abgebrannte Waldfläche im Amazonasgebiet in Bolivien
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Amazonas-Regenwald
Waldbrände mit "ungewöhnlichen" Folgen

Der Amazonas-Regenwald brennt. Wie schlimm war der Sommer 2019? Die Waldbrand-Expertin Kirsten Thonicke ordnet die Entwicklungen ein.

Von Claudia Krapp 15.10.2019

Forschung & Lehre: Seit Monaten brennt der Amazonas-Regenwald. Nun geht die jährliche Brandrodungs-Saison zu Ende. Wie schlimm ist der Schaden in diesem Jahr?

Kirsten Thonicke: Seit dem 1. Januar 2019 hat das brasilianische Nationale Institut für Raumforschung (INPE) bislang rund 70.000 Feuer im Gebiet des Amazonasregenwaldes erfasst. Diese Werte sind vergleichbar mit der Feueranzahl aus den gleichen Zeiträumen der Vorjahre, die aber auch großen Schwankungen unterlagen. In der letzten Dekade wurde in einzelnen Jahren eine viel höhere Feueranzahl im Amazonasregenwald ermittelt, in denen rund 134.000 (2010) oder sogar über 210.000 (2004 und 2005) Feuer brannten. Die Jahre 2004, 2005 und 2010 waren durch extreme Trockenheit gekennzeichnet, die einen großen Teil der Amazonasregion betrafen. Das Besondere an diesem Jahr allerdings war, dass die vielen Feuer innerhalb kürzester Zeit und wahrscheinlich größtenteils auf illegal gerodeten Flächen gelegt wurden.

Portraitfoto von Dr. Kirsten Thonicke
Dr. Kirsten Thonicke ist Expertin für Waldökosysteme und Waldbrände am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK/Karkow

F&L: Waren die Brände in diesem Jahr besonders heftig oder haben Sie nur mehr Aufmerksamkeit bekommen angesichts der weltweiten Klimadebatte?

Kirsten Thonicke: Die Auswirkungen waren in diesem Jahr durch die Verknüpfung diverser Umstände in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen brannten gleichzeitig die Wälder in Bolivien, daher gab es innerhalb weniger Tage zu Beginn der Brandsaison zwei bis drei große Brandherde in der Region, dazu noch viele weitere Brände über die südliche Amazonasregion verteilt. Letztere konzentrierten sich insbesondere entlang von großen Straßen. Durch eine besondere Wetterkonstellation in der Region um São Paulo bildeten sich dunkle Wolken, die die Aschepartikel dann dort zum Abregnen brachten. Außergewöhnlich war auch, dass Waldbrände auf entwaldeten Flächen gelegt wurden. Seit 2010 waren die Feuer eher auf Weideflächen gelegt worden. Auch politisch spielte einiges mit hinein: Die Reform des brasilianischen Feuer- und Entwaldungsmonitorings wird gerade heftig diskutiert, der INPE-Direktor trat zurück, die Regierung von Jair Bolsonaro war mit der Zwischenbilanz zu den Entwaldungsraten nicht zufrieden. Die Kontrollbehörden, die gegen illegale Abholzung und gelegte Feuer vorgehen sollen, mussten seit Januar massive Geldkürzungen hinnehmen. Das alles zusammen brachte dann wahrscheinlich die große mediale Aufmerksamkeit auch in der internationalen Presse. Diese prompte Reaktion zeugt auch von einer informierten und sensibilisierten Öffentlichkeit.

F&L: Welche Folgen haben die Brände?

Kirsten Thonicke: Die Brände setzen große Mengen Kohlendioxid (CO2), Kohlenmonoxid (CO) und andere klimawirksame Treibhausgase frei. Durch den hohen Feuchtegehalt der Biomasse ist die Rußentwicklung besonders hoch, weshalb die Rauchwolken in Satellitenbildern weit zu sehen sind. Diese Freisetzung der Aerosole verändert die Reflexion der eintreffenden Sonnenstrahlung, die Wolken und damit auch die Niederschlagsbildung.

F&L: Welcher Anteil des Amazonas-Regenwalds ist bereits durch Brandrodung oder Abholzung verloren gegangen? Was ist der angemessene Referenzzeitpunkt, um dessen Größe zu beurteilen?

Kirsten Thonicke: Seit den späten 1990er Jahren hat der Amazonasregenwald 20 Prozent seines ursprünglichen Gebietes durch Rodung verloren, unter anderem für Bergbau, das Anlegen von Weideflächen und Sojaanbau und die Tropenholznutzung. Seit 1998 liegen Geofernerkundungsdaten für das Gebiet vor, aus denen die Abholzungsraten und Flächenverluste ermittelt werden.

"Wenn wir auf der sicheren Seite sein wollen, dann sollte die Entwaldung 25 Prozent nicht überschreiten."

F&L: Einige Wissenschaftler sagen, wenn 25 Prozent des Amazonas-Regenwalds verloren sind, ist der ganze Wald verloren. Was passiert bei diesem Kipp-Punkt?

Kirsten Thonicke: Diese Zahl beruht auf Studien renommierter Klimawissenschaftler des INPE. Sie besagt, wenn wir auf der sicheren Seite sein wollen, denn wir kennen zwar viele sensible Kriterien für ein mögliches Kippen, aber sicher nicht alle, dann sollte die Entwaldung 25 Prozent nicht überschreiten. Wir wissen, dass es bei 40 Prozent sicher zu regionalen Klimaveränderungen kommt, insbesondere nimmt dann der Niederschlag ab und die Trockenzeiten werden stärker und länger. Dadurch verstärkt sich die Trockenheit und auch der Feuchtetransport in der Atmosphäre. Es treten also selbstverstärkende Effekte auf: Weitere Waldflächen könnten durch Trockenheit absterben, noch mehr CO2 ginge in die Atmosphäre verloren.

F&L: Warum ist der Amazonas-Regenwald so wichtig?

Kirsten Thonicke: Der Amazonasregenwald ist – Wald und Boden zusammengenommen – neben dem borealen Nadelwald der größte terrestrische CO2-Speicher. Beide tragen somit zu Stabilisierung des Klimas bei. Gehen in beiden Gebieten großflächig Waldflächen durch Rodung oder Absterben verloren, gelangen große Mengen CO2 in die Atmosphäre, die klimawirksam sind und den laufenden Klimawandel verstärken. Gegenwärtig speichert der Amazonasregenwald circa 1,4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr netto – also in der Bilanz dessen, was durch Photosynthese aufgenommen und durch Respiration wieder verloren geht. Damit trägt der Amazonasregenwald 14 Prozent zur globalen terrestrischen Kohlenstoffsenke bei.

"Die Entscheidungsträger in der EU haben eine große Verantwortung zum Schutz des Amazonasregenwaldes beizutragen."

F&L: Wer muss Ihrer Ansicht nach etwas tun, um den Amazonas-Regenwald zu schützen? Wie hilfreich ist etwa die Aufforstung?

Kirsten Thonicke: Die Maßnahmen sind ganz vielfältig. Vor Ort wäre es wichtig, das Umwelt- und Feuermonitoring wieder finanziell so auszustatten, dass es gegen illegale Abholzung vorgehen kann. Wiederaufforstung kann ein wichtiger Beitrag sein, weiteres CO2 im Wald langfristig zu speichern und degradierte Flächen wieder zu renaturieren. Bereits existierende Sekundärwälder stellen ja bereits einen wichtigen Biomassespeicher dar, sie zum Beispiel besser zu schützen könnte eventuell auch helfen, die Biodiversität zu stabilisieren. Global haben natürlich die Nutzer des Fleischs und der Sojabohnen ebenfalls eine Verantwortung. In den Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen könnte die EU etwa darauf dringen, dass Umweltstandards eingehalten und die Moratorien beachtet werden, kein Fleisch und Soja aus illegal abgeholzten Gebieten aufzukaufen. China, die EU und die USA sind größten Abnehmer dieser Güter. Damit haben die Entscheidungsträger auch hier in der EU eine große Verantwortung zum Schutz des Amazonasregenwaldes beizutragen.

F&L: Werden die Brände immer von Menschen gelegt oder kommen Waldbrände auch natürlich vor?

Kirsten Thonicke: Im Amazonasregenwald ist Feuer keine natürliche Störung, es gehört nicht in dieses Ökosystem. Hier werden die Brände werden zu 90 Prozent vom Menschen gelegt. Anders ist es im borealen Nadelwald, wo Feuer zur Sukzession beiträgt und die Vegetation angepasst ist. So ist in anderen Gebieten, wie zum Beispiel in Alaska, Kanada oder Sibirien, der Anteil der Feuer, die durch Blitzschläge verursacht werden, größer.

F&L: Woran forschen sie zur Zeit?

Kirsten Thonicke: In meiner Arbeitsgruppe arbeiten wir aktuell an der Rolle des Amazonasregenwaldes für den kontinentalen Feuchtetransport in der Atmosphäre. Der Regenwald hat ja hier eine zentrale Bedeutung, weil über die hohe Verdunstung Klima und Vegetation eng gekoppelt sind und der Amazonasregenwald zur Niederschlagsbildung in Südostsüdamerika entscheidend beiträgt. Hier sind wir ein Teil des internationalen Forschungsprojektes CLIMAX, an dem Forscherinnen und Forscher aus Argentinien, Brasilien, der Niederlande und Deutschland auch daran arbeiten, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in der breiten Öffentlichkeit von verschiedenen Nutzern besser umgesetzt werden können.

Entwaldung und Brandrodung im Amazonasgebiet

Die jährlichen Entwaldungsraten und die verbrannte Fläche im Amazonasgebiet sind nicht zwangsläufig identisch. In diesem Jahr ist Dr. Kirsten Thonicke zufolge jedoch ein wieder verstärkter Zusammenhang zwischen Entwaldung und Brandrodung zu erwarten. 

Anzahl der Feuer im Amazonas-Regenwald:

  • Seit Januar 2019: rund 69.600 Brandherde
  • 2018: rund 68.400 Brandherde
  • 2017: rund 107.400 Brandherde
  • 2010: rund 134.600 Brandherde
  • 2005: rund 213.700 Brandherde
  • 2004: rund 218.600 Brandherde

Die Feuerzahl bezieht sich auf die per Satellitendaten erfassten Feuerhotspots im Amazonas-Regenwald. Dabei können mehrere Brandherde zu derselben Brandfläche gehören. Die Feueranzahl sagt nichts über die dabei verbrannte Fläche oder die Dauer der Brände aus.

Entwaldete Fläche im Amazonas-Regenwald:

  • 2018: 7.033 Quadratkilometer
  • 2017: 6.671 Quadratkilometer
  • 2010: 5.820 Quadratkilometer

Diese entwaldete Flächen beziehen sich rein auf den Amazonas-Regenwald. Die folgenden Daten beinhalten alle Wälder im Amazonasgebiet, inklusive des savannenähnlichen Trockenwalds in der Cerradovegetation.

Entwaldete Fläche im Amazonasgebiet (inklusive Trockenwälder):

  • 2018: 7.536 Quadratkilometer
  • 2017: 6.947 Quadratkilometer
  • 2010: 7.000 Quadratkilometer
  • 2005: 19.014 Quadratkilometer
  • 2004: 27.772 Quadratkilometer

Quelle: Nationales Institut für Weltraumforschung (INPE)