Eine Person wirft einen Stimmzettel in eine Wahlurne
picture alliance / Stefan Sauer/dpa | Stefan Sauer

Empirische Sozialforschung
Unser Wahlverhalten besser verstehen wollen

Rudolf Wildenmann, 1921 geboren, gilt als Mitbegründer der empirischen Wahlforschung. Welchen Einfluss hat seine Arbeit auf die Wissenschaft heute?

15.01.2021

2021 ist Super-Wahljahr in Deutschland. Auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt in der ersten Jahreshälfte folgen im September die Bundestagswahl sowie die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen. Begleitet werden die Termine auch in diesem Jahr von Befragungen der Bevölkerung zu ihrem Wahlverhalten. Der 1993 verstorbene Politikwissenschaftler Dr. Rudolf Wildenmann hat dafür die Grundlagen gelegt. An diesem 15. Januar wäre er 100 Jahre alt geworden.

"Wildenmann wollte vor allem die Interaktion zwischen Wählern, Politikern und Parteien sowie Massenmedien besser verstehen", erklärt Professor Rüdiger Schmitt-Beck, Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft – Politische Soziologie an der Universität Mannheim. "Sein Interesse war demokratietheoretisch geleitet. Er wollte mehr über das 'Warum' eines Wahlausgangs wissen."

Geprägt habe der Politikwissenschaftler bis heute beides: die auf das "Warum" zielende wahlsoziologische Grundlagenforschung, als auch die deutlich häufigere und vor allem auf das "Was" zielende außeruniversitäre Wahl- und Meinungsforschung. Bekannt ist vor allem das "Politbarometer", das in regelmäßigen Abständen zusammen mit dem "ZDF" von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt wird. Wildenmann hat das Mannheimer Institut mitaufgebaut. Auch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim geht auf ihn zurück. 2007 wurde es zusammen mit dem „InformationsZentrum Sozialwissenschaften“ (IZ) in Bonn und dem "Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung" (ZA) in Köln zu "GESIS - Leibniz-Zentrum für Sozialwissenschaften" in Köln zusammengeführt. Ab diesem Jahr soll dort die Forschung zur Bundestagswahl in Deutschland institutionalisiert werden.

Wahlforscher: Daten sollten frei verfügbar sein

Rüdiger Schmitt-Beck
Rüdiger Schmitt-Beck ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft – Politische Soziologie an der Universität Mannheim. privat

"Das ist ein wichtiger Schritt in der empirischen Wahlforschung", meint Fachvertreter Schmitt-Beck. "Die institutionalisierte Durchführung solcher Studien an einer öffentlichen Forschungseinrichtung ist die einzige Möglichkeit, um das Wahlverhalten über einen längeren Zeitraum kontinuierlich nach höchsten wissenschaftlichen Standards untersuchen zu können und sicherzustellen, dass die Daten im Anschluss frei verfügbar sind."

Die Herausforderung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liege darin, die Gesellschaft möglichst treffend abzubilden. "Die Bevölkerung wandelt sich immer schneller und Menschen sind im Schnitt seltener bereit, sich an Studien der empirischen Sozialforschung zu beteiligen", sagt Schmitt-Beck. "Das macht das Ganze zusammen mit der Ausarbeitung eines guten Forschungsdesigns extrem teurer und aufwendig", sagt Schmitt-Beck, und verweist auf einen sechsstelligen Betrag pro Erhebung.

Die Wahlforschung hält der Fachvertreter jedoch für zwingend notwendig, um Phänomene wie den Populismus und die Abwendung von etablierten Parteien besser verstehen und über einen längeren Zeitraum beobachten zu können. "Wahlen können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden", sagt er. Das Verhalten bei einer Wahl stehe in Abhängigkeit zu vorangegangenen Wahlen. "In der Forschung bewegen wir uns daher immer zwischen Innovation und Kontinuität. Wir müssen unsere Messinstrumente auf der einen Seite an die geänderten Bedingungen der Gegenwart, aber auch theoretische Weiterentwicklungen anpassen. Gleichzeitig wollen wir Ergebnisse einzelner Erhebungen miteinander vergleichen können, was möglichst weitgehende Kontinuität verlangt", sagt Schmitt-Beck.

Die erste umfassende Wahlstudie wurde anlässlich der Bundestagswahl 1961 durchgeführt. Die Daten waren so umfangreich, dass die damalige Computertechnik noch gar nicht ausreichte, um sie vollständig auszuwerten. Noch heute erscheinen daher Studien, die auf damals erhobenen Daten aufbauen. Einfachere, zumeist nur auf die Wähler fokussierte Studien wurden seither bei allen Bundestagswahlen durchgeführt. Erst 2009 wurde es wieder möglich, eine hinsichtlich der Komplexität mit 1961 vergleichbare, also auch Medien und politische Akteure einbeziehende Erhebung durchzuführen. Diese Erhebungsreihe wird auch bei künftigen Bundestagswahlen fortgesetzt.

kas