Junger Mann steht auf einer Kreuzung
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Verhaltensforschung
Verhalten von Studierenden ist nur begrenzt übertragbar

Studierende sind beliebte Probanden für Studien. Die Aussagekraft der mit ihnen durchgeführten Versuche ist aber mit Vorsicht zu betrachten.

13.09.2022

Studierende treffen nicht immer dieselben Entscheidungen wie andere Bevölkerungsgruppen. Wissenschaftliche Studien, die ausschließlich mit Studierenden als Versuchspersonen durchgeführt wurden, verraten daher nur bedingt etwas über das Verhalten anderer Menschen. Zu diesem Schluss kommt ein Team von Verhaltensforschenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in einer neuen umfangreichen Kontrollstudie.

In der Verhaltensforschung werden demnach viele Untersuchungen zu sozialem Verhalten nur mit Studierenden durchgeführt. "Das ist naheliegend, weil Studierende wissenschaftlichen Studien gegenüber aufgeschlossen sind, sich ohnehin im universitären Umfeld bewegen und empfänglich für finanzielle Anreize sind", sagte Dr. Sven Grüner vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der MLU. Gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich Studierende aber in wichtigen Merkmalen, etwa im Alter oder im Einkommen. Als Probanden sind sie daher nicht immer repräsentativ.

Die Forschenden der MLU sind dem Problem in 36 etablierten ökonomischen Experimenten aus der Entscheidungs- und Spieltheorie nachgegangen. Dabei verglichen sie das Verhalten von 150 Studierenden der Agrarwissenschaften mit dem von 150 Landwirten im Hinblick auf Risikobereitschaft, Ungeduld, Altruismus, Vertrauen und der Reaktion auf unfaires oder großzügiges Verhalten. Keine Unterschiede zwischen den Probandengruppen stellten die Forschenden bezüglich der Risikobereitschaft, dem Vertrauen und dem Belohnen großzügigen Verhaltens fest. In den Experimenten hatten sich die Studierenden jedoch durchgehend als geduldiger erwiesen als die Landwirte und häufiger unfaire Angebote akzeptiert.

Die heterogenen Befunde zeigen laut der Studie, dass es problematisch sein kann, das Verhalten von Studierenden auf reale Akteure zu übertragen. Rückschlüsse sollten nur vorsichtig gezogen werden. "Das könnte die Ergebnisse bisheriger Studien infrage stellen – nicht nur in den Agrarwissenschaften, sondern fachübergreifend", sagte Grüner. Die Forschenden betonen allerdings, dass auch ihre eigenen Ergebnisse noch in Replikationsstudien bestätigt werden müssten, bevor man sie verallgemeinern könne. Ihre Studienteilnehmenden seien nicht repräsentativ für die Zielgruppen gewesen, etwa mit Blick auf ihr Geschlecht. Unter den Studierenden seien deutlich mehr Frauen gewesen, unter den Landwirten deutlich mehr Männer. Frühere Studien hätten geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten gezeigt, etwa bei der Risikobereitschaft.

ckr