Ein computergeneriertes Bild eines röhrenartigen Teilchenbeschleunigers in einem Tunnel.
CERN/Georges Boixader

Kernforschung
Surfen, Scan und Supraleiter: 70 Jahre CERN

Die Europäische Organisation für Kernforschung ist 1954 entstanden. CERN ist heute bekannt für den weltweit leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger.

25.09.2024

Von den Erfindungen am CERN in Genf – der Europäischen Organisation für Kernforschung – profitiert jeder im Alltag: beim Internetsurfen, im Krankenhaus und vielem mehr. Das CERN wurde 1954 ins Leben gerufen, um die wissenschaftlichen Forschung im Nachkriegs-Europa zu stärken und die friedliche Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung zu fördern. 

Bei der Organisation selbst arbeiten etwa 2.500 Leute. Nimmt man die Kooperationen mit Physikerinnen und Physikern weltweit hinzu, umfasst CERN mehr als 17.000 Menschen aus 24 Mitgliedsländern – darunter Deutschland, der mit Abstand größte Geldgeber. 

Einige am CERN entstandene Erfindungen 

Web und Surfen 

1989 präsentierte der britische Physiker und Informatiker Timothy John Berners-Lee am CERN eine Idee: ein digitales Informationsnetz, bei dem die Inhalte als universeller Hypertext aufbereitet und mit anklickbaren Links vernetzt werden. Innerhalb weniger Monate entwickelte Berners-Lee die notwendigen Komponenten: URLs für Web-Adressen, die Seitenbeschreibungssprache HTML für Webseiten, das technische Protokoll HTTP für Links und das Konzept für einen Webbrowser. Im April 1993 stellte das CERN den Programmcode des World Wide Web (WWW) der Öffentlichkeit zu Verfügung und begründete damit einen beispiellosen Siegeslauf der Web-Technologie. 

Der dänische CERN-Ingenieur Bent Stumpe entwickelte in den 70er-Jahren Vorläufer von zwei weiteren gängigen Anwendungen: Er präsentierte den ersten transparenten Touchscreen. Mit Bowling-Bällen baute er einen Trackingball, mit dem ein Cursor auf dem Bildschirm bewegt werden kann – ein Vorläufer der Computer-Maus

Medizin und Diagnostik 

Am CERN wird erforscht, was in den ersten Sekunden nach der Geburtsstunde des Universums geschah, ob es noch kleinere Teilchen als Quarks gibt und was es mit der Anti-Materie auf sich hat. Um den Zustand nach dem Urknall zu simulieren, hat das CERN den Teilchenbeschleuniger LHC gebaut. In einem 27 Kilometer langen, ringförmigen Tunnel 100 Meter unter der Erde im schweizerisch-französischen Grenzgebiet werden Protonen oder Ionen mit hoher Energie zur Kollision gebracht. 

Diese Technologie macht sich auch die Medizin zunutze. Bei einem PET-Scan (Positronen-Emissions-Tomographie) werden Photonen gemessen, die Zellen oder Gewebe mit hohem Energieverbrauch sichtbar machen, darunter entzündetes Gewebe oder Tumore. Beim PET-Scan wird sehr wenig und praktisch unschädliches Kontrastmittel eingesetzt. 

Neben Diagnosen sind auch Behandlungen aus CERN-Erfindungen hervorgegangen: Am Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) werden Tumore bei Krebs-Erkrankten seit 2009 zum Beispiel mit Schwerionen und Protonen bestrahlt, die tief im Körper liegende Tumore zerstören können und dabei umliegendes gesundes Gewebe schonen sollen. Das ist an heiklen Stellen wie der Schädelbasis oder dem Sehnerv besonders wichtig.

Mobilität und Umwelt 

Den Teilchenbeschleuniger LHC in Gang zu setzen, braucht viel Energie. Um möglichst wenig beim Transport zu verlieren, hat das CERN Supraleiter aus Metall-Legierungen mitentwickelt, die bei Temperaturen von minus 270 Grad keinen Widerstand haben. Das Team arbeitet daran, dies möglichst auch bei geringerer Kühlung hinzubekommen. 

Für den Flugzeughersteller Airbus ist das interessant. Er arbeitet an einem Brennstoffzellen-Antrieb, der aus flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff Energie generiert. Mit Supraleitern könnte die Energie verlustfrei zu den Triebwerken gebracht werden. In Zukunft könnten Supraleiter auch bei der Nutzung von Brennstoffzellen im Alltag dienen, sagt CERN-Physiker Dr. Sascha Schmeling. 

Cybersicherheit 

Um die riesige LHC-Maschine präzise zu steuern und die vielen Daten zu verarbeiten, sind sehr spezielle Software-Programme nötig. CERN-Entwicklungen macht sich zum Beispiel die deutsche Börse zunutze, um beim elektronischen Handel prüfen zu können, in welcher Nanosekunde wer welche Transaktion vorgenommen hat. Das Projekt trägt den Namen "White Rabbit" (Weißes Kaninchen). 

Quantentechnologie ist ein anderes Feld, mit dem das CERN sich beschäftigt, etwa zum Bau supersensibler Sensoren. Das Fraunhofer-Institut schreibt: "Quantentechnologien ermöglichen völlig neue, noch nie dagewesene Anwendungen in der Messtechnik, Bildgebung, Kommunikationssicherheit und bei hochkomplexen Berechnungen." 

Die Welt der Kunst 

CERN-Technologie ermöglicht es, Gemälde zu analysiert, ohne die Werke zu beschädigen. So können mithilfe spektroskopischer Röntgenbilder tiefer liegende Farbschichten oder die Zusammensetzung der Farben erkannt werden, was Rückschlüsse auf Epochen und einzelne Maler erlaubt. So war das tschechische Unternehmen InsightART 2020 in der Lage, ein Gemälde aus einer Privatsammlung dem Renaissance-Maler Raffael zuzuordnen.

Christiane Oelrich, dpa / cva