Gegendemonstrant auf einer Corona-Demo hält ein Schild mit der Aufschrift "Strohhut statt Aluhut"
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Bertelsmann Stiftung
Warum der Rückgang des Populismus einen Haken hat

Populistische Einstellungen sind in Deutschland immer weniger verbreitet, zeigt eine Studie. Gleichzeitig drohe eine zunehmende Radikalisierung.

03.09.2020

In Deutschland ist eine Debatte über den Zustand der Demokratie entbrannt. Anlass sind Rechtsextreme unter den wiederholten Demonstrationen gegen die Corona-Politik und weit verbreitete Verschwörungstheorien im Netz. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) kommt zu dem Schluss, die Deutschen seien weniger anfällig für Populismus als zuvor. Das "Populismusbarometer" klingt zunächst positiv, aber die Tücke liegt im Detail.

In einer repräsentativen Umfrage vom Juni diesen Jahres zeigten sich demnach unter mehr als 10.000 Wahlberechtigten deutlich weniger Personen offen für populistische Parolen als noch vor zwei Jahren. Nur noch jeder Fünfte gelte als populistisch eingestellt, Ende 2018 sei es noch jeder Dritte gewesen. Die Autoren sehen darin einen antipopulistischen Wandel, gestützt durch die politische Mitte. Die Forscher warnen aber auch: Der rechte Rand könne sich weiter radikalisieren.

Die Studie setze auf einen Minimalkonsens des in den Wissenschaftsdisziplinen immer wieder anders pointierten Populismusbegriffs, ordnet Paula Diehl, Professorin für Ideengeschichte und politische Theorie der Universität Kiel, ein. Als "populistisch eingestellt" gilt in der Studie jemand, der bestimmte anti-pluralistische Aussagen bejaht, sich gleichzeitig gegen das Establishment und für mehr Macht des Volkes einsetzt. Diehl betont dabei: "Populistische Einstellungen gibt es im gesamten politischen Spektrum und sind nicht automatisch mit Rechtspopulismus gleichzusetzen – auch wenn das in Deutschland zuletzt das am meisten verbreitete Phänomen war."

Die Umfrage zeige mehr als nur eine Momentaufnahme, sondern eine längerfristige Trendumkehr, sagt Mitautor Wolfgang Merkel vom WZB. Die populistische Welle habe Ende 2018 ihren Höhepunkt erreicht und sei dann "erdrutschartig" abgeschwollen, heißt es in der Studie. "Das Problem des Populismus ist damit nicht verschwunden, aber es hat im Vergleich zu 2017 an Brisanz eingebüßt", sagt Merkel.

Corona-Krise stabilisiert Trendumkehr, zumindest vorrübergehend

Die Forscher erklären sich die Entwicklung mit einem verbesserten Regierungshandeln. In der Flüchtlingskrise 2015/16 hätten Medien und Politik die Herausforderungen der Migration herunter- und damit Populisten in die Karten gespielt, sagt Merkel. Doch inzwischen habe sich die Flüchtlingsthematik als Streitfrage erschöpft. Außerdem sei es der Politik gelungen, sich wieder handlungsfähig zu zeigen – das gelte erst Recht für die Zeit der Corona-Krise, die die Trendwende nicht ausgelöst, aber stabilisiert habe, heißt es in der Studie.

"Die Pandemie hat das Begehren des Volkes auf mehr Mitsprache in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen war ein schneller Reaktionsmodus erforderlich, in dem die Exekutive gefragt ist", sagt Professorin Diehl. Das könne sich aber im Laufe der Krise wieder ändern: "Die jüngsten Anti-Corona-Proteste haben auch einen populistischen Akzent", sagt Diehl. Nehmen die wirtschaftlichen oder sozialen Probleme infolge des Lockdowns zu, könne das Populisten wieder beflügeln.

Diehl weist zudem darauf hin, dass ein Rückgang populistischer Einstellungen kein Schutz gegen eine Verbreitung von Rechtsextremismus sei: "Wir beobachten in vielen Ländern ein Gewöhnung an rechtsextreme Vorstellungen, die mit dem Rechtspopulismus verbreitet wurden – dadurch verschiebt sich der Konsens nach rechts." Auch bei den Corona-Protesten seien Rechtsextremisten geduldet worden. "Es mangelt an Abgrenzung, auch weil eine Normalisierung eingesetzt hat", sagt sie.

Auch das "Populismusbarometer" misst eine zunehmende Radikalisierung am rechten Rand: Das gelte etwa für die AfD, die sich seit 2015 von einer rechtspopulistischen zunehmend zur rechtsextremen Partei wandele. So zeige mehr als die Hälfte der AfD-Wählerschaft in Umfragen rechtsextreme Haltungen, so die Studienautoren.

dpa/ckr