Symbolbild für eine Krebstherapie: Ein Stift malt eine Zielscheibe auf eine bösartige Krebszelle
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Onkologie
Warum ist es so schwer, Krebs zu heilen?

Die Krebsforschung macht rasante Fortschritte und ist bislang doch nie an das Ziel gekommen, Krebs gänzlich zu heilen. Wo gerät sie noch an Grenzen?

Von Sonja Loges 05.12.2022

Nach wie vor sterben viel zu viele Menschen an Krebs – in Deutschland sind es jeden Tag circa 600 und jedes Jahr mehr als 220.000 Menschen. Krebs ist damit nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Fast jede und jeder Zweite erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs, das sind aktuell 500.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Es wird projiziert, dass aufgrund demografischer Faktoren wie steigendem Lebensalter und Lebensstilfaktoren die Anzahl der Neuerkrankungen bis 2040 um weitere 20 Prozent steigen wird. Das sind schockierende Zahlen und Motivation für Initiativen wie "Vision Zero", das Ziel zu formulieren, dass keine Patientin und kein Patient mehr an Krebs sterben soll. Auch die Bundesregierung unterstützt die Krebsforschung und -behandlung mit der 2019 ausgerufenen "Nationalen Dekade gegen Krebs". Mit dieser einzigartigen Initiative gibt es ein nie dagewesenes Momentum und finanzielle Unterstützung, Strategien zur Heilung von Krebs zu entwickeln.

Noch besser wäre es allerdings, wenn Krebs gar nicht entstehen würde – aktuelle Schätzungen ergeben, dass 40 Prozent aller Krebserkrankungen durch primäre Prävention zu verhindern wären. Wichtige Risikofaktoren sind Rauchen, hoher Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und Umweltgifte wie Radon und Feinstaub. Berücksichtigt man das nicht ausgeschöpfte Potenzial von Früherkennung, wie zum Beispiel Darmspiegelungen, steigt der Anteil der vermeidbaren Krebserkrankungen auf mehr als 50 Prozent. Aufgrund dieser immensen Bedeutung ist die Krebsprävention eine zentrale Priorität der "Nationalen Dekade gegen Krebs" und wichtiger Förderorganisationen wie der Deutschen Krebshilfe (DKH). In Heidelberg entsteht gerade das "Nationale Krebspräventionszentrum" im Rahmen einer langfristig angelegten Partnerschaft zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der DKH. Hier wird es erstmalig möglich, die gesamte Wertschöpfungskette der Prävention von molekularer Grundlagenforschung und klinischen Studien bis hin zu einer Präventionsambulanz zur Entwicklung personalisierter Präventionsstrategien für Patientinnen und Patienten unter einem Dach zu erforschen. Damit wird der außerordentlichen Bedeutung der Prävention Rechnung getragen und es besteht großes Potenzial, die Anzahl von Krebsneuerkrankungen dadurch deutlich zu vermindern.

Herausforderungen in der Krebsforschung

Warum ist es so schwer, Krebs zu heilen? Ein Grund ist, dass Krebs häufig zu spät und erst im metastasierten Stadium erkannt wird. Deswegen liegt ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung auf der Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung. Hier haben mehrere große Studien wie die NLST, NELSON und LUSI eine deutliche Senkung der Lungenkrebsmortalität gezeigt, wenn durch Rauchen vorbelastete Patientinnen und Patienten regelmäßig mittels Niedrigdosis-CT ihrer Lunge untersucht und deswegen Erkrankungen in früheren Stadien diagnostiziert wurden. Diese Ergebnisse haben dazu geführt, dass diese Screeningmethode in die Leitlinien aufgenommen wurde und in naher Zukunft in die klinische Praxis umgesetzt wird. Da Lungenkrebs die häufigste Krebstodesursache bei Männern und Frauen ist, ist das ein wichtiger Schritt hin zu dem Forschungsziel, Krebserkrankungen zu dezimieren.

"Ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung liegt auf der Krebs­früh­erkennung."

Da alle Krebserkrankungen zelluläre und lösliche Bestandteile ins Blut abgeben, ist auch die sogenannte "Liquid Biopsy" ein sehr aktiv beforschtes Gebiet zur Krebsfrüherkennung. Hier zeigen aktuelle Arbeiten, dass es möglich ist, Krebserkrankungen mit hoher Genauigkeit in Bezug auf ihren Gewebeursprung im Blut zu erkennen (sogenannter Galleri®-Test). Allerdings hängt die Empfindlichkeit der Methode mit der im Körper vorhandenen Tumormasse zusammen, das heißt, dass die Empfindlichkeit des Tests in den frühen Stadien mit 30 Prozent nicht so groß ist wie bei den fortgeschrittenen Erkrankungen (84 Prozent). Zusätzlich stehen die Ergebnisse des Tests in einer großen populationsbasierten Kohorte noch aus, diese Studie wird gerade durchgeführt. Nichtsdestotrotz hat die "Liquid Biopsy" das Potenzial, die Früherkennung und damit Heilbarkeit von Krebserkrankungen zu verbessern – besonders bei Erkrankungen ohne vorhandene Früherkennungsmethode oder in Kombination mit etablierten Methoden.

Ein zweiter Grund, warum Krebserkrankungen so schwer heilbar sind, ist, dass sie aus körpereigenen Zellen entstehen und damit der Immunabwehr häufig entgehen können. Das liegt daran, dass das Immunsystem darauf trainiert ist, körperfremde Gefahren wie Viren und Bakterien zu erkennen und körpereigene Zellen zu tolerieren. Zusätzlich bilden Krebszellen sogenannte "Immuncheckpoints", die die tumorbekämpfenden Immunzellen wie zytotoxische T-Zellen und NK-Zellen hemmen können. Nichtsdestotrotz sind Tumorzellen aufgrund zum Beispiel von Mutationen, die sie von normalen Zellen unterscheiden, prinzipiell sichtbar für das Immunsystem und können eliminiert werden.

Das bessere Verständnis der "Immuncheckpoints" (PD-1/CTLA4) und die Entwicklung gezielter Immuntherapien haben in den letzten Jahren einen rasanten Fortschritt in der Behandlung vieler Krebserkrankungen gebracht. Durch diese Therapiestrategie ist es möglich geworden, das Überleben vieler Patientinnen und Patienten unter anderem mit Lungenkarzinomen, Melanomen, gastrointestinalen Tumorerkrankungen, Blasenkarzinomen, Nierenkarzinomen, Kopf-Hals-Tumoren und Lymphomen zu verlängern. Es konnte gezeigt werden, dass durch die therapeutische Blockade der genannten "Immuncheckpoints" anhaltende tumorspezifische T-Zellantworten erzeugt werden können, die in der Lage sind, Krebserkrankungen zu kontrollieren. Das ist ein Durchbruch auf dem Weg zur Behandlung von Krebserkrankungen, insbesondere, weil ein Teil der Patientinnen und Patienten ein Langzeitansprechen und möglicherweise eine Heilung von bislang unheilbar fortgeschrittenen Tumorstadien erzielen kann. Die Forscher James Allison und Tasuku Honjo, die maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt waren, wurden 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Im Fokus der aktuellen Forschung steht zu untersuchen, warum bei manchen Patientinnen und Patienten der Krebs durch die Immuncheckpointblockade dauerhaft kontrolliert werden kann, um ein andauerndes Ansprechen möglichst in allen Erkrankten zu erreichen.

Aufgrund des therapeutischen Potenzials von Immuntherapien wird eine Vielzahl zusätzlicher Therapiestrategien erforscht, was zu einer Wissensexplosion in diesem Bereich führt. Eine wichtige Neuentwicklung sind hier genetisch veränderte T-Zellen, die bestimmte Oberflächenmoleküle von Tumorzellen erkennen können (CAR-T-Zellen). Hierzu werden patienteneigene T-Zellen entnommen, im Labor vermehrt, genetisch modifiziert und den Patientinnen und Patienten zurück infundiert, was mehrere Wochen dauert. Dieser Ansatz ist besonders bei bestimmten Leukämien und Lymphomen erfolgreich und wurde in die Routineanwendung überführt. Auch hier kommt es zu Heilungen; Emily Whitehead, das erste Kind, das weltweit mit einer CAR-T-Zelltherapie behandelt wurde, ist seit zehn Jahren krebsfrei.

Aktuelle Weiterentwicklungen der Forschung dienen dazu, Resistenzmechanismen zu entschlüsseln und CAR-T-Zellpräparate zu erzeugen, die nicht patientenindividuell hergestellt werden müssen, sondern "Off-the-shelf" verfügbar sind. Das würde verhindern, dass Patientinnen und Patienten während der Wartezeit auf das Produkt versterben, und es erleichtern, ggf. erneute Therapien zu erhalten. Zusätzlich beschränkt sich der Erfolg der CAR-T-Zellen weitestgehend auf hämatologische Krebserkrankungen insbesondere der B-Zellreihe, was zum einen an spezifisch angehbaren Zielstrukturen wie CD19 oder BCMA liegt und andererseits durch die inhärente physikalische Barriere solider Tumore im Unterschied zu sich einzeln im Blut befindlichen Leukämiezellen begründet ist. Aktuell gibt es große Forschungsanstrengungen, die CAR-T-Zelltherapie auch in soliden Tumorerkrankungen anwendbar zu machen. Beispielsweise werden Ansätze untersucht, das Tumorgewebe durch "gewebeauflockernde" Enzyme lokal zugänglicher für die T-Zellen zu machen.

Stetige Fortschritte in der Krebstherapie

Ein weiterer Forschungsbereich mit dem Potenzial, die Eindämmung von Krebserkrankungen zu erhöhen, ist die genaue Charakterisierung von Tumoren auf Genom-, Transkriptom- und Proteomebene. Durch die rasante Weiterentwicklung von Sequenziermethoden nach Beginn des weltweiten "Human Cancer Genome Project" 2005 ist es aktuell möglich, detaillierte Informationen über den jeweiligen Tumor einer Patientin oder eines Patienten zu erheben – im Forschungskontext ist dies bereits in jeder einzelnen Zelle eines Tumors möglich, in der klinischen Routine werden therapeutisch angehbare Veränderungen mittels DNA- und RNA-Paneluntersuchungen diagnostiziert. Aufgrund des raschen Erkenntnisgewinns wurden in den letzten Jahren mehr als 80 zielgerichtete Medikamente zugelassen, was zur Entwicklung der sogenannten Präzisionsonkologie geführt hat. Hier ist das Ziel, die Patientinnen und Patienten mit maßgeschneiderten Therapien passend zu spezifischen Veränderungen in ihren Tumoren zu behandeln. In diesem Bereich werden teilweise die Organgrenzen überschritten sowie pädiatrische und adulte Patientinnen und Patienten behandelt.

"Hier ist das Ziel, die Patientinnen und Patienten mit maßgeschneiderten Thera­pien zu behandeln."

Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Hemmung des Proteins NTRK – hier wer­den hohe und langanhaltende Ansprechraten von circa 70 Prozent in vorbehandelten erwachsenen und kindlichen Patientinnen und Patienten erzielt. Diese zielgerichteten Therapiestrategien haben auch das Potenzial, Patientinnen und Patienten zu heilen, beispielsweise bei der Chronischen Myeloischen Leu­kämie. Aktuell ist es allerdings so, dass bei der überwiegenden Anzahl der Patientinnen und Patienten, die mit personalisierten Therapien behandelt wird, die Progression des Tumors teilweise sehr langfristig verzögert wird, aber es nicht zu einer Heilung kommt. Nichtsdestotrotz sind die zielgerichteten Therapien häufig ein Quantensprung für Betroffene, da sie in der Regel bes­ser verträglich als Chemotherapien und in jedem Fall eine lebensverlängernde Therapiemöglichkeit sind. Hier liegt die Herausforderung der Forschung darin, diese krankheitschronifizierenden Therapien in heilende Therapien umzuwandeln, beispielsweise durch Kombination mit Immuntherapien.

Insgesamt ist das Forschungsziel, alle Krebserkrankungen zu heilen, noch lange nicht erreicht, aber durch Fortschritte in Prävention, Früherkennung, Immuntherapien und zielgerichteten Ansätzen kommen wir ihm schrittweise näher.