Tonscherbe aus der späten Bronzezeit mit Inschrift in Alphabetschrift (Fundort Israel).
Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Archäologie
Tonscherbe füllt Lücke in der Geschichte des Alphabets

Forscher haben eine Tonscherbe mit alphabetischer Schrift gefunden. Sie ist ein Missing Link für die Erforschung der Entstehung des Alphabets.

16.04.2021

Das Aufkommen der Alphabetschrift hält noch viele Rätsel bereit. Eine Forschungslücke haben nun Wissenschaftler vom Österreichischen Archäologischen Institut in Zusammenarbeit mit dem Institut für Archäologie in Israel geschlossen: Sie haben eine beschriftete Tonscherbe aus dem 15. Jahrhundert vor Christus entdeckt, ein Bindeglied oder Missing Link zwischen den frühesten beschrifteten Funden von der Sinai-Halbinsel und aus Ägypten (1800 v. Chr.) und späteren aus Palästina (1200 v. Chr.).

Die Tonscherbe aus der Spätbronzezeit wurde 2018 bei Ausgrabungen in Tel Lachisch im heutigen Israel entdeckt, erläutern die Forscherinnen und Forscher ihren Fund in einer in der Fachzeitschrift "Antiquity" publizierten Studie. Mit Radiokarbondatierung von organischem Material, das sich mit der Scherbe abgelagert hatte, konnten sie die Inschrift auf den Zeitraum um das Jahr 1450 vor Christus datieren. Dies zeige, dass alphabetische Schrift 200 bis 300 Jahre früher in der Region verbreitet war, als bisher angenommen.

Es handele sich um eine Scherbe aus einer zyprischen Schale (White Slip II, auch "milk bowl" genannt), wie sie in der späten Bronzezeit weit verbreitet war.  Auf der Innenseite sei sie mit schwarzer Tinte diagonal beschrieben, drei Zeilen mit je drei Buchstaben seien erkennbar. Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass die Inschrift von rechts nach links zu lesen ist, ihre inhaltliche Bedeutung sei noch unklar.

Aus dem Fund ergeben sich laut den Autorinnen und Autoren allerdings neue Einsichten in die Verbreitung des frühen alphabetischen Schreibens: Es scheint in der südlichen Levante, dem Gebiet östlich des Mittelmeers zwischen der heutigen Türkei im Norden und Ägypten im Südwesten, als Folge von levantinisch-ägyptischen Beziehungen aufgekommen zu sein. Das widerlege die bisher gängige Annahme, dass die Alphabetschrift das Ergebnis der späteren ägyptischen Vormachtstellung im 13. und 12. Jahrhundert vor Christus in der Region sei.

Ursprünglich entstanden sei die frühe alphabetische Schriftlichkeit vermutlich auf der Sinai Halbinsel unter semitischsprechenden Kanaanitern, die dort an ägyptischen Bergbauexpeditionen beteiligt waren. Das frühe Alphabet revolutionierte die Hieroglyphenschrift: Mit seinen vergleichsweise wenigen Zeichen konnte ein enormer Wortschatz abgebildet werden. Das frühe Alphabet verbreitete sich in die südliche Levante, wo es zum phönizischen Alphabet wurde, aus dem dann wiederum das griechische Alphabet entstand. Diese Übergänge seien durch den neuen Fund nun klarer geworden.
 

cpy