagen zusammengearbeitet zu haben, um den Publikationsbetrug zu erleichtern, so das Forschungsteam. "Netzwerke von verlinkten betrügerischen Artikeln deuten auf einen industriellen Produktionsmaßstab hin", heißt es in der Studie. In einigen Bereichen sei die Literatur möglicherweise bereits durch Betrug irreparabel geschädigt. Seniorautor Luís A. N. Amaral, Professor für Ingenieurswissenschaften und Angewandte Mathematik an der der Northwestern University, und sein Team zogen diese Schlussfolgerungen. Die Studienergebnisse sind Mitte August in den Proceedings der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht worden. 

Manipulation in großem Stil mit weitreichenden Konsequenzen 

Insbesondere durch die Analyse von Veröffentlichungen in den Zeitschriften PLOS EINS und Hindawi sei deutlich geworden, dass bestimmte Personen mit anormal großer Wahrscheinlichkeit problematische Artikel für die Veröffentlichung akzeptiert hätten. Die Beiträge seien später beispielsweise zurückgezogen worden oder hätten PubPeer-Kommentare erhalten. Die Studie stellt fest, dass eine sehr kleine Gruppe von Redakteurinnen und Redakteuren – weniger als 0,3 Prozent bei einer Zeitschrift – für bis zu 30 Prozent aller zurückgezogenen Artikel verantwortlich ist. Gleichzeitig habe man Autorinnen und Autoren ausgemacht, deren akzeptierte Artikel gehäuft diesen Redaktionsmitgliedern zugewiesen worden seien. 

Darüber hinaus bietet die Studie Hinweise auf die Koordination bei der Produktion betrügerischer Wissenschaft und die gezielte Anfrage bestimmter Zeitschriften für ihre Veröffentlichung. Die anormalen Muster zeigten, dass Papermills mit Maklerinnen und Maklern zusammenarbeiteten oder selbst als solche auftreten würden. Diese "kontrollieren zumindest einige Entscheidungen in den Zielzeitschriften und können die gleichzeitige Veröffentlichung von Chargen betrügerischer Artikel in einer einzigen Zeitschrift garantieren", erläutert das Forschungsteam das komplexe Betrugs-Netzwerk. 

So falle beispielsweise das in Indien ansässige Unternehmen Academic Research and Development Association (ARDA) dadurch auf, "dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine von der ARDA gelistete Zeitschrift deindexiert wird, weit über der Ausgangsrate liegt – 13 von 39 (33,3 Prozent) Scopus-indizierten Zeitschriften, die von ARDA im Jahr 2020 gelistet wurden, wurden später deindexiert". 

Notwendige Maßnahmen für den Schutz der Integrität 

Schlussfolgernd ist es dem Forschungsteam wichtig, ausdrücklich auf das Risiko hinzuweisen, das von groß angelegter betrügerischer Wissenschaft für neue innovative Ansätze wie KI-gestützte große Sprachmodelle ausgeht. Diese würden Inhalte aus der wissenschaftlichen Literatur für Fachleute und Laien nutzbar machen. Solche Anwendungen seien jedoch nicht in der Lage, qualitative Wissenschaft von betrügerischer Wissenschaft zu unterscheiden. Diese Aufgabe werde mit zunehmender Zahl betrügerischer wissenschaftlicher Publikationen noch schwieriger. 

"Wir müssen ein System schaffen, das robuster und systematischer ist und in dem es schwieriger ist, diejenigen, die Beweise für Betrug vorlegen, abzulehnen oder zu schikanieren. In erster Linie müssen wir die verschiedenen Aufgaben, die an ein System der gerechten Rechenschaftspflicht gestellt werden, voneinander trennen: Aufdeckung, Untersuchung und Sanktionierung", schlägt das Amaral-Forschungsteam vor. Interessenkonflikte seien systematisch auszuschließen. 

Auch könne die Aufdeckung von Betrug in großem Ausmaß nicht einer kleinen Anzahl isolierter Freiwilliger überlassen werden. Es brauche der Bedrohung angemessene personelle und technologische Ressourcen. Zudem bedürfe es deutlich mehr Forschung, um die verschiedenen Ursachen für systematischen Wissenschaftsbetrug zu charakterisieren und ein einheitliches und umfassendes Vokabular zu ihrer Beschreibung zu entwickeln.

Verwendetes Datenmaterial

Zur Durchführung der Studie analysierte das Forschungsteam nach eigenen Angaben umfangreiche Datensätze zu zurückgezogenen Veröffentlichungen, redaktionellen Aufzeichnungen und Fällen von Bildduplizierung. Sie berücksichtigten unter anderem Publikationen durch Web of Science (WoS), Elseviers Scopus, PubMed/MEDLINE der National Library of Medicine sowie der PubPeer Foundation und der Kontrollplattform Retraction Watch.

cva