

Citizen Science
Was bei der Forschung mit Bürgerinnen und Bürgern wichtig ist
Forschung & Lehre: Warum ist Citizen Science als Forschungsmethode Ihrer Ansicht nach wichtig?
Susanne Hecker: In Citizen Science-Projekten forschen Bürgerinnen und Bürger zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dies ermöglicht der Gesellschaft den Zugang zu Wissenschaft in ganz unmittelbarer Art. Die Zusammenarbeit kann in zahlreichen Abstufungen zu unterschiedlichen Themen und in verschiedenen Forschungsgebieten erfolgen. Menschen können sich dort in die wissenschaftliche Forschung einbringen, wo es für sie relevant ist, wo es Fragestellungen gibt, die sie beschäftigen. Die Forschung kann davon sowohl quantitativ als auch qualitativ profitieren, wenn größere Datenmengen vorliegen oder beispielsweise lokales Wissen, das mit anderen wissenschaftlichen Methoden nicht generiert werden kann, in die Forschung einfließt.
Silke Voigt-Heucke: Aus meiner Sicht ist die Besonderheit von Citizen Science die große Offenheit für verschiedene Formen des gemeinsamen Forschens, die der Forschungsansatz mit sich bringt. Es können unterschiedliche Partizipationsstufen vorliegen und es ist sogar möglich, dass Bürgerinnen und Bürger die Fragestellung selbst initiieren. Allerdings ist die Skepsis aus den Reihen der traditionellen Wissenschaft oft groß, wenn Daten von Bürgerinnen und Bürgern erhoben werden. Ein häufiger Vorbehalt ist dabei die Datenqualität, da die Datenerhebung durch die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlich intensiv validiert und standardisiert sein kann.
Susanne Hecker: Citizen Science wird mitunter als eine Form von Wissenschaftskommunikation dargestellt statt als genuiner Forschungsansatz, der geeignet ist, neues Wissen zu generieren. Man sollte die Ziele der einzelnen Projekte sehr differenziert betrachten. Außerdem gibt es in der Forschung über Citizen Science Überlegungen dazu, wie man mit den von Bürgerinnen und Bürgern erhobenen Daten arbeiten und welche Erkenntnisse man aus ihnen ableiten kann.
F&L: Sind manche Disziplinen eher als andere für die Bürgerforschung geeignet?
Silke Voigt-Heucke: Es gibt kaum eine Disziplin, in der nicht für bestimmte Fragestellungen ein Citizen Science-Ansatz genutzt werden könnte. In der Biodiversitätsforschung und dem Populationsmonitoring wäre es oft ohne das Engagement von Freiwilligen gar nicht möglich, ausreichend Daten zu erheben. Auch die Medizin ist ein wichtiges Aktionsfeld, in dem Citizen Science-Ansätze über die Betroffenenperspektive wertvolle Beiträge leisten können. In der Geschichtswissenschaft gibt es eine lange Tradition von Citizen Science-Projekten, beispielsweise durch Geschichtswerkstätten und Transkriptionsprojekte.
Das Museum für Naturkunde unterhält seit zehn Jahren gemeinsam mit "Wissenschaft im Dialog" die Citizen Science-Onlineplattform "mit:forschen!", auf der sich bürgerwissenschaftliche Projekte vorstellen und vernetzen können. Anhand der Plattform können wir erkennen, dass die Vielfalt der Projekte und ihrer Akteurinnen und Akteure immer größer wird.
"Bei Citizen Science ist es essenziell, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich in die Rollen der anderen Projektbeteiligten hineinzuversetzen."
Susanne Hecker
F&L: Wie gelingt eine Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren?
Susanne Hecker: Citizen Science-Projekte sind darauf angewiesen, dass Menschen freiwillig mitmachen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer können jederzeit aus zahlreichen Gründen aussteigen, etwa weil sie sich mit ihrem Engagement und Wissen nicht ernst genommen fühlen. Die verantwortlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen transparent kommunizieren. Freiwillige sollten etwa immer wissen, welche Rolle sie haben oder was mit den Daten, die sie beitragen, passiert. Es geht nicht wie in anderen Wissenschaftsbereichen darum, als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Bei Citizen Science ist es essenziell, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich in die Rollen der anderen Projektbeteiligten hineinzuversetzen.
Silke Voigt-Heucke: Das Aushandeln ist bei jedem Projekt anders, und das macht es so herausfordernd. Das Schwierigste ist nicht die Anfangsakquise von Bürgerforschenden. Eine der zentralen Kompetenzen, die Forscherinnen und Forscher im Bereich Citizen Science benötigen, ist daher die Fähigkeit, Teilnehmende nachhaltig zu motivieren, dranzubleiben.
F&L: Wie steht es um die Anerkennung von Citizen Science-Forschung? Eignet sich der Forschungsansatz beispielsweise auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Beginn ihrer Karrieren?
Silke Voigt-Heucke: Die Skepsis der konventionellen Wissenschaft haben wir bereits besprochen. Die Mehrleistung von Citizen Science-Forschung muss im Wissenschaftssystem mehr anerkannt werden. Es geht dabei nicht nur um ein Managen der eigenen Forschung, sondern auch um das Zusammenbringen von vielen Menschen. Der "Wissen der Vielen"-Preis, den wir über "mit:forschen!" vergeben, zeigt, dass mit Citizen Science und partizipativer Forschung exzellente Wissenschaft gemacht werden kann, die zusätzlich einen gesellschaftlichen Mehrwert mit sich bringt.

Susanne Hecker: Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler haben oft mehr Interesse an Citizen Science als etabliertere Forschende. Sie können mit Citizen Science-Forschung exzellente Dissertationen schreiben, wenn sie dafür die Unterstützung der etablierteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, die die Arbeiten betreuen. Forschende aber auch Geldgeber und Betreuende müssen flexibel sein, was den Projektverlauf angeht, da dieser oft nicht absehbar ist. Es ist die Aufgabe der Forschenden, wissenschaftlich fundiert an der Datenqualität und deren Analyse zu arbeiten.
F&L: Wie sind die Rahmenbedingungen von Citizen Science in Deutschland?
Susanne Hecker: Die finanzielle Förderung hat einen massiven Einfluss darauf, wie breit sich ein Forschungsfeld entwickeln kann. Gerade in den letzten Jahren wird Bürgerbeteiligung als Mehrwert von Forschung verstanden. In der Folge gab es beispielsweise zwei Förderrichtlinien für Citizen Science beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Impulse aus dem Grünbuch "Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland" sowie dem Weißbuch "Citizen Science Strategie 2030 für Deutschland" aufgegriffen haben.
Auch die Gründung der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung (GTPF) im Jahr 2023 war außergewöhnlich: Es ist eine Errungenschaft für die Wissenschaft, dass es eine Fachgesellschaft für die partizipative Forschung gibt. Ende 2022 hat auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ein Strategiepapier zum Thema Partizipation veröffentlicht. All dies drückt eine gesteigerte Anerkennung für Citizen Science im deutschen Wissenschaftssystem aus.
Silke Voigt-Heucke: Deutschland wird im Bereich Citizen Science in Europa als Vorreiter wahrgenommen, auch wenn wir aus der Innenperspektive noch Potenzial für Verbesserung sehen: In vielen anderen europäischen Ländern gibt es keine explizite Förderung für Citizen Science-Projekte, sodass die Forschenden auf europäische Programme angewiesen sind. Die Europäische Kommission hat in ihren letzten Förderprogrammen Citizen Science-Ansätze und partizipative Forschung intensiv gefördert, sodass ein guter Nährboden vorhanden ist. Wir sind auf einem sehr guten Weg, dass sich Citizen Science weiter etablieren wird.
F&L: Welche Rolle spielt das Museum für Naturkunde dabei?
Susanne Hecker: Das Museum für Naturkunde Berlin wird als eine zentrale Anlaufstelle für Citizen Science in Deutschland anerkannt. Seit über zehn Jahren gibt es in unserem Forschungsbereich "Gesellschaft und Natur" einen Bereich für Citizen Science. 2014 wurde am Museum mit Partnerinnen und Partnern auch die European Citizen Science Association (ECSA) gegründet, deren Sitz am Museum ist. Anders als zum Beispiel das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt, mit dem wir kooperieren und das eine große Bandbreite an Citizen Science-Projekten umsetzt, liegt unsere Expertise darin, Reflexion zu betreiben: Wie entwickelt sich die Citizen Science-Landschaft? Was sind Erfolgsfaktoren, was Hemmschuhe? Welche Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist gewinnbringend und warum?
Partizipation in der Wissenschaft – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"
Die Februar-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der Partizipation in der Wissenschaft und fragt, welche Folgen partizipative Ansätze in Forschung und Lehre haben.
Die Beiträge:
- Sabine Maasen: Spannung, nicht aufzuheben – Partizipation aus wissenschaftssoziologischer Sicht
- Hella von Unger: Mit der Gesellschaft für die Gesellschaft – Potenziale und Herausforderungen partizipativer Forschung
- Robert Ranisch: Verantwortungsvolle Beteiligung – Grundsätze einer Ethik der Partizipation in der gesundheitsbezogenen Forschung
- Peter Tremp: Anspruchsvolle Aufgabe – Studentische Mitgestaltung des Bildungsraums Hochschule
- Im Gespräch mit Susanne Hecker und Silke Voigt-Heucke: "Die Mehrleistung muss anerkannt werden" – Was bei der Forschung mit Bürgerinnen und Bürgern wichtig ist
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!
Silke Voigt-Heucke: Als Museum bemühen wir uns auch um die Professionalisierung des Biodiversitätsmonitorings mit Ehrenamtlichen in Deutschland. Da ist das Vereinigte Königreich wesentlich weiter: Seit etwa 50 Jahren fließen dort standardisierte ehrenamtlich gesammelte Daten in das behördliche Monitoring ein. In Deutschland haben wir noch keine allgemeingültigen Standards. Mit Standards könnte man der Kritik an der Datenqualität begegnen. Wir wollen uns gemeinsam mit dem 2021 gegründeten Nationalen Monitoringzentrum zur Biodiversität in Leipzig dafür einsetzen, dass Deutschland sich im Bereich Monitoring professionalisiert.
"In Deutschland haben wir noch keine allgemeingültigen Standards. Mit Standards könnte man der Kritik an der Datenqualität begegnen." Silke Voigt-Heucke
Susanne Hecker: Mit der "mit:forschen!"-Plattform bieten wir als Museum einen sehr wichtigen digitalen Raum, in dem sich Interessierte über Citizen Science-Projekte informieren, vernetzen und austauschen können. Als zusätzliches Tool gibt es dort nun auch eine Expertendatenbank, mit der man gezielt nach Projektpartnerinnen und -partnern suchen kann. Für den Bestand der Plattform werden wir uns auch zukünftig weiter einsetzen.