Buchbesprechung
Was Störungen des Gehirns über die Natur des Menschen zeigen

Das Gehirn ist in seiner Komplexität nur in kleinen Schritten zu erforschen. Nobelpreisträger Eric Kandel lernte aus neurologischen Erkrankungen.

Es sei das "letzte große Rätsel" der Gehirnforschung herauszufinden, wie die komplizierten Wechselbeziehungen der Gehirnzellen das Bewusstsein und die Selbstwahrnehmung des Menschen entstehen lassen. Während seiner ganzen Berufslaufbahn hat der 1929 geborene Neurowissenschaftler Eric Kandel, der im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin erhalten hat, sich dieser Frage gewidmet.

In seinem neuen Buch nähert er sich dem Geist des Menschen durch die Erforschung schwerer Krankheiten, die entstehen, wenn die Prozesse im Gehirn durcheinandergeraten, zum Beispiel Autismus, Depression, Schizophrenie, Alzheimer oder Parkinson. Die Beschäftigung mit solchen fehlgeleiteten Prozessen könne nicht nur zu neuen Therapien führen, sondern die Aufklärung der biologischen Grundlagen neurologischer Erkrankungen könne auch das Wissen über die Art, wie das Gehirn den Geist entstehen lässt, erheblich erweitern.

"Je mehr wir über den ungewöhnlichen Geist wissen, desto eher sind wir als einzelne und als Gesellschaft in der Lage, Menschen zu verstehen, die anders denken als wir." Eric Kandel

Autismusstudien könnten beispielsweise neue Einblicke in die neuronalen Schaltkreise des sozialen Gehirns verschaffen, oder durch die Alzheimer-Krankheit könne etwas über das Gedächtnis gelernt werden. Ein spannendes Kapitel widmet er der Kreativität, die auch im Gehirn entstehe und von jedem Menschen auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Geschick zum Ausdruck gebracht werde. Forschungserfolge seien insbesondere durch herausragende Fortschritte in der Genetik, bei bildgebenden Verfahren und Tierversuchen erzielt worden.

Gepflastert mit Rückblicken in die Wissenschaftsgeschichte und anschaulichen Patientenbeispielen nimmt Kandel die Leser mit auf den Weg zu neuen Erkenntnissen einer Biologie des Geistes. Kandels Begeisterung bei der Erforschung des Bewusstseins spricht aus jeder Seite und wirkt ansteckend. Wie faszinierend das Gehirn und seine Möglichkeiten sind, wird ein ums andere Mal deutlich. Doch alle neuen Befunde seien nur "ein kleiner Schritt", um den Geist des Menschen, das "komplexeste Gebilde im Universum", verstehen zu können.