Auf einem Warnschild ist das Wort "Geflügelpest" zu lesen.
mauritius images / Chromorange / Michael Bihlmayer

Pandemie-Gefahr
Vogelgrippe bei Rindern beschäftigt Gesundheits-Behörden

Vogelgrippefälle beschäftigen zahlreiche Gesundheits-Behörden. Mehrere EU-Staaten sichern sich Impfstoff. Vorsichtsmaßnahmen erscheinen ratsam.

10.07.2024

Im Fall einer Vogelgrippe-Pandemie könnten Impfstoffe für Menschen nach Einschätzung des Berliner Infektiologen Professor Leif Erik Sander rasch zur Verfügung stehen. "Wir haben Impfstoffe, die zugelassen sind, die in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten", sagte der Charité-Professor kürzlich bei einem Online-Pressegespräch. Allerdings müssten dafür Produktionskapazitäten hochgefahren werden. Sander spricht von Influenza-Impfstoffen, die an die Untervariante des Vogelgrippe-Erregers angepasst werden müssten. Das Vogelgrippe-Virus H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe.

Die EU-Kommission hat bereits Anfang Juni vertraglich 665.000 Impfdosen gegen die Übertragung der Vogelgrippe von Tieren auf Menschen für mehrere Mitgliedsstaaten gesichert. Mit einer britischen Firma sei ein entsprechendes Abkommen geschlossen worden, teilte die Brüsseler Behörde mit. Der Impfstoff ist für Menschen bestimmt, deren Risiko für Kontakte mit Vogelgrippe besonders hoch ist, das sind etwa Mitarbeitende von Geflügelfarmen oder Tierärztinnen und Tierärzte. "Ziel ist es, die Ausbreitung oder mögliche Ausbrüche der Vogelgrippe in Europa zu verhindern und die Bürgerinnen und Bürger und ihre Lebensgrundlagen zu schützen", so die EU-Kommission. 

Deutschland bisher unbeteiligt an EU-Impfstoffbeschaffung 

Deutschland beteiligt sich derzeit nicht an dieser gemeinsamen Impfstoffbeschaffung. Mit dabei sind nach Angaben der EU-Kommission Dänemark, Lettland, Frankreich, Zypern, Litauen, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Slowenien, Finnland, Griechenland und Irland. Zudem beteiligen sich die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen. Laut dem nun geschlossenen Vertrag können über die kommenden vier Jahre den Angaben zufolge zusätzlich 40 Millionen Dosen bestellt werden. 

Die Kommission betonte, dass das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) das Risiko durch Vogelgrippe für die Bevölkerung derzeit als gering einschätze. Für Menschen, die mit infizierten Vögeln und Säugetieren arbeiteten oder ihnen ausgesetzt seien, werde das Risiko als gering bis mäßig angesehen. "Einige Varianten können jedoch Mutationen entwickeln, die ihr Potenzial zur Infektion anderer Arten, einschließlich des Menschen, erhöhen."

Für Menschen in Deutschland besteht dem Experten Leif Erik Sander zufolge derzeit kein Grund zur Sorge. "Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen aktiv zu impfen", sagte Sander und ergänzte: "Es geht nicht darum, die Sorge zu verbreiten, dass eine Pandemie unmittelbar bevorsteht. Man sollte aber alles machen, um vorbereitet zu sein." 

"Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen aktiv zu impfen."
Professor Leif Erik Sander, Charité Berlin

Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln – zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. In den USA haben sich zuletzt Dutzende Rinder infiziert. Eine Handvoll Menschen hat sich laut der US-Gesundheits-Behörde CDC im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen bislang angesteckt. Die Ansteckungen sind laut US-Behörden vermutlich durch direkten Kontakt mit infizierten Kühen erfolgt, nicht von Mensch zu Mensch. Dem Robert Koch-Institut zufolge gibt es derzeit weltweit keine Hinweise für eine fortgesetzte Mensch-zu-Mensch-Übertragung mit Influenzaviren.

Befall von Rindern erhöht das Risiko für Menschen 

In den USA steigt die Zahl der mit Vogelgrippe infizierten Rinder. Mehr als 130 erfasste H5N1-Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten gibt es nach Angaben der US-Gesundheits-Behörde (CDC) inzwischen. Noch immer sei die Datenlage zu den Übertragungen dünn und Gegenmaßnahmen liefen nur schleppend an, bemängelt der Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Professor Martin Beer. Bekommen die USA den Erreger nicht in den Griff, "hätte man unter Umständen weltweit eine völlig neue Rinderkrankheit". 

Wasserbüffel oder andere Rinder-Arten habe das Virus in all den Jahren nie befallen, sagt Beer. Erstmals wohl im Herbst 2023, erkrankten Kühe. Forschende sind überrascht und zunehmend besorgt. Wie diese Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh ablief, etwa über verunreinigtes Futter, kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt, sei unklar. Doch eines wissen Forschende inzwischen: "Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort sehr stark", sagt Beer. Infektiologe Sander nannte den Befall von Rindern besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehre, die vom Menschen genutzt würden. Eine der größten Sorgen sei, dass sich das Virus weiter adaptiert. "Wenn sich das Virus stark in einer Spezies verbreitet, ist die Sorge, dass es sich an andere Säugetiere adaptieren kann oder sich mit anderen Influenzaviren vermischt. Das würde ermöglichen, dass es auch stärker Menschen befällt und es womöglich dann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden könnte." 

Die Infektion mit stark krank machenden Vogelgrippe-Viren wie H5N1 trete bei Menschen selten auf, verlaufe dann aber häufig schwer. Die Sterblichkeitsrate ist dem Experten zufolge hoch. "Das liegt daran, dass diese Viren nur die tiefen Abschnitte der menschlichen Lunge befallen können und es dann zu schweren Entzündungen der Lunge führen kann." Einer der Infizierten in den USA zeigte typischere Symptome einer akuten Atemwegserkrankung wie Husten. Bei den anderen Betroffenen wurde von Symptomen in den Augen ähnlich einer Bindehautentzündung berichtet. "Die Menschen haben sich wahrscheinlich über Schmierinfektionen infiziert und nicht wie sonst bei Influenza üblich über die Atemwege. Das könnte zu den relativ milden Verläufen führen", sagte Sander.

Weltweit werden 1,5 Milliarden Rinder gehalten, wie Beer sagt. Entstünde aus H5N1 eine neue, global auftretende Rindergrippe, stiege auch das Risiko für andere Nutztiere – etwa, wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine verfüttert wird. Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch näher als ein Vogel. Das Zoonose-Risiko – also das Risiko für einen Übergang vom Tier auf den Menschen – kann abhängig von den erfolgten Anpassungen größer sein, wie Beer erklärt.

Können sich Menschen bei Rindern anstecken? 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in Mexiko den weltweit ersten im Labor bestätigten Todesfall eines Menschen durch eine Unterart der Vogelgrippe nachgewiesen. Eine 59 Jahre alte Person sei in Mexiko-Stadt am 25. April nach einer Infektion mit dem Virus A(H5N2) gestorben, hieß es Anfang Juni in einer Mitteilung der WHO. Die betroffene Person war demnach wegen Fieber, Atemnot, Durchfall, Übelkeit und Unwohlsein ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es sei unbekannt, wie die Person sich infiziert habe. Ein Nachweis des Virus in Geflügel sei in Mexiko aber gemeldet worden, berichtete die WHO weiter. "Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen schätzt die WHO das derzeitige Risiko für die Allgemeinbevölkerung, das von diesem Virus ausgeht, als gering ein", teilte die WHO mit. 

Vier Fälle bei Menschen wurden laut US-Gesundheits-Behörde im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen bisher erfasst. Jedes Mal sei eine Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. "Der Mensch hat die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge." Fasst sich ein Arbeiter zum Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken. Pasteurisierte Milch gilt als unbedenklich, wie gerade eine im "Journal of Virology" vorgestellte Studie bestätigte. In 20 Prozent der etwa 300 untersuchten pasteurisierten Milchprodukte aus 132 US-Verarbeitungsbetrieben wurden demnach nicht-infektiöse Spuren des viralen Erbguts gefunden, infektiöses Virus in keinem einzigen Fall. 

"Der Mensch hat die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge."
Professor Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts 

Eine Infektion über Rohmilch gilt hingegen als möglich. Farm-Katzen haben sich in den vergangenen Monaten schon häufig über aufgeschleckte Rohmilch angesteckt. In zahlreichen der erfassten Fälle starben sie, wie Beer sagt. "Das Virus infiziert bei ihnen meist auch das Gehirn." Ganz neu sei diese Erkenntnis nicht: Auch in Polen und Südkorea habe es schon Vogelgrippe-Ausbrüche bei Katzen gegeben – immer über kontaminierte Nahrung, bisher nicht von Katze zu Katze. Anders ist das bei bestimmten Meeressäugern sowie für die Pelztierzucht gehaltenen Arten wie Nerz und Polarfuchs. Für Meeressäuger gelten Übertragungen zwischen Artgenossen als hoch wahrscheinlich, bei Tieren in Pelztierfarmen als weitgehend gesichert, wie Beer sagt. Auch bei ihnen stehen neurologische Symptome, also Hirnschäden, im Vordergrund. Der Anteil tödlich erkrankter Tiere ist hoch. "Bei den sehr seltenen Fällen beim Menschen gibt es solche neurologischen Symptome nicht, sondern eher die für eine Grippe klassischen Atemwegsprobleme."

Wie groß ist das Risiko für Deutschland? 

Bisher sind H5N1-Infektionen nur von Rindern in den USA bekannt. Da weder Kühe noch Rohmilch nach Europa importiert würden, sei das Risiko einer Einschleppung gering, sagt Beer. Von importiertem Rindfleisch gehe nach derzeitigem Stand keine Gefahr aus. Versuche am FLI ergaben allerdings, dass auch die in Deutschland kursierende H5N1-Form Rinder infizieren kann. Das Virus habe sich im Euter vermehrt und Kühe hätten Krankheitssymptome wie Milchbildungsrückgang, Veränderung der Milchkonsistenz und Fieber gezeigt, teilte das Institut kürzlich mit. 

Die Risikoeinschätzung – sehr gering – ändere sich dadurch nicht. In diese Einschätzung spielt hinein, dass es – anders als etwa in Nord- und Südamerika – derzeit keine größere H5N1-Welle unter Wildvögeln in Europa gibt. "Es ist so ruhig wie seit Jahren nicht mehr", sagt Beer. "Seit einigen Wochen nimmt die Zahl der Nachweise ganz deutlich ab." Womöglich habe sich vorerst eine Art Herdenimmunität aufgebaut. Ein Sommerloch bei den Infektionen war lange Zeit typisch für die Vogelgrippe – bis die Klade 2.3.4.4b ihren Zug um die Welt begann. Doch irgendwann werde die Population wieder empfänglich für eine nächste Welle sein, so Beer.

"Es ist schon sehr wichtig, dass man H5N1 auf dem Schirm hat", so Beer. Auf den Risikolisten für eine Vogelgrippe-Zoonose liege der Erreger aber "nur" im Mittelfeld: Von H7N9, das in seltenen Fällen bereits von Mensch zu Mensch übertragen wurde, und H5N6, das ebenfalls bereits bei Menschen auftrat, sowie einigen Schweineinfluenza-Viren gehe nach aktueller Einschätzung ein größeres zoonotisches Risiko aus.

"Es ist schon sehr wichtig, dass man H5N1 auf dem Schirm hat."
Professor Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts 

Die genauen Eigenschaften eines möglichen Erregers lassen sich nicht voraussagen. Klar ist aber: Es wäre nicht die erste große Influenza-A-Pandemie. Insgesamt vier gab es seit 1900: 1918/19 die Spanische Grippe (H1N1), auf die 1968 die Hongkong-Grippe (H23N2), 1977 die Russische Grippe (H1N1) und 2009/10 die Schweinegrippe (H1N1) folgten. 

Wäre es wie bei der Corona-Pandemie? 

"Die Situation ist eine ganz andere als bei Sars-CoV-2", erläutert Beer. Influenza-Stämme werden schon lange überwacht. Vorbeugend würden regelmäßig Kandidaten-Impfstoffe für eine schützende Impfung gegen potenziell eine Pandemie verursachende Varianten festgelegt. Ein solcher Impfstoff sei kürzlich von 15 EU-Ländern geordert worden. Generell gilt, anders als beim Corona-Virus: "Man weiß schon sehr lange, was man machen muss für einen Influenza-Impfstoff", sagt Beer. Klassisch erfolge die Produktion in Hühnereiern, inzwischen werde auch an mRNA-Impfstoffen gearbeitet. Im Falle des Falles könnte es also schnell gehen mit einer Massenproduktion schützender Impfstoffe.

dpa/cva