Gestresste Person am Schreibtisch
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Sozialpsychologie
Wann Stress ansteckend ist

Ein Forscherteam hat die Übertragung von Stress untersucht. Der Effekt scheint insbesondere in vertrauten Gruppen stark zu sein.

18.11.2020

Stress im Team kann ansteckend sein. Darauf deuten Ergebnisse einer Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und der Universität Wien hin. Das Forscherteam hat herausgefunden, dass selbst ein künstlich hergestelltes "Wir"-Gefühl in einer Gruppe dazu führt, dass sich der Stress einer Person auf andere überträgt.

"Wir gehen davon aus, dass sich der Effekt noch deutlicher zeigen dürfte, wenn ein 'Wir'-Gefühl nicht künstlich hergestellt wird, sondern sich zwischen Menschen über längere Zeit entwickelt hat", sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Professor Jan Häusser aus Gießen. In Folgestudien wolle sein Team die herausgefundenen Effekte daher genauer untersuchen.

"Die Konsequenz aus unseren Ergebnissen kann nicht sein, das 'Wir'-Gefühl in einer Gruppe zu schwächen oder erst gar nicht aufzubauen", sagt Psychologe Häusser. Dazu seien die positiven Effekte wie Zusammenhalt und effektive Zusammenarbeit zu groß. "Es muss darum gehen, das 'Wir'-Gefühl so stark zu machen, dass es quasi als eine Art Puffer für Stress wirkt oder dafür sorgt, dass dieser schnell abgebaut werden kann."

Arbeitsbelastung und Aufgabenaufteilung besprechen

Die Teamleitung kann das fördern, sagt Professor Thomas Steger, der an der Universität Regensburg den Lehrstuhl "Führung und Organisation" leitet. An der Studie war er nicht beteiligt. "Zunächst einmal kann sich eine Führungsperson fragen, ob sie die Arbeitsorganisation in ihrem Team verbessern kann und Aufgaben ungleich oder falsch verteilt hat", sagt Steger. Danach biete sich ein 1:1-Gespräch oder ein Treffen in der Gruppe an.

"Gerade in Teams, in denen das 'Wir'-Gefühl stark ist, kann ein moderiertes Gespräch in der Gruppe dafür sorgen, dass sich die einzelnen Team-Mitglieder die Aufgaben besser untereinander aufteilen oder sich bei bestimmten Aufgaben unterstützen", sagt Steger. Alternativ könne mit einer Person im 1:1-Gespräch überlegt werden, wie ihre Aufgaben besser aufgeteilt werden können oder welche Kurse ihr helfen würden, sich besser zu organisieren oder mit Stresssituationen umzugehen.

In der Studie aus Gießen und Wien hatten die Psychologinnen und Psychologen für ihren Versuch zwei Gruppen gebildet. Eine Gruppe wurde gemeinsam angesprochen und sollte vor Versuchsbeginn erarbeiten, was sie verbindet und was sie gemeinsam haben. In der Kontrollgruppe wurden die Teilnehmenden einzeln angesprochen und sollten herausstellen, was sie selbst ausmacht und von anderen unterscheidet.

Eine Person pro Gruppe wurde im Anschluss einer stressenden Situation ausgesetzt – in diesem Fall ein fiktives Bewerbungsgespräch und ein anspruchsvoller Kopfrechentest. Die anderen Gruppenmitglieder schauten zu. In regelmäßigen Abständen wurden von ihnen Speichelproben entnommen. Wenn zuvor ein 'Wir-Gefühl' mit der beobachteten Person erzeugt worden war, war deutlich häufiger das Stresshormon Cortisol in der Speichelprobe messbar als in der Kontrollgruppe. Ihre Ergebnisse hat das Forscherteam in der Studie "The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions" veröffentlicht.

kas